Auf Russlands harsche Politik gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans*-Menschen und die homophobe Stimmung im Land haben Eltern von LGBT-Aktivistinnen und -Aktivisten in St. Petersburg mit der Gründung des „Elternklubs“ reagiert. Sasha Gurinova sprach mit Mitbegründerin Nina Sozaeva, Mutter des LGBT-Aktivisten Valeri Sozaev, über die Arbeit des Vereins.
Frau Sozaeva, wie kam es zur Gründung des Elternklubs?
Das kam so: Im Oktober 2010 gab es in St. Peterburg das 3. Internationale LGBT- Filmfestival „Side by Side“, wo unter anderem der Film „Prayers for Bobby“ gezeigt wurde. Danach gab es eine Diskussion zum Coming-out von Homo-, Bi- und Transsexuellen in ihren Familien, an der sich auch Mütter beteiligten. Der Film hatte eine sehr starke emotionale Wirkung, auch deshalb, weil er auf einer wahren Geschichte basiert. Die Tragödie auf der Leinwand ließ niemanden gleichgültig: Keine Mutter, kein Vater will, dass das eigene Kind Selbstmord begeht …
Eltern spielen eine wichtige Rolle bei den Bemühungen um Akzeptanz von LGBT
Zum Schluss der Diskussion berichtete der Moderator von LGBT-Eltern in den USA, in Großbritannien und Israel, die sich zusammengeschlossen haben, um ihre Kinder zu unterstützen. Für uns war es interessant zu erfahren, welch wichtige Rolle Eltern bei den Bemühungen um die Akzeptanz von LGBT in der Familie, aber auch in der Gesellschaft spielen. Daraufhin haben wir uns spontan entschieden, auch in St. Petersburg eine Elterngruppe zu gründen, und ein Treffen vereinbart, bei dem wir dann unseren Verein „Der Elternklub“ gründeten. Jetzt gehört der Elternklub zu den Projekten der LGBT-Organisation „Coming Out“, wo wir uns seit Januar 2011 jeden dritten Montag im Monat treffen.
Was soll der Elternklub genau leisten?
Ursprünglich hatten wir die Absicht, mit anderen LGBT-Eltern zu arbeiten, um sie auf dem Weg zur Akzeptanz ihrer Kinder zu unterstützen. Jetzt aber helfen wir eher den LGBT selbst und zeigen ihnen, wie man Eltern aufs Coming-out vorbereitet, wie man sich mit ihnen nach dem Offenbaren verständigt und welche Entwicklungsschritte Eltern durchlaufen müssen. Dabei thematisieren wir natürlich auch die Akzeptanz der eigenen sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität, den Abbau von Angst und von Unsicherheit.
„Unsere Appelle an Vertreter staatlicher Behörden wurden bisher nicht gehört“
Auf unseren Treffen kann jeder von seinen Erfahrungen berichten und um Hilfe oder Ratschläge bitten – wir fragen immer erst mal nach den Wünschen und Bedürfnissen der Anwesenden. Wir Mütter überlegen, wie wir für unsere Kinder und für die heutige Gesellschaft nützlich sein können. Wir haben auch schon Appelle an die Vertreter staatlicher Behörden gerichtet, wurden aber bisher nicht gehört.
Wieviele Leute arbeiten derzeit im Elternklub mit?
Mittlerweile sind wir fünf aktive Mütter, außerdem haben wir Kontakt zu etwa 20 weiteren Müttern. Auch ein paar Väter sind dabei, doch die kommen höchsten dann zu den Treffen, wenn sie unbedingt jemanden brauchen, mit dem sie sich austauschen können.
Leider ist die Arbeit mit Eltern erschwert, weil in St. Petersburg viele LGBT leben, die aus anderen Regionen Russlands zugezogen sind. Wir versuchen dann, mit ihren Eltern über das Internet zu kommunizieren. Wir haben nur wenige LGBT-Eltern, die in St. Petersburg wohnen. Viele der hiesigen Eltern sagen, sie würden ihre Kinder akzeptieren und unsere Hilfe daher nicht brauchen. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber, wie sehr sie darauf angewiesen sind, mit anderen Müttern und Vätern über ihre Erfahrungen, Ängste und Hoffnungen zu sprechen.
