Lieber Kollege der befreundeten Intensivstation,
manchmal kann ich nicht anders, ich muss mitten in der Nacht zu Ihnen auf die Station kommen und Sie fragen, was genau ich mit Ihrem letzten Opfer, das aus einer unerklärlichen Laune des Schicksals heraus nicht auf Ihrer eigenen Station sondern auf meiner gelandet ist, denn jetzt bitte noch machen soll. Das mache ich auch gerne, denn ich möchte Ihren Kunden ja optimal bestreuen. Ich verstehe auch, dass Sie Ihren Schönheitsschlaf brauchen und deshalb frage ich auch immer brav bei der Schwester nach, wie lange Sie sich schon in dieses Zimmer da zurückgezogen haben, in dem Ihre Couch steht, damit ich Sie ja nicht beim Schlafen oder Schlimmeren störe. Ich beneide Sie ja auch echt darum, dass es Ihnen in Ihrem Schichtdienst augenscheinlich möglich ist, sich auf Ihr Zimmer zurückzuziehen, wirklich! Aber wenn ich mich dann schon durch die Tür schiebe um mit Ihnen einen Therapieplan zu erstellen, so ist es doch nicht zuviel verlangt, wenn Sie 1. das Licht anmachen, 2. von der Couch aufstehen oder sich zumindest hinsetzen und 3. sich wenigstens bemühen würden, Ihre nur leicht bekleideten Körperteile zu bedecken, während Sie sich mit mir unterhalten?
Lieber Patient,
ich sehe Sie an und weiß, Sie haben gut gelebt. Geraucht, gesoffen und gehurt steht Ihnen quasi auf der Stirn geschrieben. Das ist ja auch ok und geht mich überhaupt nichts an. Gut, Sie haben jetzt die Quittung bekommen und mussten sich leider einer größeren Operation unterziehen, aber es geht Ihnen doch eigentlich schon wieder ganz gut, bis auf die Tatsache, dass Sie ein wenig bluten und ich daher mit einer Bluttransfusion ein bisschen nachhelfen muss. Das mache ich ja auch gerne, denn ich möchte nicht, dass Sie morgen so blutleer auf Ihre Station zurückgehen. Aber Herr Müller, wenn ich dann mit meinen – also eigentlich ja Ihren – Blutprodukten anrücke und Sie mich ansehen wie ein Mondkalb und dann tatsächlich sagen, dass Sie eigentlich keine Bluttransfusion möchten, denn die seien doch nicht so richtig gesund… dann denke ich mir: meinen Sie das jetzt Ernst?
Lieber entfernter Bekannter meines Patienten,
es ist ja wirklich rührend, dass Sie sich Sorgen um Ihren Bekannten machen. Auch dass Sie mitten und er Nacht anrufen, um sich nach seinem Wohlbefinden erkundigen, stört mich überhaupt nicht. Aber als entferntem Bekannten darf ich Ihnen leider keine Auskunft geben. Vor allem nicht am Telefon. Telefonische Auskunft bekommen nur Angehörige, die mir persönlich bekannt sind oder im Einzelfall glaubhaft versichern können, dass sie Angehörige sind. Bitte diskutieren Sie dann nicht mit mir, ob ich Ihnen nicht doch etwas sagen kann. Und vor allem sagen Sie bitte nicht, ich bräuchte Ihnen ja keine Auskunft zu geben, ich bräuchte ja nur zu sagen, ob es dem Patienten gut ginge. Mit solchen Gesprächen verschwenden Sie nämlich nur meine Lebenszeit.
In diesen Momenten gehen mir dann regelmäßig die Worte eines sehr geschätzten Kollegen durch den Kopf, der solche Situationen kommentieren würde mit: “Two words, one finger…”