Sehr geehrter Herr Plasberg,

Sie fragten in Ihrer Sendung Hart aber Fair vom 14.04.2014, ob mehr Geld die Pflege besser mache. Einleitend untermauern Sie die Frage mit dem Hinweis, dass die Regierung die Pflege besser finanzieren wolle – wir alle das mit höheren Beiträgen zur Pflegeversicherung tragen sollen und schieben die Fragen hinterher, ob mehr Geld den pflegenden Angehörigen helfe und die Heime menschlicher mache.

Das sind sicher wichtige und richtige Fragen – deren Beantwortung Sie in der Sendung aber schuldig bleiben. Mir ist klar, dass Talkshows ihre eigene Dynamik haben. Mir ist allerdings – hinsichtlich der Ausgangsfrage – die Auswahl der Talkgäste nicht ganz klar. Welchen Erkenntnisgewinn haben Sie von der Beteiligung von Frau Nordmann, Herrn Müller-Gerbes und Frau Rosenberg erwartet? Deren Beitrag und Leistung auch hinsichtlich ihres sozialen und beruflichen Engagements in allen Ehren – aber was war die Erwartungshaltung hinter deren Beteiligung?

Ich habe ja eine Vermutung: Pflege hat in der öffentlichen Wahrnehmung etwas mit alten Menschen zu tun (Frau Nordmann, KDA), belastet vor allem die Angehörigen (Frau Rosenberg) und am Ende stirbt man hoffentlich nicht alleine (Herr Müller-Gerbes).

Pflege betrifft den alten Menschen
Weit gefehlt – Pflege geht zunächst jeden an und findet unabhängig vom Alter statt. Pflege ist ein eigenständiger und notwendiger Bereich im Gesundheits- und Sozialwesen, der unter Anerkennung pflegewissenschaftlicher, medizinischer und anderer Erkenntnisse verantwortlich bei der Verhütung, Erkennung und Heilung von Krankheiten mitwirkt. Und Pflege ist die Disziplin, die unter Einbeziehung präventiver, rehabilitativer und palliativer Maßnahmen auf die Wiedererlangung, Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der zu pflegenden Menschen ausgerichtet ist und so nah an den Betroffenen ist wie keine andere Profession im Gesundheitswesen. Es ist also zunächst absurd, Pflege auf ihre Anwendung im Wirkungsfeld des Sozialgesetzbuches XI zu reduzieren. Das lässt sich noch verdeutlichen, wenn der Blick auch auf den Versorgungssektor gerichtet wird, der in der Sendung ausgeblendet wurde: der Pflege im Krankenhaus geht es hinsichtlich der Arbeitsbelastung im Augenblick sehr schlecht und internationale Studien bestätigen, dass unter dieser Situation vor allem die Patienten leiden – und zwar mit ihrer Gesundheit.

Pflege belastet vor allem die Angehörigen
Es ist ohne Zweifel tragisch, was sich mitunter in Familien abspielt, die den Verfall eines nahen Menschen unmittelbar im häuslichen Umfeld begleiten und verfolgen, dafür z.B. eine berufliche Entwicklung verpassen, Freunde verlieren, Beziehungsstörungen riskieren. Aber um das einmal klar zu stellen (und die Angehörigenvertreter mögen mir das verzeihen, aber ich sage das aus dem Blickwinkel der beruflichen Pflege): das ist keine Pflege, wie wir das verstehen. Allenfalls ist es ein “Kümmern”. Das ist nicht weniger wichtig oder weniger belastend, aber es ist halt keine Pflege. So gesehen ist es einfach auch absurd, vom größten Pflegedienst der Nation zu sprechen. Einen von Demenz betroffenen Familienangehörigen 24 Stunden am Tag um sich zu haben, ist kein Zuckerschlecken. Es ist aber auch kein Zuckerschlecken, als Pflegefachperson allein im Nachtdienst die Verantwortung für 40 von Demenz betroffene Bewohner zu tragen. Und schon gar nicht, wenn man weiß, was alles möglich wäre, wenn denn nur genug Personal vor Ort sei. Dass wir nicht genug Pflegefachpersonen haben (in allen Versorgungsbereichen) geht auch darauf zurück, dass Politik und Arbeitgeber davon ausgegangen sind, dass sich schon genug Leute für den Pflegeberuf finden würden und es eigentlich egal sei, wie man mit diesen umgehe. Diese Behauptung belege ich mit den Gehaltsstrukturen der beruflichen Pflege, den zur Verfügung gestellten Ressourcen, dem Überstundenanfall, den Zugangsvoraussetzungen – mittlerweile sind wir dann soweit, dass sich eben immer weniger junge Menschen für den Pflegeberuf interessieren. Der zur Sendung eingeladene Arbeitgebervertreter Bernd Meurer war an dieser Stelle von bestechender Ehrlichkeit, als er äußerte, es sei ihm eigentlich egal, wie viel sein Pflegepersonal verdienen würde.

