„Homophobie“ oder „internalisierte Homophobie“ sind heute recht häufig gebrauchte Begriffe. Was genau darunter zu verstehen ist, wie es zu diesen negativen Haltungen kommt und was man als Einzelne und Einzelner dagegen tun kann, erklärte Dr. Udo Rauchfleisch, Diplompsychologe und Professor im Ruhestand, im Gespräch mit der Deutschen AIDS-Hilfe.
Herr Professor Rauchfleisch, wie würden Sie „Homophobie“ definieren, und wie entsteht sie eigentlich?
Eigentlich ist der Begriff „Homophobie“ irreführend. Es geht nicht um Angst vor Lesben und Schwulen, sondern um eine antihomosexuelle Einstellung, auch „Homonegativität“ genannt, die zu Ausgrenzung und abfälligen Bemerkungen bis hin zu massiver Gewalt gegen Lesben und Schwule führt. Sie entsteht aufgrund negativer Ansichten über gleichgeschlechtliche Orientierungen und Lebensweisen, wobei von der „Heteronormativität“ ausgegangen wird: Heterosexualität ist die Norm, alles davon Abweichende ist „schlecht“, „krank“, „sündig“.
Aktuelle Diskussionen zum Thema Homosexualität vermitteln oft den Eindruck, Homophobie habe in der letzten Zeit zugenommen. Irrtum oder Tatsache?
Homophobie hat meines Erachtens nicht wesentlich zugenommen. Oft besteht sie unter der Oberfläche und wird in bestimmten Situationen sichtbar.
Schwule und Lesben stellen die Heteronormativität infrage
Warum fühlen sich eigentlich so viele Menschen von Homosexuellen bedroht?
Lesben, Schwule sowie bisexuelle und Trans*-Menschen sind nur ein kleiner Teil der Gesamtbevölkerung. Sie stellen keine direkte Bedrohung für heterosexuelle Menschen dar. Aber indirekt wirken sie doch bedrohlich, da sie die – von breiten Kreisen der Bevölkerung für selbstverständlich gehaltene – Heteronormativität infrage stellen.
Außerdem zeigen Lesben und Schwule in ihren Partnerschaften zumeist eine egalitäre Rollenverteilung. Dies wird von heterosexuellen Männern mit patriarchalen Rollenvorstellungen als Affront empfunden, da lesbische und schwule Partnerschaften zeigen, dass es auch ohne die Machtposition der Männer geht.
Oft hört man den Satz, „Ich bin nicht homophob, aber…“. Was ist davon zu halten?
Die Frage ist, wie der Satz weitergeht. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn jemand sich kritisch über eine Person äußert, ungeachtet der sexuellen Orientierung. Dann braucht es aber den ersten Teil des Satzes nicht. Meist dient dieser Teil der Verschleierung des zweiten Satzteils mit einer negativen, homophoben Äußerung.
Können LGBT direkten homophoben Äußerungen begegnen? Wenn ja, wie?
Klar können wir homophoben Äußerungen begegnen, zum Beispiel, indem wir dem Gegenüber klarmachen, dass das, was diese Person sagt, diskriminierend ist und wir uns solche Äußerungen verbitten. Wichtig ist in einer solchen Situation, dass auch Heteros dezidiert Stellung nehmen gegen homophobe Äußerungen.
„Dezidiert Stellung nehmen gegen homophobe Äußerungen“
Im Frühjahr haben Sie im Waldschlösschen einen Workshop namens „Der Feind in dir. Internalisierte Homophobie“ geleitet. Was ist unter dieser „verinnerlichten“ Homophobie zu verstehen?
Lesben und Schwule wachsen in einer Gesellschaft auf, in der sie immer wieder mit homophoben Äußerungen konfrontiert sind. Diese verinnerlichen sie auch mehr oder weniger. So kann es dazu kommen, dass sie schließlich sogar negative Bilder von sich selbst, also als Lesben und Schwule haben. Diese internalisierte Homophobie wirkt dann wie ein Feind von innen.
Die Folgen sind negatives Selbstwertgefühl, Scham und Verstecken
Welche Folgen kann das für die Einzelnen, aber auch für die ganze Gruppe haben?
Individuell führt internalisierte Homophobie zu einem negativen Selbstwertgefühl, zu Scham wegen der eigenen Homosexualität und zum Verstecken der sexuellen Orientierung. Wenn das Selbstbild sehr negativ geprägt ist, dann kann das sogar Suizidalität zur Folge haben.
Generell wirkt sich internalisierte Homophobie negativ aus, indem sich nicht „gay pride“, sondern „gay shame“ entwickelt, was dann zum Beispiel eine emanzipatorische Tätigkeit und das Einstehen für die Rechte von Lesben und Schwulen verhindert.
Lässt sich durch Selbstreflexion feststellen, ob man als Schwuler oder Lesbe Homophobie internalisiert hat?
Durch Selbstreflexion oder auch durch Hinweise aus dem Freundeskreis kann man der eigenen internalisierten Homophobie durchaus auf die Schliche kommen. Hellhörig sollte es uns beispielsweise machen, wenn wir Formulierungen wie „Wenn ich normal wäre…“ verwenden. Oder wenn wir spüren, dass es uns unbehaglich wird beim Thema Homosexualität, oder wenn wir es vermeiden, uns als Lesbe oder Schwuler zu erkennen zu geben.
Ab wann wäre es sinnvoll, sich professionelle Hilfe zu suchen?
Internalisierte Homophobie kann auch gesundheitliche Schäden nach sich ziehen. Negative Selbstbilder und Verheimlichungsstress belasten die Seele und den Körper. Die Folge können somatische und psychosomatische Erkrankungen sein.
Professionelle Hilfe sollten Lesben und Schwule immer dann suchen, wenn sie spüren, dass sie unter Selbstwertkrisen, Depressionen, Ängsten und körperlichen Beschwerden leiden. Oft zeigt sich bei solchen Symptomen erst in der Behandlung, dass die Ursachen in internalisierter Homophobie liegen.
Wo finde ich Ansprechpartner für das Thema?
Am besten fragt man bei den Lesben- und Schwulenverbänden nach empfehlenswerten Therapeutinnen und Therapeuten.