Prof. Dr. Steffen Fleßa war von 1990 bis 1995 als Dozent für Krankenhausbetriebslehre in Tansania tätig und hat seither verschiedene Forschungsarbeiten über das Gesundheitswesen in Entwicklungsländern publiziert. Er ist häufig als Berater nationaler und internationale Träger der Entwicklungshilfe tätig. Er lehrt Gesundheitsmanagement an der Universität Greifswald, wo er u.a. den Schwerpunkt Internationales Gesundheitsmanagement vertritt. Für zukunft-gesundheitswesen hat er sich Gedanken über die Notwendigkeit und mögliche Umsetzung einer globalen Lösung für Krankenversorgung gemacht.
Gesundheit ist ein Menschenrecht, das einem großen Teil der Weltbevölkerung vorenthalten wird. Millionen Menschen sterben jedes Jahr aufgrund von Krankheiten, die mit geringem Ressourceneinsatz vermieden oder geheilt hätten werden können. Aber auch die Überleben-den leiden Schmerzen, werden behindert oder stigmatisiert, obwohl einfache Standardtechnologien genügen würden, um ihre Lebensqualität dramatisch zu erhöhen. Die „großen Killer“ in den ressourcenarmen Ländern – Malaria, Durchfälle, Kinderkrankheiten – dürften eigentlich angesichts unserer Technologie schon längst kein Problem mehr sein. Und auch die Mortalität von Krebs, Herzkreislauferkrankungen, Aids und Tuberkulose ist in vielen Ländern erschreckend hoch. Es wird Zeit, endlich eine Globale Allianz zur Krankheitsbekämpfung und Gesundheitsförderung zu gründen.
Schon jetzt gibt es vielversprechende Ansätze und Initiativen. UNICEF setzt sich seit Jahrzehnten für Mütter und Kinder ein. Der Global Fund hat viele Menschenleben von Patienten mit Aids, TB oder Malaria gerettet. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Partnerschaften, Projekte, Programme und wohlmeinende Ansätze. Aber die meisten Ansätze sind freiwillig, limitiert (z.B. auf drei Krankheiten) und unterfinanziert.
Ich finde es höchst bemerkenswert, dass die Weltgesundheitsorganisation sich die universelle Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage, UHC) zum erklärten Ziel gesetzt hat. Hierzu definiert sie: „Universal coverage (UC), or universal health coverage (UHC), is defined as ensuring that all people can use the promotive, preventive, curative, rehabilitative and palliative health services they need, of sufficient quality to be effective, while also ensuring that the use of these services does not expose the user to financial hardship” [1]. Evans, Hsu & Boerma (2013) ergänzen: “Universal health coverage is the obtainment of good health services de facto without fear of financial hardship” [2], und Kutzin (2013) bringt es auf den Punkt: “UHC is system-wide effective coverage combined with universal financial protection” [3]. Das Ziel ist klar: Jeder Mensch dieser Erde soll Zugang zu funktionsfähigen Gesundheitsdienstleistungen haben, und zwar unabhängig von seinem Standort (Land!), Einkommen oder Sozialstatus.
Die Dimensionen von UHC beschreibt der UHC-Quader. Universell ist die Gesundheitsversorgung, wenn Jeder erreicht wird, wenn sie alle als notwendig erkannten Dienstleistungen umfasst und die Kosten soweit abgedeckt sind, dass diese notwendigen Dienste für Jeden erschwinglich sind. Aber die WHO ist realistisch: Circa eine Milliarde Menschen leben noch heute ohne Zugang zur Gesundheitsversorgung, 150 Millionen Menschen erleiden jährlich “katastrophale Gesundheitsausgaben” und 100 Millionen fallen unter die Armutsgrenze wegen katastrophaler Gesundheitsausgaben“. Im Moment ist die universelle Gesundheitsversorgung also eine Utopie! Aber sie muss es nicht bleiben, wenn „universelle Gesundheit“ auch „universelle Solidarität“ einfordert!
Gesundheit ist ein globales Menschenrecht. Wenn man dies ernst nimmt, muss man daraus einen Anspruch auf internationale Solidarität ableiten. Dieser abstrakte Begriff könnte mit Leben gefüllt werden, wenn beispielsweise alle Staaten der Welt in einen Gesundheitsfonds einzahlen müssten, aus dem anschließend eine lokal zu definierende Mindestversorgung finanziert werden sollte. Damit würden nicht automatisch die weltweiten Unterschiede wegfallen, es würde jedoch eine Art Boden eingezogen werden, so dass z.B. die Versorgung mit Medikamenten für von der Weltgesundheitsorganisation zu definierende Krankheiten gesichert wäre. Wer beispielsweise einer der geschätzten 170.000 Diabetiker in Kambodscha ist, hat schlichtweg „Pech“, denn Insulin gibt es nur zu horrenden Preisen in privaten Apotheken. Der Staat kann keine Behandlung von Patienten mit chronisch-degenerativen Erkrankungen finanzieren. Wohl gemerkt: Es geht hier nicht um karitative Großzügigkeit, sondern um ein globales Teilhaberecht. Mit einem Fond hätten alle Menschen dieser Erde ein Recht auf eine Basisversorgung – und alle Staaten hätten eine (einklagbare!) Pflicht, diesen Fonds zu finanzieren.
