Der zweite Teil der Berliner Ausstellung „LOVE AIDS RIOT SEX“ spürt der künstlerischen Auseinandersetzung mit Aids seit 1995 nach. Von Axel Schock
1995 war der lang erhoffte Durchbruch endlich da. Binnen weniger Monate wurden die entscheidenden Fortschritte der HIV-Forschung in Form neuer Medikamente tatsächlich greifbar, und im Jahr darauf war die hoch aktive antiretrovirale Therapie (HAART) bereits Standard in der Behandlung von HIV-Infizierten.
Ganz sicherlich nicht zufällig wurde die Zäsur im zweiteiligen Berliner Ausstellungsprojekt „LOVE AIDS RIOT SEX“ auf das Jahr 1995 gelegt. Wie sehr sich das Leben und der Umgang mit HIV und Aids verändert haben, spiegelt sich auch in der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Thema.
Aids-Kunst als Protest und Anklage
Den ersten Teil dieser von Frank Wagner kuratierten Schau in der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst Berlin (NGBK) zu Kunst, Aids und Aktivismus prägten zum einen dokumentarische Fotos vom Leben mit und vor allem dem Sterben an der Immunschwächekrankheit. Zum anderen verdeutlichten Arbeiten von Künstler- und Aktivistengruppen wie Gran Fury, ACT UP und General Idea, wie sehr sich die Kunst seinerzeit als Teil einer politischen und gesellschaftlichen Bewegung verstand. Kunst war gleichermaßen Trauerarbeit, Aufklärung, Protest, Statement und Anklage.
Aids als Geschäft der Pharmaindustrie
In den nach 1995 bis heute entstandenen Arbeiten der in „LOVE AIDS RIOT SEX II“ vertretenen rund zwei Dutzend Künstler und Künstlergruppen ist dieser Furor und öffentliche Appellcharakter nur noch Zitat. Die Bewegung NUR spielt in ihren Fotocollagen mit AIDS als Warenzeichen, indem sie beispielsweise das Signet einer ARAL-Tankstelle zu AIDS umdeuten oder ein Frachtschiff nach dem Akronym benennen.
Riot (Aufruhr), einer der zentralen Kampfbegriffe der ACT-UP-Bewegung, ist bei dem japanischen Künstler Ei Arakawa zu einem Neon-Kneipenschild verkommen. Elmgreen & Dragset etwa erinnern in ihrer Lichtinstallation „Aids is good Business for some“ an die heute kaum mehr thematisierte Rolle der Pharmaindustrie in der HIV-Epidemie.
Hunter Reynolds hat in der Hochphase der Krise die bisweilen Panik schürenden und unverhohlen homophoben Artikel aus US-Zeitungen gesammelt. Ein Vierteljahrhundert danach hat er sie nun zu großen Flächen vernäht und mit Blut bespritzt und in einem Fall mit einem Einhorn bemalt: dem damaligen Markenzeichen des AZT-Herstellers Burroughs Wellcome.
Der Tod als stille Bedrohung
War das Sterben an den Folgen von Aids in den 1980er und Anfang der 1990er Jahren noch unausweichliche Realität, erscheint der Tod in den neueren Arbeiten lediglich als eine stille Bedrohung. Fast naiv und träumerisch etwa Peter Knochs großformatiges, asiatisch anmutendes Gemälde von Charon, dem Fährmann der Toten. Der polnische Künstler Dominik Lejman projiziert auf ein fast monochrom-schwarzes Gemälde das Video eines halbnackten Mannes, der mit Totenschädeln jongliert.
Dokumentarische Fotografie, die die Aidskunst in den 80er Jahren stark dominierte, ist nunmehr nur noch eine Randerscheinung. Wolfgang Tillmans hat mit seiner Kamera das Treffen von afrikanischen HIV-Treatment-Aktivisten beobacht, Irina Popova mit grobkörnigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen zwei Jahre lang das ausgelassene Leben in einer queeren Wohngemeinschaft in Moskau.
Queere Wohngemeinschaft in Moskau
Überlebensgroß und in eindrucksvoll nüchtern-klarer Ästhetik hat Ono Ludwig die HIV-positive drogenabhängige Petra fotografiert. Die selbstbewusste Haltung, die sie auf diesem Triptychon ausstrahlt, mag beispielhaft für das neue Selbstverständnis von Menschen mit HIV und Aids stehen. Wie schwierig der Weg dorthin ist, zeigt eine Videoarbeit von Lorena Zilleruelo. Sie hilft einer Frau, die durch ihren Ehemann infiziert worden war, wieder körperliche Nähe von Männern zuzulassen – durch einen Tangokurs.
Auf den ersten Blick irritierend mögen die Styroporboxen sein, den AA Bronson, der letzte Überlebende des kanadischen Künstlerkollektivs General Idea bepflanzt hat. Unter den Pflanzenlampen gedeihen frische Setzlinge von Euphoria amygdaloides rubra, besser bekannt als Mandel-Wolfsmilch, die aufgrund ihrer schmerzlindernden und stimmungsaufhellenden Wirkung in der Alternativmedizin zum Einsatz kommt, besonders auch bei Krebs- und Aidspatienten.
Informationen zur Ausstellung
“LOVE AIDS RIOT SEX II – Kunst Aids Aktivismus 1995 bis heute”. Bis 9. März, neue Gesellschaft für bildende Kunst (NGBK), Oranienstraße 25, 10999 Berlin-Kreuzberg. www.ngbk.de
Ende Januar erscheint eine Publikation zum zweitteiligen Ausstellungsprojekt mit Texten von Martin Dannecker, Axel Schock, Detlev Pusch, Rainer Hoffmann, Michael Richter und der Künstlergruppe Gran Fury.
Vom 15.-13. Februar ist im Projektraum Kunstquartier Bethanien (Mariannenplatz 2, 10097 Berlin-Kreuzberg) die begleitende Ausstellung „Werkraum – LOVE AIDS RIOT SEX“ zu sehen. Gezeigt werden dort Arbeiten von Studierenden der Universität der Künste Berlin, der Muthesius Kunsthochschule Kiel und der University of Arts in Poznań, die sich mit den Begriffen Liebe, Aids, Aktivismus und Sexualität auseinandersetzen.
Begleitprogramm
20.1., 19 Uhr: Kinoabend „We Were Here – The Arrival and Impact of AIDS in San Francisco“
23.1. und 6.2., 18 Uhr: Führung mit Kurator Frank Wagner und Gästen
9.2., 18 Uhr: Katalogvorstellung
11.2., 19 Uhr, Podiumsdiskussion „Denkmal, Gedenken und Kunst heute - Grabstätten und Gemeinschaftsgräber zu Aids“
Weiterführende Texte auf aidshilfe.de:
Interview mit dem Ausstellungskurator Frank Wagner
Besprechung des ersten Ausstellungsteils „LOVE AIDS RIOT SEX“