Hochspannend, was der Darm für uns zu bieten hat!

Der Darm – das Zentrum der Gesundheit

Darmreinigung, Darmsanierung, Darmaufbau, Darmflora, Symbioselenkung, Probiotika, Präbiotika – das sind Worte, die jeder Mensch inzwischen kennt. Besonders jene, die sich schon ein wenig mit Gesundheit (oder Krankheit) beschäftigt und vielleicht den einen oder anderen naturheilkundlich arbeitenden Arzt oder Heilpraktiker aufgesucht haben.

Auch die Werbung hat das Thema Pro- und Präbiotika für sich entdeckt und nutzt es intensiv. Daher kommt es sicherlich auch, dass konventionelle Ärzte eine Darmsanierung für Geldmacherei und Scharlatanerie halten. Sie müssen nun kräftig umdenken: Der Darm ist als neues Gesundheitszentrum entdeckt und es gibt immer mehr wissenschaftliche Belege, dass er viel mehr ist als ein Verdauungsorgan!

Ein neues Wort: Mikrobiom

Mikrobiom, das ist ein Begriff, den man sich merken sollte: Er bezeichnet die Gesamtheit aller Mikroorganismen (v.a. Bakterien, aber auch Pilze), die am, im und auf dem Menschen leben. Trotz aller Hygiene und täglichem Duschen machen diese Kleinstlebewesen sich breit auf der Haut, im Atmungstrakt, an den Augen, unter den Nägeln, an den Haarwurzeln, auf allen Schleimhäuten und – natürlich – im Darm.

Die Mikroben, die im Darm leben, sind besonders zahlreich, daher haben sie nochmals einen speziellen Namen bekommen: intestinales Mikrobiom (von lateinisch intestinum = Darm). Die Darmbakterien können sage und schreibe bis zu zwei Kilogramm des Körpergewichtes ausmachen, etwa 50 % des ausgeschiedenen Stuhls eines Gesunden besteht aus Bakterienmasse!

Wer mehr wissen möchte, kann sich auf der Seite des „human microbiom project“ weiter informieren.

Ein buntes Völkchen lebt in unserem Innern

Bisher kannte man nur wenige Bewohner des Darmes. Das hat sich durch präzisere Labortechniken im letzten Jahrzehnt grundlegend geändert. Inzwischen kann man alle Darmbewohner anhand ihres genetischen Materials erkennen und auch angeben, wie viele von ihnen im Darm sind. Mehr als 1.000 verschiedene Bakterienarten können im Darm zuhause sein. Ihre Häufigkeit kann dabei zwischen den einzelnen Menschen stark variieren.

Die Forschung weiß inzwischen, dass es bestimmte Darmbakterien-Typen unter den Menschen gibt, sogenannte „Enterotypen“ [1]: Vegetarier haben andere vorherrschende Keime als Fleischesser, Menschen, die viel Zucker essen wieder andere als solche, die vollwertig und ballaststoffreich essen [2].

Und noch mehr konnte gefunden werden: Darmbakterien leben nicht einfach so in unserem Bauch, weil es dort schon kuschelig warm und feucht ist, sie haben auch einen hohen Wert für uns:

  • sie versorgen unsere Darmzellen mit Stoffen, die diese zu ihrer Energiegewinnung brauchen,
  • sie regen den Darm zu mehr Bewegung an,
  • sie verbessern die Bildung von neuen Schleimhautschichten (Mucine),
  • sie schaffen ein Milieu, das Krankheitserreger vertreibt,
  • sie bauen giftige Stoffe ab, bevor sie in den Körper aufgenommen werden können
  • und sie können tatsächlich auch Entzündungen bekämpfen helfen!

Das heißt im Klartext: Wir brauchen unsere Bakterien im Darm so sehr, dass wir mit ihnen in echter Symbiose leben und unser Immunsystem, unser Körpergewicht, unser Stoffwechsel und auch unsere psychische Verfassung (Lesen Sie hier mehr zum Thema Psyche und Darm …) von der richtigen Zusammensetzung dieser Darmbewohner abhängt!

Wer bin ich? Und wie viele?!

Man kann da sogar noch weiter gehen: Die Anzahl der Bakterienzellen in unserem Darm übersteigt deutlich die Anzahl unserer Körperzellen. Im Darm eines Menschen wohnen jedoch etwa 10 bis 100 Billionen Bakterien und jedes davon ist eine Zelle. Ein menschlicher Körper hat dagegen nur etwa 10% davon.

