Ein Notarzteinsatz der üblichen Sorte (irgendwas mit Herz) in der üblichen Altbauwohnung (mindestens sieben Zimmer) um die übliche Uhrzeit (irgendwann am sehr späten Abend) an einem üblichen Tag (Wochenende) bei den üblichen Kunden (Mitte siebzig, sehr privat, nur mäßig krank). Nachdem ich dem Herren erklärt hatte, dass er jetzt bitte mal aus seinem Himmelbett steigen und sich in unseren bequemen Rettungwagen setzen solle, wollte dieser natürlich noch die Örtlichkeiten aufsuchen. Da er nicht selbst die heiligen Hallen aufsuchen konnte, reichte man ihm eine Flasche.
Bin ja gut erzogen, also drehte ich mich diskret weg und vergrub mich in der Dokumentation. Die Ehefrau des Kunden (teurer Bademantel, lange, graue, auf Lockenwickler gedrehte Haare und trotz der fortgeschrittenen Stunde noch perfektes Make-up) bemerkte das und kommentierte es mit einem verzückten Ausdruck auf dem Gesicht: “Ach, sind Sie SÜßßßß!”
Junge Frau, ich bin viel. Ich bin auch schon viel genannt worden. Sicherlich auch schon mal “süß”. Aber man hat mich das noch NIE auf der Arbeit genannt und das hat auch einen Grund. Ich komme als Notärztin in ihr Haus und kümmere mich um ihren nicht sonderlich kranken aber dennoch behandlungsbedürftigen Gatten. Sie können mich kompetent, inkompetent, freundlich, unhöflich, geschickt, gradlinig, unsicher oder unglaublich intelligent finden. Meinetwegen auch süß. Aber ganz im Ernst, dann behalten Sie es doch bitte für sich. Ich fand ihren Bademantel unmodisch, ihre Frisur daneben und ihren Auftritt gänzlich inakzeptabel, aber auch das habe ich für mich behalten. Aus Gründen!
Das musste jetzt einfach mal gesagt werden.