Muskeltriggerpunkte als Ursache akuter oder chronischer Schmerzen des muskulo-skeletalen Systems


Etwa 10 Prozent aller Erwachsenen leiden an „chronischen Schmerzen ohne erklärenden organischen Befund“, berichtet der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Prof. Dr. med. Joachim Bauer (1) unter Verweis auf ältere Studien. Vor dem Hintergrund stetig zunehmender stress- und lebensstilbedingter Erkrankungen könnte diese Zahl in Zukunft weiter zunehmen. „Jeder dritte Patient, der seinen Hausarzt wegen körperlicher Beschwerden aufsucht, verlässt die Praxis ‚ohne Befund‘“, meldete FOCUS-Online-Redakteurin Anna Vonhoff kürzlich (2). Es gilt allerdings auch: Nicht jedes zunächst unerklärliche Schmerzphänomen hat einen psychosomatischen Hintergrund. Leider gibt es auch organische Ursachen für akute oder chronische Schmerzen, die in der ärztlichen Diagnostik leicht übersehen werden. Wir erfahren in unserer Gemeinschaftsraxis wiederholt von Patienten mit chronischen Schmerzen, dass vorangegangene Behandlungen der Gelenke, Bänder und Bandscheiben keine Linderung erbracht haben. Die Schmerzen lassen erst dann nach, wenn aktivierte Muskeltriggerpunkte als hauptsächliche Schmerzauslöser erkannt und therapiert werden. Warum aber werden myofasziale Schmerzursachen so leicht übersehen? An einer schlechten Informationslage kann es nicht liegen, denn an neuen Veröffentlichungen und Büchern zu diesem Thema mangelt es nicht. Nur über das richtige und beste therapeutische Vorgehen besteht keine Einigkeit. Zahlreiche Behandlungsmethoden stehen zur Diskussion.
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Abbildung: Aktivierte Muskeltriggerpunkte können Ursache akuter oder chronischer Schmerzen des muskulo-skeletalen Systems sein.  – Foto: © adimas – Fotolia.com
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Das muskuläre Schmerzsyndrom

Vor über sechzig Jahren erforschte die amerikanische Ärztin und Wissenschaftlerin Janet G. Travell, wodurch sogenannte myofasziale (muskuläre) Schmerzen entstehen und wie sie sich therapieren lassen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde Travell als Ärztin von John F. Kennedy bekannt. Medizinhistoriker verbinden mit ihrem Namen hingegen eher die mit großem Erfolg praktizierte Procainbehandlung von Schmerzen des Stütz- und Bewegungsapparates, die später „trigger point therapy“ bezeichnet wurde. Wikipedia definiert myofasziale Triggerpunkte (3) als „lokal begrenzte Muskelverhärtungen in der Skelettmuskulatur, die lokal druckempfindlich sind und von denen übertragene Schmerzen ausgehen können“. In der Fachliteratur zu diesem Thema wird auch von einer „übererregbaren Stelle innerhalb verspannter Skelettmuskelfasern(4) gesprochen, die als ödematöse Verquellung oftmals sogar ertastbar sind. Ob tatsächlich 80 bis 90 Prozent der Schmerzsyndrome auf derartige Muskulaturverhärtungen zurückzuführen sind, wie es Wikipedia ohne Quellenangabe behauptet, sei einmal dahingestellt. Als sicher kann jedoch gelten, dass der Muskelapparat als möglicher Auslöser von Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates ärztliche Aufmerksamkeit verdient.

Akute oder chronische Schmerzen des muskulo-skeletalen Systems wurden in der ärztlichen Praxis lange Zeit mit diversen Erkrankungen wie z. B. arthrotischen Gelenkveränderungen, rheumatischen Erkrankungen, Verletzungen oder Fibromyalgie etc. in Verbindung gebracht. Das wissenschaftliche Interesse an Schmerz auslösenden Muskelerkrankungen hat erst mit der systematischen Erforschung der Fibrositis bzw. Fibromyalgie stark zugenommen, wie Prof. Frederick Wolfe 1990 zeigte. Die erste Schwierigkeit in der täglichen Praxis besteht sicherlich darin, die Projektionszonen der Schmerzausstrahlung den dafür verantwortlichen Triggerpunkten zuzuordnen. Die Orte, an denen Schmerz verursacht wird (Triggerpunkte) und die Orte, an denen Schmerz gespürt wird (Projektionszone), sind beim muskulären Schmerzsyndrom nicht identisch.
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4 Kriterien für eine korrekte Diagnose aktivierter Muskeltriggerpunkte

Von einem durch Triggerpunkte (mTrP) ausgelösten muskulären Schmerzsyndrom kann immer dann mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit gesprochen werden, wenn folgende vier Kriterien alle erfüllt sind:
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1. Druckdolenz: Das wichtigste Kriterien ist eine sogenannte lokale Druckdolenz in einem verspannten Muskelfaserbündel. Beim Ertasten von Körperstrukturen mit Fingern oder Händen (Palpation) sendet das berührte Gewebe Schmerzen in einen anderen Körperbereich aus.

