Markus* (44) und Bram* (35) sind seit sechs Jahren verheiratet. Im Verlauf ihrer Beziehung hat Markus sich mit HIV infiziert. Eine Zeit lang hatten sie kaum Sex miteinander, doch dann fanden sie einen Weg, ihr Sexleben neu aufzubauen. Interview: Leo Schenk
(Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeous; Übersetzung der englischen Version: Holger Sweers. Herzlichen Dank an Herausgeber und Autor Leo Schenk für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. )
Bram: Markus kam immer in das Café, in dem ich arbeitete. Ich fand ihn süß, hab aber nie mit ihm gesprochen. Erst als der Putzmann ihn abschleppte, erkannte ich, dass ich schnell sein musste, wenn ich eine Chance haben wollte.
Markus: Ich hab erst gar nichts mitbekommen. Später mal haben wir uns dann auf einer Party getroffen und sind schließlich bei dir gelandet.
Bram: Unser erster Sex war klasse. Der zweite war auch toll, aber dann änderte sich das. Ich weiß, dass ich ein bisschen unbeholfen sein kann, wenn ich mich in jemanden verliebe. Ich hatte damals gerade eine schwierige Zeit hinter mir und litt unter Schlafstörungen. Du hast mir gezeigt, wie ich wieder schlafen kann. Für uns ist das Schlafen wichtiger und intimer als alles andere, was wir teilen. In zehn Jahren habe ich nie bei jemand anderem im Bett geschlafen, und kein anderer hat jemals in unserem Bett geschlafen. Als Schläfer sind wir strikt monogam, und auch wenn unsere Beziehung nicht monogam sein mag, bringen wir nur selten irgendwelche Gelegenheitspartner nach Hause.
„Als Schläfer sind wir strikt monogam“
Markus: In den ersten drei Monaten unserer Beziehung waren wir monogam, aber dann ist die Sache ein bisschen abgekühlt, und wir hatten beide Sex mit anderen.
Bram: Du hast gesagt: „Wenn du möchtest, dass wir zusammenbleiben, musst du eins wissen: Ich bin nicht monogam. Wenn du danach suchst, sollten wir das jetzt besser beenden.“
Markus: In meiner ersten Beziehung hatte ich gemerkt, dass es mir wichtig ist, auch mit anderen Männern Sex zu haben, vielleicht, weil ich ein Spätzünder war.
Bram: Für mich war das okay. Die Beziehung, die ich vor Markus hatte, war monogam. Ich war noch sehr jung damals und dachte, dass Monogamie die einzige Option wäre, obwohl ich in Wirklichkeit gerne Sex mit verschiedenen Partnern hatte.
Markus: Sex spielt eine sehr wichtige Rolle für meine Gesundheit. Ich fühle mich dadurch jung, sowohl geistig als auch körperlich. Für mich ist Sex die Würze des Lebens. Wir haben schnell auf Kondome verzichtet. Das ist mir einfach sehr wichtig, ist tief in mir verwurzelt. Wir haben abgemacht, dass wir mit anderen nur Safer Sex machen, und ich hab auch wirklich versucht, mich daran zu halten, aber ein Mal ist das fürchterlich schiefgegangen.
Bram: In dieser Nacht hast du mich aufgeweckt, als du nach Hause kamst. Du warst dir nicht sicher, was passiert war, und hattest Angst, dass was schiefgelaufen sein könnte. Ich sagte: „Mach dir keine Sorgen, es wird schon gutgegangen sein.“ Sechs Monate später kam dann das positive Testergebnis. Ich erinnere mich noch genau an den Tag. Wir tranken gerade Kaffee, als das Telefon klingelte. Du gingst ran, und dann sah ich, wie dein Gesicht leichenblass wurde. Wir mussten gleich in die Klinik, damit ich auch getestet wurde. Mein Test fiel negativ aus. Bevor das passierte, hatte ich darüber nachgedacht, wie ich mich wohl fühlen würde, wenn du dich nicht an unsere Abmachung hieltest. Ich hatte mir immer ausgemalt, dass ich wütend sein und mich betrogen fühlen würde. Aber die ganze Situation war so emotional, dass überhaupt keine Zeit für Wut war. Und ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, dass du etwas falsch gemacht hättest.
„Sex stand für uns nicht mehr auf der Tagesordnung“
Markus: Ich war unglaublich erleichtert, dass er nicht positiv war, denn das wäre zu dem Zeitpunkt zu viel für mich gewesen. Erfahren zu müssen, dass ich positiv war, war sehr schmerzhaft für mich. Ich fühlte ganz klar, dass ich jetzt auf der anderen Seite stand. Ich war emotional völlig durcheinander und brauchte eine ganze Weile, um damit klarzukommen.
Bram: Eine Zeit lang stand Sex für uns nicht mehr auf der Tagesordnung.
Markus: In den ersten sechs Monaten hatte ich totale Angst, ihn zu infizieren, also haben wir wieder Kondome benutzt.
