Als ich im gerade im Projekt angekommen war und von der Kollegin die Stationsübergabe erhielt, war Mohammed bereits seit einigen Wochen stationär. Der knapp 30-Jährige hatte im Rahmen einer Typhuserkrankung eine Darmperforation mit generalisierter Bauchfellentzündung erlitten und erholte sich nur langsam. Bis auf 35 kg hinunter war er abgemagert und kaum in der Lage, sich selbstständig im Bett aufzusetzen. Jetzt geht es ihm besser, die Drainage kann endlich gezogen werden, die noch offenen Wunden im Bereich der Bauchdecke heilen gut. Wir überlegen uns, welche Möglichkeiten es gibt, seinen etwas ärmlichen Speisezettel zu erweitern. Seine junge Frau, die das gerade geborene Baby auf dem Rücken trägt, kocht und sorgt für ihn. Aber viel mehr als Reis mit etwas Soße ist ihnen nicht möglich zu finanzieren. Eine Kollegin schlägt vor aus Bo einige Packungen Aufbaunahrung mitbringen zu lassen, da die im Krankenhaus auch nicht immer vorhandenen Varianten nur für mangelernährte Kinder verwendet werden dürfen. Bei der nächsten Gelegenheit werden einige Beutel mitgebracht, die dankbar von der kleinen Familie in Empfang genommen werden. Den beiden wird erklärt, wie die Nahrung zubereitet werden muss. Sauberes heißes Wasser ist verfügbar. Die Tage vergehen, der Patient nimmt nicht an Gewicht zu. “Du musst jeden Tag kontrollieren, wie viel noch im Beutel ist und ob sie auch wirklich den Brei angerührt haben”, sagt die Kollegin. Erwachsenen Menschen ein solches Maß an Kontrolle zuzumuten, widerstrebt mir. Ich meine, dem Patient auf diese Weise ein Stück seiner Würde zu nehmen. “Du hast recht”, sagt die Kollegin, “es fühlt sich an wie eine andere Form von Kolonialismus. Aber wie können wir es schaffen, dass Mohammed zunimmt?” Bei der nächsten Visite sprechen wir erneut mit dem Patient und seiner Frau darüber. Wir fragen sie, ob es denn ein Problem gebe in der Zubereitung, oder ob es nicht schmecke. Dreimal am Tag einen faden Brei zu essen, wenn man sowieso geschwächt ist und keinen Appetit hat, kann schwierig sein. Es wäre gut, ein wenig Zucker dazu zu haben, räumt der Patient vorsichtig ein. “Zucker ist nicht teuer”, denke ich. “Verstehen sie nicht, dass die Zukunft ihrer kleinen Familie daran hängt, ob Mohammed wieder Kraft bekommt, um für sie sorgen zu können?” Vielleicht ist es Ungeduld, vielleicht taktisch unklug, aber wir besorgen eine Portion Zucker für den Patient. Und dann ist tatsächlich täglich eine Gewichtszunahme zu sehen. Mohammed wird kräftiger, kann sich selbständig aufrichten, geht nun auch nach draußen für kleine Spaziergänge. Und endlich können wir ihn entlassen; Alle Wunden sind geheilt, der Patient hat 7 kg zugenommen. War es wirklich nur der Zucker, der fehlte? Auf jeden Fall ist es festlich, mitzuerleben, wenn ein vormals schwer kranker Patient nicht nur an Gewicht, sondern auch wieder an Lebendigkeit zunimmt. Es sagt sich leicht, sie werden doch wohl noch ein wenig Zucker besorgen können. Das Ausmaß an Armut ist oft nicht vorstellbar.
Von Dr. Sabine Waldmann-Brun, die zuletzt in Sierra Leone im Einsatz war.
Einsortiert unter:Allgemein