HIV & Kriminalisierung: „Ich bin mir sicher, dass ich es ihm gesagt hatte”

Mann hält SchildRobert Suttle wurde 2009 zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt, weil er einen Sexpartner nicht ausdrücklich über seine HIV-Infektion informiert hatte. Im US-Bundestaat Louisiana, wo Robert damals lebte, gilt das als Sexualstraftat. Nicholas Feustel hat mit ihm gesprochen.

Wie ging denn die ganze Sache los?

Es ging los an Silvester, vor Neujahr 2008. Ich traf ein paar Freunde und wir hingen so herum. Und da war ein junger Mann, ziemlich genau in meinem Alter. Wir hatten vielleicht ein oder zwei Drinks, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich in dieser Nacht betrunken war oder so.

Dieser Typ und ich beschlossen dann, zu ihm nach Hause zu gehen. Ich verbrachte die Nacht bei ihm, und zuerst entschieden wir uns gegen jederlei Sexkontakte, weil wir keine Kondome hatten – ich hatte ihn gefragt, ob er welche hat. Wir lagen also nur zusammen im Bett. Dann kam natürlich die Versuchung, und schließlich hatten wir ungeschützten Sex.

Ich erinnere mich, dass wir über HIV und Aids geredet hatten und dass er darüber genauso dachte wie ich. Und ich bin mir sicher, dass ich ihn zu diesem Zeitpunkt über meinen Status informiert hatte.

Wie haben Sie ihm klargemacht, dass Sie HIV-positiv sind?

Ich erinnere mich, wie er sagte, wir könnten eindringenden Sex haben, aber ich sollte nicht in ihm abspritzen, weil wir keine Kondome hätten. So verstehe ich unsere Vereinbarung. Er schien damit einverstanden zu sein. Auf diese Weise machten wir eine Weile weiter. Für ihn gab es also kein Problem.

Das Dumme ist, dass ich mir irgendwann eine STI bei ihm geholt habe. Darüber habe ich bisher kaum mit jemandem gesprochen. Aber jetzt mach ich es publik, denn die Leute sollen wissen, dass es hier nicht nur heißen kann: „Oh, Sie haben es nicht offengelegt und deshalb sind Sie im Unrecht.“

Kannten Sie denn seinen HIV-Status?

Nein. Ich glaube, ich habe ihn nicht einmal gefragt. Ich war so sehr auf mich selbst, auf meinen Zustand fokussiert, auf das, was ich tun musste, um ihm nicht zu schaden. Ich kümmerte mich mehr um seinen Schutz, so wie sich wahrscheinlich die meisten Menschen mit HIV mehr um den Schutz ihrer Partner sorgen.

Wie ging es weiter?

Unsere Gelegenheitsbeziehung dauerte etwa drei Monate. Als wir uns näher kennenlernten, hatten wir ständig Streit. Wir waren offensichtlich nie auf gleicher Linie, und als es dann zur Trennung kam, war er sehr aufgebracht.

Nun, in der Geschichte gab es noch einen Dritten, der glaubte, sich einmischen zu müssen – ich denke, um den gemeinsamen Freund oder diesen Typen zu schützen. Ich erinnere mich, wie er darauf zu sprechen kam, ob ich diesen Typen über meinen Status informiert hätte, und ich ihn fragte: Was meinst du? Denn diese spezielle Person kannte meinen Status wirklich. Ich war einfach überrumpelt durch seine Fragerei zu meiner persönlichen Verantwortung für andere, einem so intimen Thema.

Soweit ich mich jedenfalls entsinne, habe ich diesen Typen an meinen HIV-Status erinnert. Als Nächstes hat er mir wegen Verheimlichung meiner Infektion mit einer Anzeige gedroht, wobei man bedenken muss, dass ihn unsere Trennung sehr aufgeregt hat.

Wann und wie haben Sie erfahren, dass er Sie tatsächlich angezeigt hat?