Bram: Ich hatte das Gefühl, dass du dich zu sehr zurückzogst. Unsere Beziehung wurde ruhiger, im wörtlichen Sinne. Dann wurdest du krank, und deine Krankheit begann ihre eigene Rolle in unserer Beziehung zu spielen. Du warst ziemlich schwer krank, warst erst zu Hause, dann im Krankenhaus. Lange Zeit war nicht klar, in welchem Zustand du sein würdest, wenn alles überstanden wäre.
Markus: Es gab definitiv Augenblicke voller Schmerz und Traurigkeit, aber als ich dann krank wurde, entdeckte ich tief in mir eine Quelle für unglaubliche Stärke und Optimismus. Ich hatte immer einen Hang zur Depression, weil ich mir Gedanken gemacht habe, was alles schiefgehen könnte. Aber als ich im Krankenhaus lag, wusste ich, dass ich ganz unten war – und von dort konnte es nur aufwärts gehen. Seitdem bin ich viel fröhlicherer Mensch und war kein einziges Mal mehr depressiv.
Bram: Zwei Jahre lang hatten wir keinen Sex miteinander, aber ich hatte Sex mit anderen und hab mich deswegen auch nie schuldig gefühlt. Dann raffte Markus sich auf und fing an, zu Treffen von Poz&Proud zu gehen. Damit wurde er Teil einer Subkultur, die für mich keinen Platz zu haben schien, was hart für mich war. Ich war eifersüchtig darauf, was er wohl mit diesen Männern teilte, und fühlte mich von ihm richtiggehend betrogen.
Markus: Deshalb hab ich ihn eingeladen, mal zu einem Treffen mitzukommen, damit er die Leute einfach mal sieht.
Bram: Ich musste einfach miterleben, was Markus machte – nur eine Zeit lang, um zu verstehen, was mit ihm passierte. Und dabei wurde mir klar, dass es da etwas gab, was diese Männer miteinander verband.
Markus: Damals gab es viele Infos über die Auswirkungen der HIV-Therapie auf die Viruslast. Bei einem der Poz&Proud-Treffen sprachen wir mit einem Paar – einer positiv, einer negativ. Sie erzählten uns, dass sie Sex ohne Kondom hatten, weil die Viruslast des positiven Partners unter der Nachweisgrenze lag. Bram und ich sahen uns an und dachten beide: „Und warum zum Teufel nehmen wir dann noch Kondome?“ In dieser Nacht hatten wir Sex, und Bram benutzte kein Gummi. Ich dachte zwar mal kurz: Und was, wenn es schiefgeht? Aber für diesen Fall haben wir beide gesagt, dass wir gemäß dem aktuellen Wissensstand handeln.
Bram: Das mag jetzt ein bisschen seltsam klingen, aber ich dachte: Wenn das unsere Beziehung rettet, wo ist dann das Risiko? Ich möchte, dass nichts uns beiden in unserem gemeinsamen Leben in die Quere kommt. Das heißt, dass wir uns beim Sex gehen lassen können. Hier geht’s um Liebe, samt Virus und allem.
„HIV ist beim Sex kein Thema mehr für uns “
Markus: Meine Viruslast ist unter der Nachweisgrenze, und ich nehme die Medikamente nach Vorschrift ein. Alle drei Monate lasse ich mich auf sexuell übertragbare Infektionen checken, und wenn irgendwas diagnostiziert wird, teile ich das meinen Sexpartnern mit.
Bram: Ich hab mich nie so sehr davor gefürchtet, mich mit HIV anzustecken, wie Markus. Mit der Zeit bin ich viel entspannter geworden. Das kommt daher, dass ich mit Markus zusammenlebe und weiß, dass das Risiko einer HIV-Übertragung sehr gering ist, wenn der Positive erfolgreich behandelt wird. Unser Modell passt sicher nicht für alle Beziehungen, aber bei uns funktioniert’s. Ich gehöre jetzt sogar zu einer Kohortenstudie mit schwulen Männern am Amsterdamer Gesundheitsamt GGD und mache alle drei Monate einen HIV-Test.
Markus: Die Leute müssen selbst entscheiden, wie sie die Risiken bewerten. Wichtig dabei ist, dass man sich wohlfühlt mit dem Leben, das man gewählt hat. HIV ist beim Sex kein Thema mehr für uns. Wenn Bram irgendwann ein positives Testergebnis bekommen sollte, weiß ich, dass wir damit klarkämen. Natürlich wäre das eine traumatische Erfahrung, die man nicht unterschätzen sollte. Aber wir wissen so viel über das Leben mit dem Virus, dass wir damit zurechtkämen.
Bram: Du warst der erste Mensch in meinem Leben, bei dem ich das positive Testergebnis mitbekam, und damals sah die Sache noch anders aus. Aber heute sind viele unserer Freunde positiv. Das ist Teil unseres Alltags, unseres Lebens.
* Namen geändert