Wir hoffen, dass wir im Lauf der Zeit mehr werden, und suchen nun nach passenden Methoden, um weitere Eltern für unseren Klub zu gewinnen.
Was halten LGBTs vom Elternklub: Erachten sie dieses Engagement für wichtig?
LGBT, egal wie alt, brauchen unseren Elternklub. Viele LGBT-Aktivisten leben offen, finden aber weder Verständnis noch Unterstützung bei ihren Eltern, und das belastet sie sehr. Wenn sich LGBT mit Müttern unseres Klubs unterhalten, fangen sie an zu hoffen, dass auch ihre eigenen Eltern sie irgendwann verstehen und annehmen.
„Sie wünschen sich, dass ihr Coming-out für die Eltern nicht ganz so traumalisch wird“
Viele LGBT möchten ein Coming-out, wollen dadurch aber nicht den Kontakt zur Familie verlieren. Sie machen sich Sorgen wegen ihrer Eltern und wünschen sich, dass das Coming-out für sie nicht ganz so traumatisch wird. Oft wissen sie nicht, wie sie sich ihren Eltern gegenüber offenbaren sollen, und die Frage danach ist ihnen peinlich.
Es ist kein Wunder, dass die aktivsten Mütter im Elternklub Mütter von LGBT-Aktivisten sind: Wir unterstützen einander in unserem Aktivismus. Wenn wir Mütter an Straßenaktionen teilnehmen, geht es uns nicht nur um unsere eigenen Kinder, sondern um die ganze LGBT-Community. Und unsere Kinder kommen dann zu uns und sagen: Danke, dass ihr mit uns seid!
Mit welchen „Fällen“ habt ihr im Elternklub am häufigsten zu tun?
Ab und zu berichten LGBT, dass ihre Eltern sie zur Behandlung zwingen wollten, und wir hatten auch schon Fälle, wo sich Leute nach ihrem Coming-out nicht mehr nach Hause trauten. Sehr viel häufiger kommt es vor, dass Eltern das „Anderssein“ ihrer Kinder nicht akzeptieren und nicht mehr mit ihnen sprechen wollen, zumindest nicht über dieses Thema. All diesen Eltern könnten wir helfen, aber leider finden nur wenige den Weg zu uns.
„Leider finden nur wenige Eltern den Weg zu uns“
Viele Eltern sind natürlich auch gegen den Elternklub eingestellt. Mit ihnen ins Gespräch zu kommen, ist schier unmöglich, weil ihnen an der öffentlichen Meinung mehr gelegen ist als am Glück ihrer eigenen Kinder. Bisher haben wir noch keine Methode gefunden, mit der wir an diese Leute herankommen könnten.
Haben Sie auch Positives erlebt und vielleicht schon Erfolge verbuchen können?
Oh ja. Dank Elternklub haben es bereits einige Eltern geschafft, im Freundes- oder Verwandtenkreis offen über die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität ihrer Kinder zu reden – und manchmal diskutieren sie sogar mit homophoben Menschen. Der Elternklub hat ja auch uns geholfen, eigene Ängste zu überwinden, unsere Kinder besser zu verstehen und selbstbewusster aufzutreten.
Sehr viel häufigere Reaktionen sind Unverständnis, Ablehnung und Zorn
Viele LGBT kommen zu uns, um sich Rat und Unterstützung zu holen – umso mehr freut es uns, wenn jemand zum nächsten Treffen seine Mutter mitbringt. Eine dieser Mütter hat die Bedeutung dieser Treffen für sich und ihre Tochter verstanden und seit einem Jahr keinen einzigen Termin verpasst. Doch viel öfter müssen wir erleben, dass LGBT versuchen, mit ihren Eltern zu reden, damit aber nur Unverständnis, Ablehnung und Zorn hervorrufen – das zu sehen, tut sehr weh.
Dann gibt es Eltern, die es geschafft haben, ihre Kinder so zu nehmen, wie sie sind, aber mit niemandem sonst darüber reden können. Nicht jeder hat die Kraft und den Mut, in den Elternklub zu kommen und seine Probleme mitzuteilen. Manchmal erkennen auch LGBT nicht, dass ihre Eltern genauso wie sie selbst Informationen, Unterstützung und Austausch mit „Gleichgesinnten“ brauchen.
