Der Busfahrer und ich

Ich habe mich wundern müssen – zumindest ein wenig. Ich habe diesen Artikel bei SPON gelesen, in dem es um die schrecklichen Arbeitsbedingungen für Fernbusfahrer geht, die manchmal sogar Ihren Fahrtenschreiber manipulieren, damit nicht auffällt, dass Sie mehr als neun Stunden am Stück gearbeitet haben. Das sei ja schließlich gefährlich, der Busfahrer hat ja eine so große Verantwortung! Versteht mich nicht falsch, der Fernbusfahrer hat eine große Verantwortung und ich möchte auch nicht von einem übermüdeten Fernbusfahrer über die Autobahn kutschiert werden. Trotzdem ging mir dieser Artikel in meinem letzten Dienst nicht aus den Kopf…

Der Tag begann um 7.45 Uhr in einem Operationssaal mit der üblichen Kundschaft. Nach 8 Stunden und 30 Minuten Arbeit begann mein Bereitschaftsdienst und es änderte sich erstmal nichts. Ich blieb in meinem Saal sitzen, denn der Eingriff dauerte eh länger. Gleichzeitig klingelte dauernd mein Telefon und die armen Kollegen, die nach Hause gehen wollten, aber noch immer in ihrem Saal gefangen waren, forderten Ablöse. Ich verbrachte die nächste Stunde mit (ver)trösten und rumtelefonieren, während ich nebenbei noch die Chirurgen unterhielt und den Patienten schlafend ließ. Gegen 17.30 Uhr war ich mit meinem Patienten fertig, alle Kollegen, die nach Hause durften, waren gegangen und all diejenigen, die das Haus noch nicht verlassen hatten, waren verräumt und arbeiteten die Notfälle und das Restprogramm ab. Ich gönnte mir ein schnelles Joghurt, bis um 17.45h die nächste Fachdisziplin einen Notfall hatte, der aufgeklärt werden musste und dann in den OP gehen sollte. Das Spiel ging also weiter. Bis 21 Uhr gab es immer mal wieder eine Ablöse, weil noch zusätzliche Kräfte im Haus waren. Ab 21 Uhr waren wir zwei Diensthabenden allein und standen parallel in je einem Saal mit Notfällen. Ich war nun seit 13 Stunden im Haus und hatte davon etwa eine Stunde Pause. Den Rest der Zeit habe ich gearbeitet. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich erstmalig an den armen Fernbusfahrer.

Die Chirurgen hatten auch keinen guten Tag erwischt. Um 21 Uhr zeichnete sich schon ab, dass man noch zwei weitere Fälle nicht aufschieben können würde. Der erste von drei Fällen endete um 1 Uhr. Ich war müde, ich war kaputt und gab die Kundschaft eher unwirsch auf der Intensivstation ab. Der nächste Fall lag schon sorgenvoll dreinblickend und mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Einleitung. Es war 1.15 Uhr als der nächste Kunde geschnorchelt wurde. Ich dachte wieder an den Busfahrer. Ich arbeitete jetzt seit 17 Stunden. Es hat mich noch keiner gefragt, ob ich vielleicht müde sei oder ob das nicht eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit ist, die ich jetzt nach 17 Stunden noch ausführe. Ich fahre das Mindestprogramm für den Patienten, das Ziel heißt “schmerzfrei überleben”, alles, was nicht unbedingt gemacht werden muss, wälze ich auf den Kollegen auf der Intensivstation ab, wo ich den Patienten gegen 2.30 Uhr abgebe – um mich sofort dem nächsten Fall zuzuwenden… Mittlerweile hatte ich über 18 Stunden Narkose gemacht. Ich fragte mich, was wohl der Busfahrer dazu sagen würde. Um 4 Uhr schließlich ging ich endlich ins Bett – nach 20 Stunden mehr oder weniger durchgehendem Dienst am Kunden.

Das nennt sich Bereitschaftsdienst und ist absolut legale Praxis in allen deutschen Krankenhäusern. Das funktioniert, weil das nach acht Stunden ja keine “Arbeitszeit” mehr ist, sondern sich “Bereitschaft” nennt. Hätte ja auch Glück haben können und schlafen. Hatte ich aber nicht. Der Chirurg übrigens auch nicht und der hatte nach 20 Stunden immer noch ein scharfes Messer in der Hand. Das sage ich jetzt ja nur mal so nebenbei, aber vielleicht versteht jetzt der eine oder andere, warum mir ein Bericht in dem sich der Autor über den Fernbusfahrer echauffiert, der länger als neun Stunden im Bus fährt, nur noch ein müdes Lächeln abringt…

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