75% der Deutschen leiden hin und wieder unter Rückenschmerzen, inzwischen sind sie nach Atemwegsinfektionen die zweithäufigste Ursache für Arztbesuche. Langes Sitzen, vor allem vor dem Bildschirm, und das auch noch in der Freizeit, führt immer häufiger auch bei gesunden Personen zu Beschwerden der Wirbelsäule. Dazu kommen Bewegungsmangel und Stress, die ebenfalls zu ungünstigen Haltungen führen und Schmerzen bedingen. Diese sind meist harmlos und können mit Physiotherapie und einem angepassten Bewegungsprogramm gelindert werden. Schwieriger wird es, wenn krankheitsbedingte Ursachen wie Schleudertraumen, Bandscheibenvorfälle, Entzündungen wie Rheuma oder Skeletterkrankungen dahinter stecken.
Heute sprechen wir in Pharmawelt über dieses Thema und wie wir Rückenschmerzen aktiv bekämpfen können. Dazu ein Interview mit Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Schmerztherapeut und Leiter Orthopädie an der Universitätsklinik Heidelberg.
Genauso vielfältig wie die Ursachen für Rückenschmerzen sind auch die therapeutischen Behandlungsansätze – hier sollten Experten aus verschiedenen Berufsgruppen kooperieren: Orthopäden, Physiotherapeuten, Sportmediziner, Psychologen, Ergotherapeuten etc. Immerhin zeigen neueste Studien, dass mehr als zwei Drittel der Rückengeplagten aktiv etwas dagegen unternehmen. Sport ist optimal – besonders als Ausgleich für Leute die viel sitzen, heben, stehen oder in ungesunder Haltung arbeiten wie z. B. Zahnärzte. Hier sollte das Bewegungsprogramm an die berufliche Tätigkeit angepasst sein und eine optimale Balance schaffen. Persönlich, empfehle ich euch Pilates, ein Trainingsmethode, das meine Schmerzen im unteren Rücken deutlich verbessert hat.
Sind Operationen am Rücken sinnvoll?
400.000 Wirbelsäulenoperationen gibt es alleine in Deutschland jedes Jahr, von 2005 bis 2010 hat sich die Zahl der OPs sogar verdoppelt. Doch Experten warnen davor, übereilt das Skalpell zu zücken: Denn anscheinend sind 80% der Rückenoperationen gar nicht notwendig! Oft heilen Rückenleiden mit der entsprechenden Therapie von alleine aus. Selbst Bandscheibenvorfälle können innerhalb von 10 bis 12 Wochen von selbst ausheilen.
Hinzu kommt, dass 40% der Operationen rein gar nichts bewirken. Patienten sollten sich bei einer geplanten Rücken-OP also immer eine Zweitmeinung einholen, um Unnötiges zu vermeiden.
Prävention ist wichtig
Neben einem entsprechenden Bewegungsprogramm und einem aktiven Alltag sollten Rückenpatienten darauf achten, rückenfreundliche Alltagsprodukte zu verwenden, wie z. B. Matratzen, Stühle, Sportgeräte oder spezielle Schuhe. Wie man heute weiß, helfen neben Sport auch Spaziergänge, Unternehmungen mit Freunden und Entspannungsphasen, den Schmerz zu lindern. Dieser ganzheitliche biopsychosoziale Ansatz der „Neuen Rückenschule“ widmet sich neben der Stabilisierung der Rückenmuskulatur auch der aktiven Freizeitgestaltung, der Minimierung von Stressfaktoren sowie dem bewussten Genusstraining.
Bei sitzenden Tätigkeiten wird empfohlen, häufiger die Position zu wechseln, immer wieder aufzustehen und sich auch während des Sitzens dynamisch zu bewegen.
Fit mit Paul – Angebot des Gesundheitsministeriums
Eine nette Idee hatte das Bundesministerium für Gesundheit mit dem kostenlosen Bildschirmschoner „Pauls Schreibtischübungen“. Kleine Pausen am Schreibtisch können jederzeit für die kurzen, effektiven Übungen für den Rücken genutzt werden. Hier könnt ihr „Paul“ herunterladen.
Interview mit Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf, Schmerztherapeut und Leiter Orthopädie an der Universitätsklinik Heidelberg
- Wie viel Prozent der Deutschen leiden unter Rückenschmerzen?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Je nach Befragung sind es derzeit ca. 40%.
- Wer kommt zu Ihnen in die Schmerztherapie?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Überwiegend sind es Patienten mit vielfältigen, meist enttäuschenden Behandlungsvorerfahrungen und geringer eigener Handlungskompetenz.
- Wann sollte man einen Schmerztherapeuten aufsuchen?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Wenn man die Rückenschmerzen nicht mehr selbst regulieren kann.
- Ab wann gilt ein Schmerz als chronisch?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Wenn er an mehr als der Hälfte der Tage im letzten halben Jahr vorhanden war.
- Wie behandeln Sie die Patienten?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Ambulant durch Beratung, tagesstationär durch multimodale Programme (integrativer Ansatz mit gleichrangiger Einbeziehung von Ärzten, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Musiktherapeuten). Schmerzmedikamente werden meist vollständig entwöhnt.
- Sind auch Kinder schon von Rückenschmerzen betroffen?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Ja, aber Kinder werden bei uns nicht behandelt.
- Gibt es Unterschiede zwischen Frauen und Männern, was Rückenschmerzen betrifft?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: Frauen gehen häufiger zum Arzt.
- Was kann man vorbeugend gegen Rückenschmerzen tun?
Prof. Dr. Marcus Schiltenwolf: 3-4 Stunden Bewegung pro Woche, Verzicht auf Rauchen, gutes Stressmanagement.
Quelle: medicalpress.de – Artikelbild: © apops – Fotolia.com