Sifaks* und Puak* leben in Algerien und setzen sich als Aktivisten der Organisation Abu Nawas für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans*-Menschen ein – eine Arbeit, die im Untergrund stattfinden muss. Im September besuchten sie mehrere Organisationen in Berlin, darunter auch die Deutsche AIDS-Hilfe. Mit ihnen sprach Christina Laußmann.
Sifaks und Puak, wie sieht die Situation für LGBT in Algerien aus?
Die LGBT-Community wird von der Regierung unterdrückt und von der Gesellschaft geächtet. In Algerien sind die Menschen zu Homosexualität überhaupt nicht aufgeklärt. Sie können nirgends Informationen darüber bekommen, was es eigentlich heißt, schwul oder lesbisch zu sein. Die Regierung behauptet, sie könne Homosexualität nicht akzeptieren, weil dies mit dem Islam nicht vereinbar sei. LGBT führen daher ein verstecktes Leben. Es gibt keine Orte, an denen sie sich offen zeigen können. Sie haben nur das Internet.
Homosexuelle Handlungen stehen in Algerien unter Strafe
Welches Bild von Homosexualität herrscht in der algerischen Gesellschaft vor?
Wenn zum Beispiel algerische Zeitungen über Fälle von Pädophilie berichten, bringen sie das immer mit Homosexualität in Verbindung. Die Homophobie in unserem Land ist aber auch in einem engen Zusammenhang mit der Ungleichheit zwischen Mann und Frau zu sehen. Frauen haben in unserer Gesellschaft einen wesentlich niedrigeren Stand als Männer, aber Homosexuelle werden noch unter den Frauen gesehen. Wir unterstützen daher auch den feministischen Kampf, der ebenso aus der LGBT-Bewegung hervorgeht.
Was sind die Ziele eurer Organisation?
Wir von Abu Nawas wollen einen gesellschaftlichen Sensibilisierungsprozess in Gang setzen und die Akzeptanz von Homosexualität in Algerien erhöhen. Schließlich wollen wir erreichen, dass zwei Gesetzesartikel abgeschafft werden. Diese sprechen davon, dass homosexuelle Handlungen verboten sind und bestraft werden. Dabei verbietet das Gesetz auch, sich politisch für Homosexuelle einzusetzen. Die Strafen reichen von Geldbeträgen ab 300 Euro bis hin zu Gefängnisstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren.
„Wir wollen die Algerier dazu bringen, über LGBT-Rechte zu sprechen“
Wie arbeitet ihr angesichts solcher Strafen, was sind eure Strategien?
In den ersten Jahren waren wir ausschließlich im Internet unterwegs. Uns ist es wichtig, die Sicherheit der Community und der Aktivisten zu gewährleisten. Wir wissen, dass die Regierung von Abu Nawas weiß – vielleicht sind unsere Namen sogar bekannt. Seitdem wir von einer anderen Organisation unterstützt werden, die ihren Sitz im Ausland hat, können wir unsere Arbeit auch außerhalb des Internets ausbauen. Letztes Jahr haben wir drei Konferenzen organisiert. Das war das erste Mal, dass in Algerien Konferenzen zu LGBT-Themen, zu Fragen von Gender-Identität und Homophobie stattfanden.
Aber wie konntet ihr euch diese Freiräume verschaffen und Konferenzen abhalten?
Indem unsere Partnerorganisation aus dem Ausland offiziell Ausrichterin war. Außerdem versuchten wir, einigermaßen sichere Orte – wie bestimmte Hotels – für unsere Konferenzen zu buchen, und haben die Türen verriegelt, sodass Externe keinen Zutritt bekommen konnten.
Eine weitere Aktion von euch ist „TenTen“ – ein Tag, der auf die Rechte von LGBT in Algerien aufmerksam machen will.
Ja, 2007 haben wir den 10. Oktober erstmals zum Tag der algerischen LGBT erklärt. Anfangs bestand die Besonderheit dieses Tages nur darin, dass wir dazu aufgerufen haben, um 20 Uhr eine Kerze anzuzünden – als Symbol der Solidarität mit LGBT. Mit den Jahren hat „TenTen“ größere Dimensionen angenommen. Wir schreiben Pressemitteilungen und verbreiten Poster und Videos im Internet. Ziel ist es, darüber mit der Gesellschaft in Kontakt zu kommen und die Algerier dazu zu bringen, über LGBT-Rechte zu sprechen.
„Wir sind es gewohnt, im Internet beleidigt und beschimpft zu werden“
Warum dieses Datum?
Der 10. Oktober war der Geburtstag von Selim I., ein osmanischer Herrscher, der homosexuell war. Ähnlich sind wir schon bei der Namensgebung für unsere Organisation vorgegangen: Abu Nawas war ein arabisch-islamischer Dichter aus der Zeit der klassischen arabischen Literatur. Er war in den Sohn des Kalifen verliebt und schrieb viele Gedichte über homosexuelle Liebe. Wir haben ganz bewusst diesen Namen und dieses Datum gewählt, weil in der arabischen Welt gerne behauptet wird, Homosexualität komme aus der westlichen Kultur. Wir wollen zeigen, dass Homosexualität schon immer Teil unserer arabisch-islamischen Kultur war.