Ist der Elternklub auch international vernetzt?
Ja. Wir haben Kontakte zu Eltern in anderen Ländern, in erster Linie Moldawien und Ukraine, und davon profitieren wir sehr. Im August 2011 besuchte uns „Gender Dok-M“ aus Moldawien, die erste in den Sowjet-Nachfolgestaaten gegründete LGBT-Elternvereinigung. Und im Mai dieses Jahres stattete ich einen Gegenbesuch ab und berichtete über unsere Erfahrungen bei den Straßenaktionen. Moldawische Eltern haben dieselben Probleme wie wir, weshalb wir uns gut verstehen. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir bei der Bekämpfung der Homo- und Transphobie zusammenarbeiten müssen.
Wichtig ist Zusammenarbeit über die Grenzen hinweg
Übers Internet kommunizieren wir mit den Eltern der ukrainischen Organisation TERGO und auch mit der Mutter von Wanja Kilber, dem Mitbegründer der russischen LGBT-Organisation „Quarteera“ in Deutschland. Unser bisher einziges Treffen mit nicht-russischsprachigen Eltern war 2013, als wir in Schweden bei den „Stolzen Eltern“ zu Gast waren. Wir bekamen dort sehr viel emotionale Unterstützung. Auf der Pride Parade begrüßten uns Tausende Menschen – eine unvergessliche Erfahrung, die unsere Arbeit bis heute inspiriert.
Natürlich möchten wir uns mit Müttern und Vätern aus vielen Ländern treffen, besonders solchen Eltern, die schon länger aktiv sind. Von ihnen zu hören, wie man eine aufgeschlossenere Gesellschaft erhält, wie ein Coming-out vor den Eltern angegangen werden kann, ob man mit Verwandten, Freunden, Nachbarn oder Arbeitskollegen darüber sprechen soll oder wie man mit so belastenden Fragen wie „Was hab ich falsch gemacht?“, „Warum ist das ausgerechnet meinem Kind passiert, und wer ist schuld daran?“ umgeht – all das wären wichtige Themen für uns. Ich sehe keine Unterschiede zwischen den Problemen von Eltern in Russland und Eltern in anderen Ländern: Alle sorgen sich in gleicher Weise um das Wohl ihrer Kinder.
„Alle sorgen sich in gleicher Weise um das Wohl ihrer Kinder“
Ist Ihr Verein auch in der HIV-Prävention aktiv?
Nein, aber die Aktivisten in St. Petersburg kennen einander sehr gut, deshalb wissen wir, wohin wir unsere Kinder bei HIV-bezogenen Fragen und Problemen schicken können. Auch die Arbeit mit Eltern von HIV-Positiven ist für uns ein noch unbekanntes Terrain, obwohl wir wissen, dass es viele HIV-Positive gibt, auch ganz junge – aber sie kommen nicht zu uns. Leider ist die HIV-Phobie in der LGBT-Community genauso stark präsent wie die verinnerlichte Homophobie. Doch solange niemand in dieser Sache bei uns anklopft, können wir auch nichts für LGBT mit HIV und ihre Eltern tun. Aber wenn es einmal dazu kommen sollte, werden wir natürlich zu helfen versuchen.
Frau Sozaeva, was wünschen oder erträumen Sie sich für die Zukunft?
Wir Eltern träumen von einer Welt ohne Homo- und Transphobie, von einer Welt, wo Hass keinen Platz hat und Vielfalt akzeptiert wird: Nur in einer solchen Gesellschaft können Menschen glücklich sein. Und Eltern möchten doch nur, dass ihre Kinder glücklich sind.
Von LGBT und ihren Eltern in Deutschland wünsche ich mir, dass sie sich weiterhin für die Anerkennung von Vielfalt und in der HIV-Prävention engagieren. Wir werden von ihnen inspiriert, weil wir wissen, wie schwierig es für sie war, nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Gesellschaft aufzubauen. Ihr Beispiel gibt uns Hoffnung, dass auch wir in Russland die Gesellschaft erneuern können.