Gender-Gesundheit: Nicht einfach „nur“ krank

Thommy Weiss / pixelio.de

Thommy Weiss / pixelio.de

Gender oder Sex? Manchmal lassen sich die Grenzen so eindeutig nicht ziehen. Die symptomatischen Unterschiede bei einem sog. “weiblichen” Herzinfarkt zu einem “männlichen” sind durch das biologische Geschlecht bedingt. Die Reaktion und die darauf folgende Diagnose hängen aber oft eng vom Gender-, also dem soziokulturellen Aspekt der behandelnden Ärztinnen und Ärzte, aber auch der betreffenden Patientin ab.

Gerade der Herzinfarkt gilt in unserer Gesellschaft immer noch als typische Männerkrankheit.  Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass Frauen im Vergleich zu Männern eine deutlich schlechtere Chance haben, einen Infarkt zu überleben, weil sie sehr viel später die richtige Behandlung erhalten; denn die  Symptome eines Herzinfarkts äußern bei Frauen des Öfteren differenzierter als bei Männern.. Nur etwa die Hälfte aller Infarkt-Patientinnen berichten von der „klassischen Schmerzsymptomatik“. Nicht selten kommt es vor, dass Frauen über Übelkeit und Erbrechen klagen und Schmerzen im Rücken, dem Oberbauch oder der Schulter verspüren. Frauen erleiden einen Herzinfarkt zwar im Schnitt 10 Jahre später als Männer, aber unterschätzen deutlich das Risiko.

Der 2. Männergesundheitsbericht 2013, offenbart umgekehrt ähnliche Behandlungslücken bei Männern. Hier stehen Depressionserkrankungen an erster Stelle, die häufig nicht erkannt werden oder erst dann wenn es zu spät ist. Das liegt zum Teil daran, dass sich die Symptome von denen einer “weiblichen” Depression unterscheiden und daran, dass diese Erkrankung (noch) nicht mit dem Rollenbild kompatibel bzw. die Öffentlichkeit noch nicht für diese Art der „Männererkrankung“ sensibilisiert ist. Aggressives Verhalten, eine höhere Risikobereitschaft, vermehrter Alkoholkonsum oder auch der Suizid, doppelt so hoch wie bei Frauen, wird häufig nicht mit einer depressiven Erkrankung in Verbindung gebracht.

Mit anderen Worten, was bei Frauen der Herzinfarkt ist, den auch die wenigsten Ärzte und auch die Betroffenen selbst für möglich halten – ebenfalls geprägt durch das Rollenbild – ist bei Männern die psychische Erkrankung bis hin zur Depression. Somit lässt sich festhalten, dass  bei Frauen eher eine psychische Ursache für eine (auch physische) Erkrankung angenommen wird, dagegen bei Männern hinter den Symptomen eher eine somatische Erkrankung vermutet wird, die aber auch für ein psychisches Leiden stehen können.

Männliche Körper die Norm für Arzneimittelstudien

Die meisten Medikamententests werden heutzutage fast ausschließlich an jungen Männern vorgenommen. Kinder, alte Menschen und auch Frauen werden bei diesen Studien gar nicht oder nur kaum berücksichtigt. Doch wird das Medikament zugelassen, kommt es bei allen Menschen zum Einsatz. Erkenntnisse werden dann meist einfach auf den weiblichen Organismus übertragen,  obwohl dieser in seiner Beschaffenheit –  angefangen bei der Größe der Organe, über den Stoffwechsel bis hin zur Knochendichte – ganz anders aufgebaut ist. Somit kann es gerade bei Frauen passieren, dass es zu unerwarteten Folgen kommt. Das trifft v.a. für manche Wirkstoffe in Psychopharmaka zu, die älteren Frauen verabreicht werden und deren Wirkstoffe noch langsamer abgebaut werden als bei jungen Patientinnen mit z.T. sehr unerwünschten Nebenwirkungen., wie einer erhöhten Gefahr, an Demenz zu erkranken. Zugegeben, ein Studiendesign, das einen weniger “berechenbaren” Personenkreis berücksichtigt, ist nicht leicht. Vor dem Hintergrund einer zunehmend personalisierten Medizin sollte es doch nicht unmöglich sein, bildet die Differenzierung in männlich und weiblich hier doch den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Der Spagat zwischen (Arzt-)Beruf und Familie wird immer schwieriger

