Wiederholt treffe ich auf die erzählende Erfahrung, dass der Pflegedienst mit dem Arzt über ein Intensivkind die Therapie verhandelt. Die Eltern werden nicht eingebunden.
„Geht gar nicht“ klingelt es gleich bei mir und ich höre andere Eltern als Bestätigung.
Sicherlich, der Pflegedienst muss dem Arzt eine Rückmeldung geben. Er oder die Ärztin hat über die Verordnung die Aufgaben benannt, was ein Pflegedienst zu leisten habe. Die Krankenkasse hat den ausgewählten Pflegedienst beauftragt. Kann der Pflegedienst den verordneten Pflegeumfang nicht erfüllen, dann muss der Arzt informiert werden und mit seinen Patienten die Gestaltung der Pflege besprechen.
Aber, das große Aber. Kann der Arzt mit dem Pflegedienst allein über die Therapie des Kindes entscheiden? Es folgt ein Nein. Ein Nein, denn in der Regel hat weder der Pflegedienst noch der Arzt dies Sorgerecht. Es liegt bei den Eltern. Sie entscheiden darüber, welche therapeutischen Schritte gegangen werden. Dies Recht der Eltern schränkt sich ein, wenn:
- das Kind / Jugendlicher fähig wird, selbst für sein Wohl zu sorgen
- ein Familiengericht das Sorgerecht der Eltern beschnitten oder entzogen hat
- ein andere gesetzlicher Vertreter anstatt der Eltern dafür eingesetzt oder bevollmächtigt wurde
Gewinn und Folgen
Ich stelle mir die Frage, was gewinnt ein Pflegedienst, wenn er die Eltern mit ihrer Entscheidungsgewalt „ausschaltet“?
Die Pflegekräfte gewinnen eine bessere Machbarkeit und Kontrolle über die therapeutischen Prozesse beim Kind. Die Pflegekräfte gewinnen die Erfahrung, was alles machbar wird und ein weiteres Verständnis von professionellen Handeln, in welchen sie unabhängig agieren können. Sie gewinnen einen Abschied von der familienorientierten Pflege.
Bei der Betrachtung kommen mir die Zweifel, ob dies ein Erfolg ist für den Pflegedienst, es positiv für die Rolle der Pflegefachkräfte ist. Denn
- sie werden EntscheiderInnen in einem Raum, in denen es einen Konflikt geben kann mit der Verantwortung. Die Pflegefachkraft muss sich klar sein, wenn eine Therapie fehl schlägt, lastet es auf ihren Schultern. Sie hat nicht die rechtliche Kompetenz für diese Entscheidung.
- es können andere Kollegen im Team verunsichert werden, da diese nicht die Verantwortung tragen wollen. Sie sehen die Entscheidungsgewalt bei den Eltern und sehen sich in ihrer Rolle als ein beratender Gestalter der Pflege. Diese Unstimmigkeit unter den Pflegepersonal kann das Team stören.
- es kann zu einem Bruch mit der Familie kommen. Die Eltern erleben es, als würde ihr Kind weg genommen werden. Die Beziehung zwischen Eltern und dem Kind wird gestört.
- es verunsichert die Eltern in ihrer Rolle. Sie wollen für ihr Kind sorgen und ihr Bestmögliches möglich machen.
Die Familie entscheidet
Für mich gilt, die Familie muss entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen. Ich sehe es als Entlastung für die Pflegekräfte, wenn sie wissen, ihre Verantwortung liegt in der Beratung und nicht in der Entscheidung. Schlägt eine Therapie fehl, so können die Pflegefachkräfte auf die erfolgte Beratung verweisen, wenn es nötig ist. Wenn die Betroffenen einen eigenen Weg gehen, kann es für die Pflegefachkräfte zu einer hohen Erfahrungssammlung kommen. Sie lernen zum Beispiel, dass bei sehr seltenen Erkrankungen eigene Wege gegangen werden müssen. Die „Standardtherapien“ zeigen nicht ihre Wirkung. Die Eltern oder die kleinen Patienten sind hier selbst „Profis“ rund um die Erkrankung.
Ich stimme zu und kenne die Erfahrung: Es ist für die Pflegefachkräften nicht leicht, eine schwierige gesundheitliche Situation anzunehmen mit dem Vertrauen, was die Eltern oder der Patient für sich entscheidet. Dies sei der optimale Weg. Ist dieser Weg der richtige? Es ist der Weg, der in dieser Situation von den Betroffenen angenommen werden kann und ja, es könnte ein Weg sein, der die Lebensverlängerung einschränkt. Auch diese Entscheidung muss getroffen werden. Und keine Entscheidung über eine Therapie zu treffen ist eine Entscheidung.
Es kann eine wichtige und positive Aufgabe für die Pflegefachkräfte werden, wenn sie lernen, die Lebenssituation der Familien mit zu tragen. Es entsteht die Aufgabe, zu schauen und zu prüfen, wie sie ihre Pflege gestalten können, um die Lebensqualität zu steigern. Die Konzentration nur auf das Kind könnte kontraproduktiv sein. Es muss klar sein, es geht bei vielen Intensivkindern nicht um die Heilung, sondern um Lebensqualität und die notwendige Antwort, ab welchen Punkt käme der Abschied aus dem Leben.
Die Lebensqualität wird durch die gesamte Familie gelebt und bestimmt. Wenn es den Eltern nicht gut geht, wenn Sie nicht als vollwertige Eltern anerkannt und ihre elterliche Kompetenzen wertgeschätzt werden, leidet die Beziehung zwischen dem kranken Kind und den Eltern. Damit fällt die Lebensqualität und dadurch könnte die professionelle Pflege schwieriger werden, weil Fronten entstehen und Offenheit verschwindet. Der Pflegedienst könnte nur noch Dienstleister werden, den die Familie als Last empfindet.