2. Zuckungsreaktion: Wird das verspannte Muskelfaserbündel einem mechanischen Reiz ausgesetzt, z. B. durch einen ruckartigen Druck beim Abtasten oder durch leichte Berührung mit einer Nadel etc., so zeigt der Muskel typischerweise eine Zuckungsreaktion wie auf dem hier verlinkten YouTube-Video. Dieses Phänomen ist ein Hinweis darauf, dass der mTrP exakt lokalisiert wurde.

3. Schmerzübertragung: Ein drittes wichtiges Kriterium ist die Ausstrahlung des Schmerzes in eine bestimmte Körperregion. Der Ort, an dem der Schmerz entsteht bzw. kausal ausgelöst wird (mTrP), ist nicht identisch mit dem Ort, an dem Patienten den Schmerz spüren. Es wird derzeit angenommen, dass die Schmerzübertragung in eine bestimmte Körperregion durch Neurotransmitter ausgelöst wird, die sich im Hinterhorn des Rückenmarks ausbreiten.

4. Reproduzierbarkeit: Entscheidend für eine korrekte Diagnose ist auch, dass Druckdolenz (Aussenden von Schmerz), Muskelzuckung und Schmerzübertragung (in eine räumlich entfernte Körperregion) wiederholbar sind, sich so lange zeigen, wie der mTrP existiert.

Mögliche Begleitsymptome: Neben diesen vier zentralen Merkmalen eines aktivierten muskulären Triggerpunktes zeigt sich häufig auch eine gestörte Motorik mit Bewegungseinschränkungen sowie Muskelschwäche, die durch den aktivierten muskulären Triggerpunkt und nicht durch andere Ursachen wie z. B. Gewebeschwund (Atrophie) ausgelöst wird. Mögliche Begleitsymptome sollten im Rahmen einer ärztlichen Diagnose bekannt sein, um Verwechselungen mit anderen Ursachen zu vermeiden.

Wichtig: Werden durch aktivierte muskuläre Triggerpunkte ausgelöste Symptome in der ärztlichen Diagnose übersehen, so kann dies zu schwerwiegenden Fehldiagnosen führen.
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Effektive Triggerpunkttherapie

Eine erfolgreiche Therapie aktivierter Muskeltriggerpunkte ist daran zu erkennen, dass vier therapeutische Ziele erreicht werden: der Schmerz lässt nach, das verspannte Muskelfaserbündel wird besser durchblutet, ein örtlich vorhandenes Ödem verschwindet und die zuvor verspannten Muskelfasern (Sarkomer) werden gedehnt.
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Procain in der Triggerpunkttherapie

Travell und Simons zeigten 1999 in diversen Studien (5), dass sich die Injektion von Procain in 0,5%iger oder 1%iger Lösung ohne Zusätze sehr gut für eine Triggerpunkttherapie eignet, weil sich nachhaltige therapeutische Effekte zeigen und das Therapeutikum gleichzeitig von wahrscheinlich mehr als 99 Prozent der Patienten sehr gut vertragen wird. Procain zeichnet sich durch eine minimale Allgemeintoxität, eine sehr geringe Myotoxität (die geringste von allen Lokalanästhetika ) und eine kurze Wirksamkeit aus – wird vom Körper also schnell abgebaut. Anders als das Lokalanästhetikum Lidocain verdeckt Procain die für eine korrekte Diagnose wichtige Schmerzübertragung eines mTrP nicht.