„Frauen nehmen ein Medizinstudium eher aus idealistischer Vorstellung auf anderen zu helfen; Männer legen mehr Wert auf die Karriere.“ Und: Nur 44,3 Prozent der Absolventinnen arbeiten später tatsächlich als Ärztin. Das heißt andererseits: Mehr als die Hälfte der Medizinstudentinnen gehen unterwegs im Klinikalltag verloren, so ein Fazit der umfassenden Befragung unter Studierenden an den medizinischen Fakultäten der Universitäten Duisburg-Essen und Münster. Von einer “Feminisierung der Medizin” kann also längst noch nicht gesprochen werden. (Und überhaupt: Ist der aktuelle Prozess nicht eher eine „Normalisierung“ der Geschlechterverteilung in der Medizin?)

Abgesehen von enttäuschten Idealen ist der Dauerbrenner “Vereinbarkeit von Familie und Beruf(ung)” ein Grund für dieses Ergebnis. Die Arbeitsstrukturen im Krankenhaus oder die klassische Einzelpraxis im niedergelassenen Bereich sind einer Familienplanung hinderlich, lassen Familie oftmals gar nicht zu. Auch hier gibt es bereits Alternativen, die beiden Lebensaspekten zu ihrem Recht verhelfen. Zuverlässige Kinderbetreuung, die auch außerhalb gängiger Kindergarten- oder Hortzeiten, zur Verfügung steht, schafft eine große Entlastung nicht nur für Ärztinnen, sondern auch von Ärzten, die ebenfalls ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf und Privatleben anstreben. Das Modell einer Gemeinschaftspraxis, die personelle Engpässe auffangen kann, macht es für Ärztinnen möglich z.B. neben der Berufstätigkeit die Ausbildung zur Fachärztin zu absolvieren und noch Kinder zu bekommen. Insgesamt ließe sich mit Blick auf die Befragung der jungen Medizinerinnen die Diskussion um den drohenden Ärztemangel noch mal differenzierter führen.

Denn welche Ressourcenvergeudung leistet sich eine Volkswirtschaft, wenn hoch ausgebildete Frauen u. a. aus Mangel an Betreuungsmöglichkeiten nicht Vollzeit arbeiten können, in Teilzeit auf der Stelle treten oder ganz und gar zu Hause bleiben? Auf der Karriereleiter rücken die nächsten Stufen in weite Ferne und damit natürlich auch der Chefarztposten oder andere mit Einfluss versehene Führungsaufgaben – eine Binsenweisheit, die nicht nur für Deutschland gilt, sondern international. Frauen, die ihrem hochqualifizierten Beruf und, ja, auch einer Karriere nachgehen wollen, haben im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen in den meisten Fällen eine Entweder/Oder-Entscheidung zu treffen.

Gender-Diskussion am Berliner Gendarmenmarkt

Der 2. Bundeskongress Gender-Gesundheit am 13. und 14. März 2014 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften möchte eine Plattform für den interdisziplinären Austausch systemverantwortlicher Frauen und entsprechend sensibilisierter Männer bieten, um das deutsche Gesundheitssystem in diesem Sinne weiterzuentwickeln. Schirmherrin des 2. Bundeskongresses ist die Hamburger Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.

Vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung und einer Zunahme multipler Erkrankungen hat auch die Politik erkannt, dass Pflege ein immer wichtigerer Baustein in der Versorgungslandschaft wird. Eine engere Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gesundheitsberufe wird künftig erforderlich sein und neben Ausbildung und angemessener Honorierung für eine Aufwertung des Pflegeberufs und der übrigen nicht-ärztlichen Heilberufe sorgen. Eine strikte Hierarchie, mit der klassischen Delegation von oben nach unten, wird der Kooperation weichen (müssen).

Ein weiteres Hauptaugenmerk des 2. Bundeskongresses wird anlässlich des Männergesundheitsberichts 2013 auf der Diagnose psychischer Erkrankungen liegen. In diesem Bereich sind Männer deutlich unterversorgt. Für eine geschlechteradäquate Wahrnehmung und Diagnose bedarf es einer Ausbildung, die nicht allein auf das Multiple-Choice-Verfahren setzt, sondern auch auf Kommunikationskompetenzen.

Geschlechterspezifische Aspekte im Gesundheitswesen werden also auf allen Ebenen (Medizin, Ausbildung, Versorgungsstrukturen) ins System eingezogen werden müssen, um zukünftig zielgenau jeden Euro sein maximales Gesundheitspotential ausschöpfen zu lassen.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *