Die amerikanische Organisation „Books for Africa“ hat einen Container geschickt. Dieser rostet bereits seit einiger Zeit auf einer Wiese im Eingangsbereich der Klinik vor sich hin. Wer hat bloß den Schlüssel? Diese Frage wartet schon lange auf Beantwortung. Endlich kümmert die Kinderärztin sich an einem freien Nachmittag darum, dass der Krankenhaustechniker das Schloss knackt. Zum Vorschein kommen bis unter die Decke des Containers gestapelte Kisten mit englischsprachigen Büchern aller Arten. Schul- und Märchenbücher, medizinische Fachbücher, Krimis, Frauenromane, Esoterik, Religion – von allem gibt es etwas, und die Begeisterung ist groß! Da es weit und breit keinen Buchladen in Serabu gibt, sind Bücher eine Kostbarkeit. Der Ambulanzfahrer des Krankenhauses wird angeheuert, die Kisten auf dem Gelände zu verteilen. Auch die chirurgische Männerstation erhält zwei Kisten mit Krimis und Romanen, die bei den Patienten und dem Personal reißenden Absatz finden; Lange Schlangen bilden sich vor dem Dienstzimmer, jeder möchte ein Buch haben, und sicherlich auch Diejenigen, die kaum lesen können. Während ein verletzter Motorrad-Taxifahrer einen Frauenroman liest, der in den amerikanischen Südstaaten spielt, steckt der Stationspfleger die Nase in einen speckigen Highschool-Krimi mit dem Titel „ Murder in Fear Street“. Eine der Schwestern durchforstet die Kisten nach einer englischen Bibel. Ein Comic über Abraham und Isaak ist das einzige, was sie findet. Ein bisschen mehr Qualität wäre zuweilen schön. Und trotz der allgemeinen Freude über die Bücher kann man nicht ganz darüber hinwegsehen, dass es sich bei den meisten um den Abfall einer fernen, reichen Welt handelt. Aber einige wenige der Bücherspender haben auch ihr Bestes gegeben. So findet sich zum Beispiel ein Stapel von zehn neuen, vierfarbig bebilderten Anatomiebüchern, die an die Studenten und CHO‘s verteilt werden. Juwelen wie diese sind jedoch selten.
Die Kinderstation erhält einige Kisten mit Bilderbüchern und sogar die Schwestern blättern begeistert durch die bunten Seiten, auch wenn das, was sich darauf abgebildet findet, zuweilen weit weg von der afrikanischen Realität ist: Tiere, die kein Dorfbewohner je gesehen hat, Gemüse und Früchte, die hier nicht wachsen und Lebensumstände, die von Nordamerika erzählen, aber in Serabu völlig fremd sind. Aber all das macht gar nichts. Es wird gelacht und gerätselt und gezeigt und die Bücher sorgen für große Freude. Die Kinderärztin richtet einige Regale ein und sorgt dafür, dass ihre kleinen Patienten jeweils für einige Tage ein Buch mitnehmen und dann gegen ein neues umtauschen können. Es gibt dabei einen deutlichen Schwund, und man fragt sich, was wohl aus den Büchern geworden ist. Ob sie irgendwo auf dem Markt auftauchen werden? Auch außerhalb des Krankenhausgeländes kann man nun Menschen beim Lesen entdecken. Im Einkaufslädchen wird ein Bilderbuch über die Länder der Welt gesichtet, beim Schneider liegt ein Lesebuch für die fünfte Klasse neben einem Stapel mit bunten Stoffen. Aus den Kisten mit Kinderbüchern hat die Ärztin einige aussortiert, zu alte, ihr nicht schön genug erscheinende, wenig ansprechende Bücher, die jetzt in Kisten liegen, die entsorgt werden sollen. Aber auch diese Bücher werden von den Helfern, die sie auf den Müll bringen sollen, mitnichten entsorgt. Immer wieder entdeckt man Grüppchen von Kindern, die kleine Bücherstapel auf dem Kopf balancierend, in Richtung Ausgang wandern.
Von Dr. Sabine Waldmann-Brun, die zuletzt in Sierra Leone im Einsatz war.
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