Er drohte mir ständig per SMS, dass ich einlenken müsse und mich schämen sollte. Und dass er den Test machen werde und dass er, falls dieser positiv ausfalle, zur Polizei gehen wolle.

Plötzlich bekam ich Nachrichten auf meinem AB von der örtlichen Polizei und von einem Kriminalpolizisten für Sexualdelikte. Ich hab darauf nicht geantwortet, weil ich einfach nicht wusste, was ich in dieser Situation machen sollte. Also ignorierte ich die Anrufe einfach.

Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, fand ich auf dem Tisch einen Durchsuchungsbefehl. Da begriff ich, dass jemand in meiner Wohnung gewesen war und meine Sachen nach irgendwelchen Hinweisen auf HIV durchsucht hatte, um herauszufinden, ob ich wirklich HIV-positiv war oder nicht. Und sie hatten Sachen wie zum Beispiel mein Telefonbuch mitgenommen, wahrscheinlich, um weitere potenzielle „Opfer“ ausfindig zu machen.

Nach einiger Zeit bekam ich am Arbeitsplatz Besuch von Kriminalbeamten für Sexualstraftaten. Sie fragten mich, ob ich ihn kannte. Ich war gerade sehr beschäftigt und konnte deshalb nicht in Ruhe mit ihnen reden. Ich entsinne mich, dass sie mir eine Visitenkarte gaben, ich aber nie zu ihnen hingegangen bin, weil ich nicht verstand, was da los war, und ich wollte mich ihnen nicht einfach so ausliefern.

Und was geschah dann?

Ein paar Monate danach kamen sie wieder in meine Firma. Einer der Security-Angestellten hatte mir gesagt, da sei Besuch für mich, also ging ich zum Büroeingang, um mit ihnen zu sprechen. Als Nächstes sagten sie, ich solle meine Hände auf den Rücken nehmen, weil ich verhaftet sei. Und ich erinnere mich, dass ich fragte: Wieso? Und sie: Wollen Sie wirklich, dass wir das sagen?

Mein Verstand drohte auszusetzen. Ich war, glaub ich, einfach geschockt. Ich war völlig benommen, dachte an mein Leben und wie es sich ändern würde. Und natürlich, dass meine Familie und die Öffentlichkeit davon erfahren würden, wo ich doch jetzt schon vor meinen Kollegen bloßgestellt worden war. Ich erinnere mich, wie sie mir Handschellen anlegten, mich ins Auto setzten und ins Stadtgefängnis brachten, wo ich registriert wurde. Ich erinnere mich, wie ich stundenlang in der Wartezelle saß. Wahrscheinlich war es spät in der Nacht, als ich endlich in eine Zelle konnte, um mich zum Schlafen hinzulegen.

Portrait Robert Suttle

(Foto: Jennifer Doherty)

Nachdem Robert auf Kaution freigekommen war, eine Anwältin eingeschaltet und sich später – in der Hoffnung auf eine mildere Strafe – ohne Gerichtsverhandlung für „schuldig“ bekannt hatte, wurde er zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Begründung lautete, er habe „eine andere Person absichtlich dem Aids-Virus ausgesetzt“. Ob sein damaliger Partner HIV-positiv ist, weiß Robert nicht: Er hat seit der Anzeige nicht mehr mit ihm gesprochen und darf auf gerichtliche Anordnung keinen Kontakt mehr zu ihm aufnehmen.

Zusätzlich zur Bewährungsstrafe mussten Sie sich auch noch als Sexualstraftäter registrieren lassen. Welche Folgen hatte das für Sie?

Als Sexualstraftäter registriert zu werden, bedeutet, dass deine gesamten Angelegenheiten vor der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Mein Foto erschien in der Lokalzeitung, im Umkreis von einigen Meilen wurden in der Gemeinde Benachrichtigungskarten verschickt. Und das heißt: an deine Familie, Freunde, Leute, mit denen du zur Kirche gehst – eben an jeden, der in deiner Nähe wohnt.

