Einer geht noch…

Diese Geschichte erzähle ich nicht zum ersten Mal, aber sie tritt auch irgendwie öfter als nur einmal auf. Weil es so schön ist, hier noch ein er aus der Kategorie “das müssen Sie doch nicht wissen, Sie sind doch nur der dusslige Anästhesist”.

Im Prädmedikationsgespräch, Dr. Anna gibt sich die Ehre.
“Herr Mayer, haben Sie irgendwelche Vorerkrankungen?”
“Ja. Ich hatte einen Tumor der Bauchspeicheldrüse. Der ist letztes Jahr operiert worden.”
“Okay. Weitere Erkrankungen?” Ich blicke auf den Anamnesebogen, da steht was von Bauchspeicheldrüse und sonst nichts, nada, niente, was mir schon komisch vorkommt.
“Nein, sonst bin ich gesund. Also, Leistenbruch hatte ich noch. Ist aber schon vorbei.”
“Narkosen immer gut vertragen?”
“Ja, da war nichts.”
“Medikamente?”
“Nö.”
Ich blättere einem mit den Jahren geschärften Instinkt folgend in der Akte – da finde ich ihn, einen alten Arztbrief vom letzten Jahr. Ich lese und es steht mir der Schweiß auf der Stirn.
“Herr Mayer…”
“Ja?”
“Hier steht, sie hatten eine Chemo…”
“Ja.”
“Erschien Ihnen das nicht erwähnenswert?”
Schulterzucken. “Ist doch schon vorbei.”
“Und Herr Mayer…”
“Ja?”
“Hier steht, dass sie während der letzten OP Torsaden entwickelt haben, ins Kammerflimmern gerutscht sind und reanimiert werden mussten.”
“Ach ja. Richtig.”
“Und sie denken nicht, dass ich das wissen sollte? So als Anästhesisten? Dass sie gelegentlich mal reanimiert werden, wenn sie auf dem OP-Tisch liegen?”
Schulterzucken. “Ist doch schon…”
“Nein, sagen Sie es nicht!”, unterbreche ich ihn.

Mehr ertrage ich nicht.

 

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