In seiner Praxis behandelt Dr. Thomas Buhk auch HIV-Positive, die ohne Papiere in Deutschland leben. Dabei muss er manchmal gegen Vorschriften verstoßen. Warum die Politik gefordert ist, damit alle Menschen mit HIV in Deutschland Zugang zu einer Behandlung bekommen, erklärt der Hamburger Arzt in diesem Gastbeitrag.
Den Satz „HIV-Infizierte müssen überall auf der Welt Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln haben“ hört man zuweilen von deutschen Politikern, und es entstehen Bilder aus Afrika, wo arme, ausgemergelte Menschen vor Gesundheitszentren Schlange stehen. Es ist ein Satz, der nichts kostet und der natürlich absolut wahr ist, ihn nicht zu bejahen, wäre in hohem Maße zynisch.
Ohne Offenlegung des Aufenthaltsstatus gibt es keine Hilfe
Für dieselben Politiker, die den Satz im Hinblick auf die Länder des Südens befürworten, gilt er trotzdem nicht in Deutschland. Menschen ohne Papiere bleibt der Zugang zur medizinischen Versorgung faktisch versperrt.(1) Der Erhalt von medizinischen Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist an die Offenlegung ihres Aufenthaltsstatus geknüpft. Ohne Offenlegung gibt es keine Hilfe.
Ärztliche Hilfe mit dazugehöriger Diagnostik und medikamentöser Therapie lässt sich bei einer Bronchitis vielleicht noch aus der eigenen Tasche berappen, doch die Diagnostik und Therapie einer HIV-Infektion nicht mehr. Ein bedingungsloser Zugang ist vonnöten – auch in Deutschland!
Folgende Überlegungen sollten der Politik Anlass sein, schnellstmöglich diesen Mangel zu beseitigen:
1. Paragraf 19 des Infektionsschutzgesetzes, das seit dem 1.1. 2001 in Kraft ist, beschreibt die Aufgaben des Gesundheitsamtes in besonderen Fällen. Hier geht es explizit um sexuell übertragbare Krankheiten und Tuberkulose. Demnach hat sich das Gesundheitsamt um ein Angebot zu kümmern, damit diese Erkrankungen diagnostiziert und behandelt werden können. Für Kosten hat im Notfall die Allgemeinheit aufzukommen; die Höhe der Kosten darf kein Grund sein, einen Menschen mit einer Infektionskrankheit nicht zu behandeln, so dass auch die Therapie einer HIV-Infektion eingeschlossen ist. Schließlich gilt, mit der Behandlung die Weiterverbreitung der Infektionskrankheit zu verhindern.
2. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass Menschen mit einer wirksam behandelten HIV-Infektion und entsprechend nicht nachweisbaren HI-Viren im Blut und anderen Flüssigkeiten nicht infektiös sind – das heißt, sie können andere nicht mit dem HI-Virus anstecken. Die größte Studie hierzu ist die HPTN052-Studie, die vor ein paar Jahren im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde.(2) Aber auch das Schweizer EKAF-Statement hat diesen Zusammenhang schlüssig und allgemein anerkannt dargestellt.(3)
3. Die britische Regierung hat aus „Public-Health-Gründen“ zum 1. Oktober 2012 für alle Menschen, die sich in Großbritannien aufhalten, den Zugang zur HIV-Therapie per Erlass ermöglicht.(4) Dabei wurde insbesondere auf die schon erwähnte HPTN052-Studie Bezug genommen.
Verzögerungen bei Diagnostik und Therapie schaden dem Einzelnen und der Allgemeinheit
Es besteht dringend Handlungsbedarf: In Deutschland muss gewährleistet sein, dass jeder Mensch mit einer Infektionskrankheit wie einer Syphilis, einer viralen Hepatitis, einem Tripper, einer Chlamydieninfektion, einer Tuberkulose und auch und insbesondere einer HIV-Infektion Zugang zur Diagnostik und gegebenenfalls zur Therapie erhält. Verzögerungen schaden dem Einzelnen – durch Chronifizierungen und der Verschlechterung des Gesundheitszustandes – sowie der Allgemeinheit: durch höhere Kosten und dem größeren Risiko der Weiterverbreitung.
HIV-Infizierte müssen überall auf der Welt Zugang zu bezahlbaren Arzneimitteln haben – auch in Deutschland und auch, wenn sie ohne Papiere unter uns leben!
(4) The National Health Service (Charges to Overseas Visitors) Amendment Regulations 2012/1586