(P. Köhler) Im BMJ wurde kürzlich wieder einmal die bekannte kanadische Studie zur Screeningmammographie publiziert, mit wohlwollendem Editorial, wegen der inzwischen 25jährigen Nachbeobachtungszeit.
Millers Studie ist eine der wenigen prospektiv-randomisierten Studien, die keinen Nutzen des Screenings nachgewiesen haben, und sie wird deshalb oft als Argument in der Diskussion um das europäische Mammographieprogramm herangezogen.
Dennoch wird die Studie mit den Jahren nicht wirklich besser. Vielleicht finden die Autoren es deshalb notwendig, unüblich mit ausgeschriebenen akademischen Graden zu zeichnen (professor, professor emeritus, senior scientist…) – offenbar möchte man eminenzbasierte Wissenschaft betreiben.
Es verwundert deshalb nicht, dass Krebsrate, Gesamtüberleben, und brustkrebsspezifische Mortalität beider Gruppen schon in der ersten Publikation gleich waren – und bis heute gleich geblieben sind.
Von den 6.383 Mammakarzinomen, die Millers Studie auswertet, wurden 1.190 während der Interventionszeit entdeckt, also knapp ein Fünftel. Laut den Autoren hatten diese Frauen, bei denen der Krebs 1980-85 entdeckt wurde, 71% Langzeit-Überlebenrate in der Mammographiegruppe (666 Karzinome) versus 63% in der Kontrollgruppe (524 Karzinome), d.h. es gab in dieser Subgruppe schon eine Risikominderung, die auch als signifikant mit "p<0.2" angegeben ist.
Wenn ich versuche, den Vorteil von 8 Prozentpunkten in absolute Zahlen umzurechnen, komme ich auf 666*0,08 = ca. 50 Frauen, die dank dem Screening überlebt haben.
Bei 225.000 Mammographien wäre das eine Number-needed-to-Treat von 4.500, sicher nicht toll, aber es zeigt die Richtung an. Selbst Kritiker der Screeningprogramme gehen heute von einer NNT < 300 aus (50-69jährige Frauen, siehe Hendrick, AJR 2012).
An den Angaben zur Größe der entdeckten Tumoren (im Durchschnitt 1.9 cm) und der hohen Zahl von sogenannten Intervallkarzinomen (27%) kann man ausserdem sehen, dass die Mammographietechnik in den 80er Jahren wesentlich schlechter bzw. insensitiver war als heute, zumal es keine Leitlinien gab. Lehrbücher (z.B. Heywang-Köbrunner, Bildgebende Mammadiagnostik, 2008, p.461) weisen explizit auf diese Qualitätsmängel hin und stellen auch die korrekte Randomisierung der Studie in Zweifel.
Die kanadische Studie erschüttert m. E. die gegenwärtige Datenlage, die eine Verbesserung der Überlebensrate durch leitliniengerechtes Screening von mindestens 20% feststellt, überhaupt nicht.
Alter Wein in neuen Schläuchen also. – Eine ausführliche Zusammenstellung der Studien, auf die die Europäische Union ihr Screeningprogramm stützt (Edinburgh, Stockholm, Two-county-Study etc.), gibt es z.B. beim National Cancer Institute der USA.
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(Siehe dazu auch meine Blogbeiträge vom Mai 2013 und Dezember 2013.)