Um welche Summen geht es hier? Auf den ersten Blick erscheinen sie gering. Nach eigenen Studien in Ostafrika und Süd-Ost Asien müsste ein Betrag von 30-40 € pro Kopf und Jahr durchaus genügen, um die Basisversorgung zu sichern. Je nach Land könnten meiner Meinung nach 5 (z.B. Kambodscha) bis 20 (z.B. Kenia) € selbst aufgebracht werden, so dass noch etwa 10 bis 30 € pro Kopf und Jahr für die globale Solidargemeinschaft blieben. Klingt wenig – ist aber gewaltig, denn wir sprechen hier von schätzungsweise über eine bis zwei Milliarden Menschen! Im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Malaria, Aids und TB zeigte es sich, dass unsere Regierungen gerne viel versprechen, aber nicht immer alles halten (können). Häu-fig wurden Zusagen gemacht, die anschließend wieder relativiert und an Auflagen gebunden wurden. Das Ergebnis ist die Fortsetzung des Leidens in den Entwicklungsländern.
Die deutsche Entwicklungshilfe hat in vielen Ländern Modellprojekte durchgeführt, um die Umsetzbarkeit von Krankenversicherungen in diesen Ländern zu beweisen. Die Erkenntnis ist klar: Es geht – aber es kostet Geld [4]. Auf eigener Basis werden in den ärmsten Ländern immer nur ein kleiner Anteil der Bevölkerung (und sicherlich nicht die Ärmsten der Armen) einen Krankenversicherungsschutz haben. Eine globale, verpflichtende und solidarische Krankenversicherung könnte diese Armutsgruppen vollständig abdecken. Aber dazu gehört der politische Wille.
Lassen Sie uns eine „Milchmädchenrechnung“ machen: Nehmen wir an, wir würden die bestehenden Projekte der deutschen Entwicklungshilfe in Kambodscha, Nepal, Kenia und Tansania auf jeweils 50 % der Bevölkerung dieser Länder (die wirklich Armen!) ausweiten und jeweils 20 € pro Kopf und Jahr zuschießen. Es wäre ein Anfang – und würde schätzungsweise gut eine Milliarde Euro bzw. knapp 15 Euro pro Deutschem pro Jahr kosten. 15 Euro für den universellen Gesundheitsschutz von Millionen von Menschen! Und wenn alle EU-Staaten mitmachen, könnten wir mit demselben Betrag die ärmsten der Entwicklungsländer, die so genannten Least Developed Countries, abdecken.
„Milchmädchenrechnung“? Natürlich! Helfen ist nicht einfach, denn unser Geld darf nicht korrumpieren, bequem machen oder gar falsche Strukturen stärken. Der Aufbau der Strukturen würde viel Beratung erfordern. Wir wären nicht nur mit unserem Geld, sondern auch mit unserem Fachwissen gefragte Partner. Die Erfahrungen liegen ja in vielen Ländern vor und warten darauf, umgesetzt zu werden. Vielleicht könnten die Krankenkassen in Deutschland Patenschaften übernehmen. Vielleicht könnte der Bundeshaushalt diesen Betrag ergänzen, vielleicht könnte die nächste Tabaksteuererhöhung dafür verwendet werden. Vielleicht … es ist Zeit, vom Träumen zum Handeln zu kommen.
Eine „Universelle Gesundheitsversorgung“ darf keine Utopie mehr bleiben. Es ist überfällig, dass wir dem Menschenrecht auf Gesundheit Geltung verschaffen. Das unnötige Leiden und Sterben unserer Mitmenschen in den ressourcenarmen Ländern erfordern schon lange keine milden Gaben mehr, sondern einen verpflichtenden, globalen Gesundheitsfonds.
1. WHO. Universal Health Coverage. 2014 15.5.2014]; Available from: http://www.who.int/health_financing/en/.
2. Evans, D.B., J. Hsu, and T. Boerma, Universal health coverage and universal access. Bull World Health Organ, 2013. 91: p. 546-546A.
3. Kutzin, J., Anything goes on the path to universal health coverage? No. Bulletin of the World Health Organization, 2012. 90(11): p. 867-868.
4. Fleßa, S., Internationales Gesundheitsmanagement. 2012, München: Oldenbourg.