Vom 3. bis zum 6. März findet in Boston die Konferenz zu Retroviren und Opportunistischen Infektionen (CROI) statt. Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, ist vor Ort. Heute berichtet er über neue Entwicklungen beim Thema Heilung.
Es war eine Sensation: Im letzten Jahr berichtete auf der CROI die Wissenschaftlerin Deborah Persaud über die wahrscheinliche Heilung eines Kindes. Bei der Geburt mit HIV infiziert, hatte es sehr früh, bereits in der 30. Lebensstunde, Medikamente gegen das Virus erhalten (aidshilfe.de berichtete). Es ging als „Mississippi-Baby“ in die Medizingeschichte ein.
18 Monate lang bekam das Kind eine HIV-Therapie, dann entzog die Mutter es der weiteren Behandlung. Sechs Monate später tauchten Mutter und Kind wieder auf. Entgegen allen Erwartungen war im Blut des Kindes mit den üblichen Methoden kein HIV mehr nachweisbar. In der Erbsubstanz seiner Zellen ließen sich nur noch Spuren von Virusbestandteilen finden, die aber nicht vermehrungsfähig waren.
Mississippi-Baby bleibt vorerst geheilt
Nun ist bekannt, dass sich HIV in der Erbsubstanz „schlafender“ Zellen einnisten kann, die auch als Viren-Reservoire bezeichnet werden. Nicht erreichbar für Wirkstoffe gegen HIV, überdauert das Virus dort lange Zeit. Weder Zelle noch Virus sind in dieser Zeit aktiv. Wacht die Zelle aber irgendwann auf, wird das HI-Virus freigesetzt und kann sich im Blut vermehren. Aus diesem Grund nehmen Menschen mit HIV lebenslang Medikamente ein: Sie verhindern die Rückkehr des Virus aus den Reservoiren.
Das Mississippi-Baby erhält bis heute keine Medikamente. Daher wurde dieses Jahr auf der CROI mit Spannung auf den Folgebericht von Deborah Persaud gewartet. Würde die HIV-Infektion wieder aufflammen?
Das Ergebnis: Es tat sich nichts. Nach wie vor kann man in vereinzelten Zellen noch Virusbestandteile nachweisen, zur Vermehrung kommt es aber nicht. Das Kind produziert zudem keine Antikörper gegen HIV, ein gängiger HIV-Antikörpertest würde also „negativ“ ausfallen. Das Mississippi-Baby ist nun 41 Monate alt und lebt davon 23 Monate ohne HIV-Therapie. Es gilt somit weiterhin als (vorläufig) geheilt.
Dies wurde durch die sehr frühe Therapie möglich: Sie verhinderte, dass sich HIV in Reservoiren festsetzen konnte. Wir warten gespannt auf den Bericht zum Mississippi-Baby bei der nächsten CROI 2015.
Zahlreiche weitere Heilungskandidaten
Bei dem einem Baby ist es derweil nicht geblieben: Fieberhaft hat man im letzten Jahr weltweit nach ähnlichen Fällen gesucht – und wurde fündig. Deborah Persaud berichtete noch von einem zweiten Kind und weiteren, die im Rahmen einer Studie dauerhaft beobachtet werden. Diese Kinder waren bei der Geburt mit HIV infiziert worden, was geschehen kann, wenn die Mutter keine Medikamente zur Vorbeugung der Übertragung einnimmt.
HIV-Therapie ab der vierten Lebensstunde
Das zweite Kind erhielt bereits in der vierten Lebensstunde HIV-Medikamente. Zu diesem Zeitpunkt lag seine sogenannte Viruslast bei 317 Viruskopien pro Milliliter Blut. Auch in den Zellen des Blutes und in der Gehirnflüssigkeit war HIV nachweisbar.
Der Erfolg stellte sich schnell ein: Am elften Tag war kein Virus im Blut mehr nachweisbar, am sechsten Tag mit den Standardverfahren auch keine HIV-Erbinformationen mehr in Blutzellen. Mit Spezialmethoden ließ sich noch etwas HIV-DNA in Blutzellen aufspüren, mit den Monaten aber immer weniger.
Im neunten Lebensmonat war das Kind zum ersten Mal „HIV-negativ“, es ließen sich keine Antikörper nachweisen. (Bis zu diesem Zeitpunkt lagen noch Antikörper der Mutter vor, die bei HIV-positiven Müttern schon vor der Geburt ins Kind gelangen.)
Ist das Kind nun geheilt? Diese Diagnose kann man wahrlich noch nicht stellen. Anders als das Mississippi-Baby erhält das zweite Kind noch seine HIV-Therapie. Es ist also unklar, ob nicht nach Absetzen der Therapie die Viruslast wieder ansteigen würde. Das Kind wurde auf der CROI vorgestellt, weil es ein sehr gute Kandidat für eine Heilung ist. Dafür sprechen die sehr frühe Therapie, der Verlauf der Viruslast und die Reduzierung der Reservoire.
Darum geht es nun verstärkt, auch bei den noch folgenden Kindern: Kandidat zu sein für eine Heilung. Davon gibt es nicht wenige: Deborah Persaud stellt in Boston eine Studie mit 144 Kindern vor, die bei der Geburt mit HIV infiziert wurden. Diese werden in drei Gruppen eingeteilt:
HIV-negativ trotz Infektion bei der Geburt
Bei Gruppe 1 mit 14 Kindern erfolgte die Therapie früh, die Viruslast war schon im ersten Jahr unter der Nachweisgrenze. Bei den später behandelten 53 Kindern in Gruppe zwei trat die Senkung der Viruslast erst zwischen dem ersten und fünften Lebensjahr auf. In der dritten Gruppe mit 77 Kindern erst nach dem fünften Lebensjahr.
Vergleicht man nun die besagten Viren-Reservoire, schneiden die früh behandelten Kinder sehr viel besser ab: Es gibt deutlich weniger Zellen, in denen HIV inaktiv überdauert.
Ein bemerkenswertes Ergebnis: Bei 86 % der früh behandelten Kinder fällt der HIV-Test nach einiger Zeit wieder „negativ“ aus. Eben diese Kinder haben die wenigsten Schläferzellen. Sie sind die Heilungskandidaten.
Wie geht’s weiter?
Vielleicht muss man diese Kinder nur noch eine gewisse Zeit weiter behandeln, bis die Reservoire so weit geschrumpft sind wie beim Mississippi-Baby. Dieses Kind hat gezeigt, dass eine Heilung durch eine sehr frühe Therapie möglich ist – zumindest für längere Zeit.
Aus den Ergebnissen der vorgestellten Studien lässt sich einiges für die Heilungsforschung lernen: Die Bedeutung der Reservoire ist enorm, eine sehr frühe Therapie kann hier hohen Nutzen haben. Zugleich sucht die Forschung zurzeit nach Wegen, bereits gefüllte Reservoire wieder zu entleeren. Dazu müsste man die Zellen wecken und damit HIV aktivieren. Das Virus würde dann durch die bereits verfügbaren Medikamente an der Vermehrung gehindert, die Zellen würden eines natürlichen Todes sterben. Damit wären die Reservoire getilgt, der Patient geheilt.
Aber das ist noch Zukunftsmusik.