Verstehen Sie mich nicht falsch: ohne die Versorgung durch Angehörige können wir einpacken und das Licht ausmachen. Aber tun Sie uns bitte alle einen Gefallen und vermengen Sie die unterschiedlichen Probleme nicht miteinander. Wir haben in der beruflichen Pflege erhebliche Probleme, wir wollen darüber reden und wir wollen, dass Sie uns zuhören. Denn wir machen einen schweren Job für Sie. Dafür dürfen wir doch wohl erwarten, auch ernst genommen zu werden.

Hoffentlich stirbt man nicht allein
Und wir fühlen uns nicht ernst genommen, wenn wir immer und immer wieder auf die Zuwendung, Wärme und Nähe reduziert werden.
Nicht, weil wir das nicht erbringen wollen – soziale Kompetenz, Empathie, Fähigkeit zur Fürsorge sind wichtige Aspekte beruflicher Pflege. Es sind aber nicht die einzigen Fähigkeiten, die notwendig sind und das wollen Sie auch gar nicht. Sie wollen eine vernünftige und gute pflegerische Versorgung, die über Händchen halten hinaus geht. Was nutzt Ihnen denn die Zuwendung, wenn Sie ein vermeidbares Druckgeschwür erleiden? In diesem Zusammenhang: Sie sprachen von Spitzenzeiten in der Pflege und dass doch dazwischen Zeit für Zuwendung sei. Pflege ist eine 24h-Aufgabe, da gibt es keine “Spitzenzeiten” – wenn ein Mensch einen Pflegebedarf hat, dann hat er ihn rund um die Uhr. Da kann auch eine Abrechnung der Pflege im Mintutentakt nicht drüber hinwegtäuschen. Die Zuwendung gibt es während der Pflegehandlung – und zwar, wenn genug Personal vor Ort ist, um mit der angemessenen Ruhe und Aufmerksamkeit die jeweilige Pflegeleistung erbringen zu können. Anzunehmen, dass wir mit zu wenig Personal eine Premiumversorgung plus Zuwendung erbringen könnten, setzt eine gewisse Erwartung an unsere Opferbereitschaft voraus. Wir gehen oft genug dafür an unsere Grenzen – aber erwarten Sie bitte nicht, dass wir das noch lange durchhalten.

Merken Sie eigentlich, was Sie uns auf die Schultern laden, wenn Sie unsere Opferbereitschaft bewundern? Wir sind doch keine Märtyrer, die für das Wohl der anderen auf dem Scheiterhaufen bereitwillig brennen. Wir üben einen Beruf aus – wir wollen unsere Familien ernähren, Kredite abbezahlen, in den Urlaub fahren, uns weiterbilden, Sport machen, vernünftiges Essen bezahlen können. Wir sind ganz normale Menschen. Natürlich begleiten wir Menschen in schwierigen Lebensphasen (im Übrigen auch Angehörige), aber das machen andere therapeutische Berufe auch – nur dass die keine Engelsflügel umgehängt bekommen. Das Engelsgleichnis und dessen Analogien sind ein Kennzeichen Ihrer mangelnden Wertschätzung für den Pflegeberuf und seine Leistungen.

Wenn Sie dann einem ausgefuchsten Medienprofi wie Meurer eine junge Altenpflegerin gegenüber stellen, die am Anfang ihrer Berufslaufbahn steht, dann wird’s mir ganz schwindlig. Ihre joviale Fragetechnik tut ihr übriges: am Ende wollten Sie ja auch nichts anderes hören, als dass die junge Frau vor allem für die Zuneigung ihrer Alten und den freien Zugang zu einem Massagesessel arbeitet. So gesehen hat sich die junge Kollegin als Quotenpflegende von Ihnen vorführen lassen. Ich will Ihnen nicht nachtragen, dass Sie nicht bei uns gefragt haben, aber ich erkenne den Reflex Ihrer Redaktion: lass uns mal noch eine Pflegende dazu nehmen, aus dem Altenheim, sollte unbedingt noch am Bett arbeiten – das ist so authentisch. Glauben Sie mir – das Gegenteil ist der Fall.

Die erschütternde Erkenntnis des Abends ist es dann auch, dass wir immer die Politik auffordern, die Probleme in der Pflege zu richten – und in einem Teil der Medien ein Bild von Pflege transportiert wird, das den eingeschlagenen Weg weiter ebnet. Dass es auch anders geht, hat ZEIT-Redakteur Burkhard Strassman kürzlich aufgezeigt, als er in einem differenziertem Beitrag die Not der Pflegenden in Deutschland auch für Laien verständlich nachzeichnete (nachzulesen in der Ausgabe 12/2014 unter dem Titel “Schluss mit Schwester”).

Ach so – Hermann Gröhe? War gut; mal sehen wie es so weitergeht.

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