Das bedeutet auch, dass bei dir zu Hause oder am Arbeitsplatz einmal im Monat oder jederzeit ein Bewährungshelfer aufkreuzen kann. Und dass man ihnen jeden Monat berichten muss. Will man den Bundesstaat oder die Gegend, in der man lebt, verlassen, muss eine Reisegenehmigung beantragt werden. In Louisiana bedeutet es außerdem, dass im Führerschein unter dem Foto in großen roten Buchstaben „Sexualstraftäter“ steht. Und ich bin 15 Jahre registriert.

Wie sind Sie mit dieser Registrierung umgegangen?

Nachdem ich verurteilt war und meine Bewährungsstrafe bekommen hatte, nachdem ich beim Bewährungsbüro gemeldet war und von der Registrierung als Sexualstraftäter erfahren hatte, brachten mein Anwalt und ich diese Sache vors Gericht. Das entschied Monate später in etwa so: „Doch, Sie müssen sich registrieren lassen, auch wenn wir Ihnen das nicht gesagt hatten, und außerdem müssen Sie für eine Weile ins Gefängnis!“ Weil die Verurteilung als Sexualstraftäter eine Gefängnisstrafe zwingend erforderte, wurde ich zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Trotz seiner Bewährungsstrafe musste Robert also doch für sechs Monate ins Gefängnis. Nach seiner Freilassung war er ohne Job und begann, ehrenamtlich bei einer Aidshilfe-Organisation zu arbeiten, wo er sein Wissen über HIV erweiterte. Inzwischen ist Robert hauptamtlich als Assistent der Geschäftsführung des SERO-Projekts tätig.

Können Sie mir kurz erklären, was SERO ist und was Ihre Aufgaben sind?

SERO ist ein Netzwerk von Menschen mit HIV und von Verbündeten, die sich gegen Stigma und Diskriminierung engagieren. Wir geben all jenen Gesicht und Stimme, die verfolgt werden oder von Verfolgung bedroht sind. Vielen Leuten in der US-amerikanischen Gesellschaft ist nicht bewusst, dass es dieses Phänomen immer noch gibt.

Meine Arbeit besteht vor allem darin, mit verschiedenen Gruppen zu reden – mit Fachkräften im öffentlichen Gesundheitswesen, Jurastudenten, Graswurzel-Communities, Community-Aktivisten, Menschen, die in anderen Feldern für soziale Gerechtigkeit eintreten.

Wären Sie damals schon Experte in Sachen „Kriminalisierung von Menschen mit HIV“ gewesen, was hätten Sie dann anders gemacht?

Ich hätte gekämpft, statt einen Deal mit der Anklage einzugehen. Ich hätte alle Tatsachen und Erkenntnisse präsentiert, die heute zu HIV vorliegen. Ich wünschte, ich hätte damals so viel über die Forschung gewusst wie heute. Und über das Strafrechtssystem und wie die Gesetze angewandt werden.

Was würden Sie Menschen raten, die wegen Nichtoffenlegung der HIV-Infektion, wegen potenzieller oder erfolgter HIV-Übertragung strafrechtlich verfolgt werden?

Ich würde ihnen raten, redet nicht zu viel darüber, gebt keine persönlichen Informationen, solang ihr keinen Anwalt habt, der euch führt und unterstützt. Ich würde ihnen raten, ins Internet zu gehen, „HIV und Kriminalisierung“ einzugeben und das verfügbare Quellenmaterial zu studieren.

Und ich würde sie ermuntern, ihre Anwälte an diese Quellen heranzuführen, denn auch sie müssen diese Fakten kennen und verstehen, wogegen sie kämpfen. Denn man möchte sich garantiert nicht dem Strafverfolgungssystem stellen, ohne zu verstehen, warum und wie sie all das tun können, was sie gegen dich unternehmen, wenn sie dich verfolgen. Und – man muss hoffen und einfach kämpfen.

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