Diese Woche bestand aus einem Sammelsurium an medizinisch interessanten Fällen. Ich entband einen weiblichen Neugeborenen mit Ösophagusatresie (eine Fehlbildung der Speiseröhre, die Häufigkeit liegt bei 1:4000), eine Patientin mit einer hohen Vakuumextraktion (Saugglocke) bei intrapartualer Blutung und überwies eine Schwangere mit fetalem Pleuraerguß (leider noch keine Rückmeldung zu diesem Kind bislang). Bei meinen Kollegen ging es ähnlich spannend zu. Gleich zwei Patienten mit Leptospirose, die gelb waren wie die Simpsons, Wadenschmerzen und hohem Fieber. Da in Deutschland ca. 40 Fälle/Jahr gemeldet werden, dürften wir uns mit diesen zwei Fällen (und vielleicht noch einigen mehr bis zum Abschluß der Rotation) bei unserer Rückkehr zu Experten auf diesem Feld erklären!?! Außerdem wurde ich von meinen Kollegen auf zwei Fälle von Lepra aufmerksam gemacht und sah die Auswirkung einer ossären Tuberkulose mit Rückenmarksinfiltration und konsekutiven Ausfallerscheinungen. Unfassbar war auch ein junges Mädchen mit seit zwei Monaten bestehendem Typhusfieber. Die cerebrale Mitbeteiligung äußerte sich in nahezu totaler Unfähigkeit auf Fragen Antwort und Auskunft über ihre eigene Person zu geben. Um den Krankheitsverkauf einiger unserer verlegten Patienten weiterzuverfolgen, machten wir Ärzte uns gemeinsam auf den Weg nach Davao ins Universitätskrankenhaus SPMC (Southern Philippine Medical Centre).
Das neue Herzzentrum – ein Teil des Universitätskrankenhauses in Davao. Die philippinische Regierung will das Krankenhaus ausbauen.
Wir wurden von Frau Marianella, einer ehemaligen Ordensschwester, in Empfang genommen. Sie betreut im Auftrag der German Doctors die von uns ins SPMC verlegten Patienten und stellt im Bedarfsfall auch die Medikamente und begleicht die Behandlungskosten, sofern diese nicht von den Patienten selbst getragen werden können. Wird vor Ort entschieden, dass die Behandlung ambulant verlaufen soll, werden die Patienten von Frau Marianella in unserem eigens dafür errichteten Haus neben dem Krankenhaus einquartiert. Das SPMC ist der Wahnsinn. Um mal eine Zahl zu nennen: Hier werden jedes Jahr 11.000 Geburten gemeldet. Die Anzahl der Patienten pro Patientenzimmer lässt sich kaum bestimmen. Die offizielle Bettenkapazität von 600 Patienten wird zu 200 %, d.h. mit mindestens 1200 (!!!) Patienten belegt. So teilen sich auf der Kinderstation mindestens zwei Kinder ein Bett und zu dem ganzen Gewusel gesellt sich jeweils noch ein “Watcher” pro Patient. “Watcher” sind Angehörige, die alle Aufgaben außer der Vitalparametermessung und den Infusionsgaben erledigen (gleiches Prinzip auch in Buda), da die philippinischen Pflegekräfte – ähnlich wie in deutschen Krankenhäusern – chronisch unterbesetzt sind. Leider werden am Wochenende und an Feiertagen keine diagnostischen Maßnahmen durchgeführt und so musste ich feststellen, dass man meinen Patienten, den Säugling mit v.a. Ösophagusatresie ungesehen in ein Bett gesteckt hatte und auch nicht plante, vor Ablauf des Wochenendes irgendwas daran zu ändern. Vital bedrohte Notfälle sind von dieser Regelung selbstverständlich ausgenommen, aber es fällt einem schwer, so etwas hinnehmen zu müssen. Wir sahen aber auch, dass umgreifende Umbau- und Anbaumaßnahmen in Gange waren, um dem Andrang der Patienten zumindest räumlich Rechnung zu tragen. Es bleibt also zu hoffen, dass die philippinische Regierung es nicht bei der Vergabe von Bauaufträgen belässt, sondern auch personell das Krankenhaus aufstocken wird.
Nicht nur am Eingang des Krankenhauses ist viel los.
Mit unseren unzähligen Eindrücken und aufgestautem Diskussionsbedarf ging es zurück nach Buda. Hiesige Verhältnisse (Patienten/Personal-Schlüssel) erscheinen vor dem Davaoer Hintergrund paradiesisch- trotz der begrenzten Behandlungsmöglichkeiten (Buda hat keine Erlaubnis für größere operative Eingriffe, da es nicht über eine Blutbank verfügt). Die Notwendigkeit unserer künftigen Verlegungen werden wir wahrscheinlich doch nochmal kritischer hinterfragen. Einzig allein das Wetter, das sich leider dazu entschied sich entsprechend der Regenzeit zu verhalten, konnte dem Vergleich mit Davao nicht standhalten!
So sieht man aus, wenn einen der Regen erwischt.
Zu Beginn der neuen Woche stieg die Anspannung in Erwartung des Supersturms, der uns über die Medien angekündigt wurde. In Buda machte sich Haiyan durch mehr Regenergüsse als üblich bemerkbar und der Fluß hinter dem doctor´s house führte gefühlt die doppelte Wassermenge. Demzufolge blieben unsere Patientenzahlen unterm Durchschnitt, da die meisten Straßen – oder als solche bezeichnete Schneisen – im Dickicht unpassierbar waren.
Während dieser Umstand für uns Erholung von der Arbeit bedeutete, wiederfuhr dem Norden der Philippinen mit dem Taifun erneut ein schweres Schicksal. Es ist kaum zu fassen, was diese Menschen nebst der Armut und den Krankheiten ertragen/erleben müssen. Alles was uns blieb, war in Gedanken Anteil zu nehmen. Es ist schön zu sehen und versöhnt, dass so viele Menschen aus dem Ausland ebenfalls Anteil nehmen und Ihre Hilfe anbieten. Hier werden über das Hilfswerk durch ehrenamtliche Mitarbeiter Care-Pakete gepackt, die dann (auf welchen Weg auch immer) die Opfer von Haiyan erreichen sollen. Viele unserer Pflegekräfte planen am kommenden Wochenende in Davao ihren Beitrag in einer dieser Päckchenstationen zu leisten. Meine Kollegen und ich können durch unsere Diensttätigkeit dem leider nicht nachkommen. Gegebenfalls ergibt sich die Gelegenheit dazu in der nächsten Woche. Es scheint fast schon pietätlos ohne gedrückte Stimmung seinen Verpflichtungen nachzugehen, aber wir sind durch unser Eremitendasein hier in Buda auch sehr weit weg vom Geschehen. Die Abstinenz von Fernsehern und gutem Internetsignal tut ihr Übriges. Ich werde dennoch davon Abstand nehmen über launige Alltagskuriositäten zu berichten.
Back to normal – zumindest im Blog – wieder nächste Woche.
Grüße von Dr. Corinna Propping
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