Und es geht noch weiter: Wenn man die Anzahl aller menschlichen Gene mit der Anzahl aller Bakteriengene des Mikrobioms vergleicht, kann kommt man zu einem erstaunlichen Resultat: Die Bakteriengene überwiegen bei Weitem (Verhältnis ca. 1 : 350). Wer sind wir also? Eigenständige Menschen mit Bakterienrasen auf und in sich oder lediglich die lebendigen Herbergen für eine große Bakterien-Wohngemeinschaft? Wer macht unseren Charakter, unsere Gefühle und unsere Eigenheiten aus – wir oder die Mikroben in uns? Könnten wir ohne Bakterien überhaupt überleben? Die Antwort lautet: Vermutlich nicht.

Und es kommt noch dicker: Wir „vererben“ unsere Bakterien! Bereits bei der Geburt bekommt ein – vorher völlig keimfreier – Säugling Kontakt zum Mikrobiom seiner Mutter: Ein paar der mütterlichen Bakterien von Haut und Vagina wandern auf alle Schleimhäute des Babys aus und vermehren sich dort. Später tragen jeder Kuss und jeder Hautkontakt mit Eltern, Geschwistern, Tanten, Onkels, Spielkameraden oder anderen Menschen weitere Bakterien ein.

Auf diese Weise kommt es dazu, dass die Mikrobiome von Familienmitgliedern oft sehr ähnlich sind, sich aber von anderen Familien klar unterscheiden. Die Unterschiede im Mikrobiom zwischen Menschen nehmen zu, je unterschiedlicher ihre kulturelle Herkunft ist.

Die heutige Medizin wartet inzwischen bei schweren Darminfektionen, die sich nicht mehr mit Antibiotika eindämmen lassen, mit Bakterien-Transplantationen von Spendern aus der Familie auf. Damit kann ein Schwerkranker innerhalb von kurzer Zeit wieder völlig genesen [3]. Verändert sich dieser Mensch dadurch? Wir wissen es bisher nicht.

 

Die guten und die bösen Darmbakterien

Manchen mag das verwirren. Sind doch Bakterien im Allgemeinen als Krankheitserreger bekannt und müssen schleunigst bekämpft werden (Antibiotika!). Doch dem muss unbedingt widersprochen werden: Die allermeisten Bakterien des intestinalen Mikrobioms sind gesund und sogar nützlich für den Menschen, nur wenige erzeugen Krankheiten. Und die können sich bei einer dichten Besiedelung mit gesunden Darmbewohnern gar nicht richtig durchsetzen.

Erst wenn das Überwiegen der „Guten“ nicht mehr sichergestellt ist, kann es Probleme geben: Darminfektionen sind die erste Folge.

Doch auch noch viel mehr Krankheiten sind mit dem intestinalen Mikrobiom verbunden: Forscher fanden im Darm von Autistendeutliche Hinweise auf eine besondere Bakterien-Besiedelung (Clostridien [4] , (lesen Sie hier mehr dazu: Neue Therapiemöglichkeiten bei Autismus setzen an Darmstörungen an), auch bei entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn [5], Colitis ulcerosa, Leaky gut [6], Reizdarm) konnten spezielle Verschiebungen der Darmbakterien gefunden werden. Und damit nicht genug: Bei Patienten mit Alzheimer, Arthritis [7], Übergewicht, Adipositas [8], Diabetes Typ II, Metabolischen Syndrom [9] und auch bei Darmkrebs-Patienten konnten Wissenschaftler signifikante Korrelationen zu Veränderungen im intestinalen Mikrobiom finden.

Wer also mehr über seine klitzekleinen (Darm-)Mitbewohner weiß und sie hegt und pflegt, der kann viel für seine Gesundheit tun – wenn die Krankheit schon da ist, aber auch präventiv bevor sie sich ausbreitet.

 

Das Gute ist: Die Bakterien lassen sich fördern und bremsen

Diese neuen Erkenntnisse sind gerade derzeit immens wichtig: Antibiotika-Resistenzen machen sich breit unter den Bakterien. Der häufige Einsatz dieser Medikamente macht sie langsam aber sicher zu immer „unschärferen Waffen der Medizin“ (Lesen Sie hier mehr zu Antibiotika und Darm).