Welche Reaktionen bekommt ihr auf eure Aktionen?
Wir sind es gewohnt, beleidigt und beschimpft zu werden, wenn wir etwas im Internet veröffentlichen – aber wenigstens stoßen wir so eine Diskussion an. Uns geht es nicht vorrangig darum, Menschen umzustimmen, sondern wir wollen das Thema in die Öffentlichkeit tragen. Wir geben unseren Gegnern zwar die Chance, ihre Argumente vorzubringen, verschaffen uns gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, darauf zu reagieren und unsere Argumente vorzutragen.
LGBT sind die Vergessenen des Arabischen Frühlings
Gab es für euch schon spürbare Erfolgserlebnisse?
Ein erster Erfolg war, als eine große algerische Zeitung letztes Jahr über unseren Tag „TenTen“ berichtet hat – und zwar ganz neutral, nicht homophob. Der Artikel handelte lediglich davon, dass LGBT sich mit diesem Tag für ihre Rechte einsetzen wollen. Für uns war das eine wirkliche Errungenschaft.
Hat der Arabische Frühling etwas für LGBT in Algerien verändert?
Es heißt immer, die LGBT sind die Vergessenen des Arabischen Frühlings. Dieser brachte keine großen Veränderungen für uns. Nun war es mit dem Arabischen Frühling in Algerien auch etwas komplizierter als in anderen Ländern. Die Hoffnungen waren zu Anfang groß, leider wurden diese nicht erfüllt.
Ihr seid jetzt für fünf Tage in Berlin und besucht mehrere Organisationen. Was sind eure Erwartungen an diesen Besuch?
Es geht uns bei diesem Besuch vor allem um einen Erfahrungsaustausch. Wir haben schon verschiedene Organisationen kennengelernt: den Lesben- und Schwulenverband (LSVD), Anti-Homophobie-Projekte, eine Gesundheitseinrichtung für schwule Männer und nun die Deutsche AIDS-Hilfe. Wir freuen uns schon auf morgen, wenn wir das LSVD-Projekt zu Regenbogenfamilien besuchen.
Sexuelle Gesundheit ist ein Tabu, Kondome sind schwer zu bekommen
Was könnt ihr aus diesen Treffen mit nach Hause nehmen?
Auch wenn die Situation für LGBT in Algerien eine ganz andere ist, glauben wir, dass wir hier viele Ideen mitnehmen können. Es ist schwierig für uns, überhaupt mit algerischen LGBT in Kontakt zu kommen, weil natürlich großes Misstrauen herrscht. Während unseres Besuchs bei manCheck Berlin haben wir den Tipp bekommen, es über Online-Dating-Plattformen zu versuchen. Außerdem wollen wir uns hier noch ein paar Strategien abgucken, wie wir international mehr Aufmerksamkeit bekommen können – und wir möchten natürlich bei Organisationen um Unterstützung werben, um mit ihnen gemeinsam Druck auf die algerische Regierung ausüben zu können.
Ihr nehmt auch Kondome aus Deutschland mit.
Ja, die wollen wir zu Hause in Umlauf bringen. Kondome sind in Algerien schwer zu bekommen. Die Gesundheitskommission hält sich hier sehr zurück. Sexuelle Gesundheit ist in Algerien generell ein Tabu und Sex vor der Ehe nicht erlaubt.
Wenn sexuelle Gesundheit ein Tabu ist, wie ist dann die Situation für Menschen mit HIV in Algerien?
Menschen mit HIV werden auch in Algerien stigmatisiert und diskriminiert. Unsere Gesundheitsversorgung ist nicht so entwickelt wie in Deutschland. HIV-Positive haben keinen freien Zugang zu einer Behandlung, und über HIV-Tests gibt es keinerlei Aufklärung. Wenn man sich die offiziellen Statistiken anschaut, dann liest man gerade mal von 6.000 HIV-Fällen, was nicht realistisch ist bei fast 40 Millionen Einwohnern. Wir kennen die wirklichen Zahlen aber nicht. Zwar gibt es von Seiten der Regierung mittlerweile Bemühungen, anonyme HIV-Tests zu gewährleisten, aber das reicht natürlich nicht.
Wie nehmt ihr euch des Themas an?
Wir versuchen, über HIV, Tests und die Übertragungswege aufzuklären – zum Beispiel durch Publikationen. Und wir wollen den medizinischen Sektor für die LGBT-Community sensibilisieren. Letztes Jahr haben wir eine Konferenz zum Thema HIV und Stigma organisiert. Dazu haben wir viele Ärzte eingeladen, obwohl wir wussten, dass darunter auch homophobe Ärzte waren. Wir haben sie aber trotzdem eingeladen, in der Hoffnung, dass wir ein paar Meinungen ändern können.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
* Name geändert
Weitere Informationen
Website von Abu Nawas (in französischer Sprache)
Facebook-Seite von Abu Nawas (in französischer Sprache)