Je früher die Therapie, umso schneller der Erfolg
Aktive und latente muskuläre Triggerpunkte, Muskelverkürzungen sowie Muskelgruppen, die zu Verkrampfungen neigen, lassen sich durch Injektion von Procain (4) gut therapieren. In diesen drei Fällen lässt sich durch Injektion von Procain sogar noch dann Beschwerdefreiheit oder Linderung erreichen, wenn andere rein mechanische Maßnahmen versagt haben. Bestehen die Schmerzen erst seit relativ kurzer Zeit, so stellt sich der Erfolg oftmals sehr schnell ein. Bestehen Schmerzen hingegen schon länger als ein halbes Jahr, so sind erfahrungsgemäß mehr als zehn Behandlungen im Abstand von ca. einer Woche nötig, um therapeutische Fortschritte zu erreichen.

Wichtig: Eine lege artis durchgeführte neuraltherapeutische Behandlung des muskulären Schmerzsyndroms erfordert eine qualifizierte ärztliche Zusatzausbildung. Patientinnen und Patienten mit Schmerzen des muskulo-skeletalen Systems, die sich für diese Therapiemethode interessieren, können sich über die Arztsuche der Internationalen medizinischen Gesellschaft für Neuraltherapie (IGNH) informieren.
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Weitere Behandlungsmöglichkeiten von mTrP

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„Dry needling“: Das Stechen z. B. mit einer Akupunkturnadel ist eine therapeutische Alternative zur Neuraltherapie. Wer sich für das „Dry needling“ entscheidet, der verzichtet allerdings auf den analgetischen (schmerzlindernden), durchblutungsfördernden, gefäßerweiternden und entzündungshemmenden therapeutischen Effekt von Procain. Nach meiner persönlichen Erfahrung ist die Erfolgsquote von „Dry needling“ deutlich geringer als die einer Behandlung mit Procain.
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Spray-and-stretch-Technik: Als nichtinvasive Therapiemethode empfehlen Travell und Simons die Spray-and-stretch-Technik, bei der die Körperregion eines Triggerpunkts zunächst mit Kältespray leicht betäubt wird, um den betroffenen Muskel in einer zweiten Phase, wenn die Muskelverkrampfung durch den Kältespray nachgelassen hat, dosiert zu dehnen.
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Stoßwellenbehandlung: Es gibt Berichte darüber, dass sich Schmerz auslösende Muskelerkrankungen auch mittels Stoßwellenbehandlung erfolgreich therapieren lassen sollen. Gegen diese Therapie spricht jedoch, dass sie sehr schmerzhaft ist und hohe Kosten verursacht.
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Massage: Klassische Massage hilft beim muskulären Schmerzsyndrom, Verklebungen und verkrampfte bindegewebige Strukturen schonend zu lösen. Sie eignet sich daher sehr gut, um eine „Haupttherapie“ wie z. B. Spray-and-stretch-Technik oder Neuraltherapie zu begleiten.
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Mitarbeit der Patienten ist wichtig

Der Erfolg einer Triggerpunkttherapie steht und fällt auch mit der Bereitschaft von Patienten, aktiv mitzuarbeiten. Unmittelbar nach der Injektion von Procain benötigt es Dehnungsübungen unter ärztlicher Anleitung. Sinnvoll ist auch die regelmäßige Anwendung von Wärmepads – oder bei starker Verschlimmerung der Schmerzen – Maßnahmen zur Kühlung der betroffenen Körperregion.
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Über den Autor:

Dr. med. Gerd H. Droß ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren, Neuraltherapie und Akupunktur. Er ist Lehrbeauftragter für Naturheilverfahren an der Ruhr-Universität Bochum und Dozent für Neuraltherapie bei der Internationalen Medizinischen Gesellschaft für Neuraltherapie nach Huneke-Regulationstherapie e.V.
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Quellen:

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(1) Chronische Schmerzen ohne körperlich-organischen Befund, Prof. Dr. med. Joachim Bauer, www.psychotherapie-prof-bauer.de
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(2) Psychosomatische Medizin – Krank ohne organische Ursachen – Wenn der Körper verrücktspielt, Anna Vonhoff, FOCUS Online, 06.03.2013
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(3) Wikipedia-Artikel „Triggerpunkttherapie“, http://de.wikipedia.org, Versipon vom 24.11.2013 um 14:36 Uhr
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(4) Triggerpunkttherapie, Susanne Valentin-Katzorke und Gerd Droß in: Handbuch Neuraltherapie – Diagnostik und Therapie mit Lokalanästhetika, Stefan Weinschenk (Hrsg.), Urban & Fischer, 2010
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(5) Myofascial Pain and Dysfunction – The Trigger Point Manual – Volume 1. Upper Half of Body, David G. Simons, Janet G. Travell, Lois S. Simons, Williams & Wilkins, 1999
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