Bakterien können Resistenzen entwickeln und diese an ihre Kollegen weitergeben. Irgendwann werden Antibiotika daher nicht mehr ausreichend wirken. Da kommt der neue Ansatz von „fördern und bremsen“ genau zur richtigen Zeit: Das, was wir essen, füttert auch unsere Bakterien im Darm. Essen wir das, was die „Guten“ mögen und die „Bösen“ nicht, dann sind wir auf dem richtigen Weg.

Aus der Praxis gibt es schon jede Menge Erfahrung mit dieser Form der Darmpflege. Die Forschung liefert nun zusätzliche Informationen und verfeinert damit die Therapiemöglichkeiten.

 

Grundsätzlich: Zucker tut nie gut

Zucker ist schlecht für die Zähne! Das ist richtig, greift jedoch viel zu kurz. Denn auf dem Weg, den der Zucker nach dem Mund durch den gesamten Verdauungstrakt macht, hinterlässt er ebenso seine hässlichen Spuren (Hier lesen Sie mehr darüber, wie Zucker die Gesundheit beeinträchtigen kann).

Die Darmbakterien stellen sich ein auf die süße Fütterung. Die falschen Keime werden gefördert und überschwemmen den Darm. Die Folge sind stinkende Stühle, Bauchweh, Durchfall und wie wir nun wissen – langfristig möglicherweise noch weit schlimmere Erkrankungen (s.o.).

Damit das nicht passiert ist die erste Regel für einen gesunden Darm: Zucker meiden und alles, was Zucker im Darm erzeugen kann (Kohlenhydrate) weitestmöglich reduzieren. (Lesen Sie hier mehr über gesunde Ernährung) Das ist ein erster Schritt zu mehr Gesundheit im Darm und im gesamten Körper.

Um gezielter vorzugehen und Erkrankungen über den Darm zu behandeln oder besser sogar zu vermeiden, dafür braucht es eine Menge Wissen und die richtigen Hilfestellungen zum gezielten Bremsen und Fördern der Keime des intestinalen Mikrobioms. Solche Hilfe kann nur ein entsprechend ausgebildeter und erfahrener Therapeut leisten.

Autor: Dr. Rainer Mutschler

Bildquelle: SeanPrior / Clipdealer

Literatur:

Guilia Enders, Darm mit Charme http://www.darm-mit-charme.de/

[1] Arumugam, M. et al., Nature 473: 2640-2644, 2011

[2] Wu, G.O. et al.: Linking long-term dietary patterns with gut microbial enterotypes, Science 2011(7);334(6052):105-8

Flint, H. J. et al.: The role of the gut microbiota in nutrition and health, Nat. Rev. Gastroenterol. Hepatol. (2012)

[3] Kleger A, Schnell J, Essig A, Wagner M, Bommer M, Seufferlein T, Härter G: Case report: Fecal transplant in refractory clostridium difficile colitis; Dtsch Arztebl Int 2013; 110(7): 108–15.

[4] Song Y, Liu C, Finegold SM.: Real-time PCR quantitation of clostridia in feces of autistic children; Appl Environ Microbiol. 2004 Nov;70(11):6459-65

[5] Sokol et al.: „Faecalibacterium prausnitzii is an anti-inflammatory commensal bacterium identified by gut microbiota analysis of Crohn disease patients”, PNAS 2008 105:16731-16736

Mukhopadhya I, Thomson JM, Hansen R, Berry SH, et al.: Detection of Campylobacter concisus and Other Campylobacter Species in Colonic Biopsies from Adults with Ulcerative Colitis. PLoS ONE (2011) 6(6): e21490.

[6] Ukena SN et al.: Probiotic Escherichia coli Nissle 1917 inhibits leaky gut by enhancing mucosal integrity. PLoS One. 2007 Dec 12;2(12):1308.

[7] Jose U. Scher et al.: Expansion of intestinal Prevotella copri correlates with enhanced susceptibility to arthritis, (2012)

[8] Everard, A. et al: Cross-talk Akkermansia muciniphila and intestinal epithelium controls diet-induced obecity; PNAS early edition March 2013

[9] Amandine, E.; Proceedings of the National Academy of Sciences, 2013: 110 (22), pp. 9066-9071

 

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