Der Einsatz lautete auf Schädel-Hirn-Trauma irgendwo im Wald. Wir fuhren hin und fanden eine einigermaßen skurrile Situation vor. Die Radfahrerin war ohne Helm mit dem Kopf über die Lenkstange vom Rad abgestiegen und lag bei unserer Ankunft im RTW. Das ganze war in einem hochfrequentierten Freizeitgebiet passiert, so dass Hilfe schnell vor Ort vor war. Ich stieg in den RTW und merkte sogleich, dass die Stimmung nicht gut war. Die RTW-Besatzung guckte etwas unglücklich und mittendrin hüpfte ein Mensch in zivil fröhlich umher und gab Anweisungen. Die Patientin selbst hatte eine blutende Platzwunde, war jedoch wach und einigermaßen ansprechbar.
“Ach, gut dass sie kommen!”, rief mir der Mensch in zivil zu. “Ich bin auch Notarzt am Krankenhaus GottesGeschenkAnDieNotfallmedizin und gerade zufällig hier vorbeigekommen. Die Patientin hatte einen Unfall mit dem Rad, sie war wohl kurzzeitig bewusstlos und hat dann auch gekrampft. Ich habe schon mal Midazolam gespritzt.”
“Hat nicht gekrampft.”, murmelte der Rettungsassistent in seinen nicht-vorhandenen Bart. “Ich schlage vor, sie legen jetzt noch einen zweiten Zugang und fahren dann in den Schockraum im Krankenhaus GottesGeschenkAnDieNotfallmedizin, wo ich sie schon angemeldet habe.”
Sprach’s und verschwand aus dem Wagen.
Die Kollegen vom RTW waren völlig ungehalten. “Was soll das?”, fauchte mich Ernie an, den ich schon gut von anderen Einsätzen kannte. Der Typ führt sich auf, meldet die Patientin einfach im Schockraum an, ich kenne den gar nicht! Und gekrampft hat die Frau auch nicht! Die hat ein bisschen mit den Armen gerudert, als wir sie in den RTW getragen haben, sonst nichts!”
Ich untersuchte die Patientin. Sie war ein wenig benommen, aber für einen Krampfanfall fand ich auch keine Anhalte.”
“Das mit der zweiten Nadel lassen wir, aber wir fahren sie über den Schockraum im Krankenhaus GottesGeschenkAnDieNotfallmedizin, denn da ist sie ja jetzt schon mal angemeldet.”, entschied ich, um die Diskussion zu beenden.
“Muss das sein?”, fragte Ernie. “Wir hätten die Patientin einfach normal chirurgisch ohne Notarzt gefahren,wenn der Typ nicht dahergekommen wäre.” Ernie war jetzt maximal bockig.
Schwierig. Ich konnte Ernie ja verstehen. Da springt ihm so ein dahergelaufener Notarzt aufs Auto. Ernie wollte ja nicht unhöflich sein und sich erstmal den Arztausweis zeigen lassen, aber er war mit der Therapie des Notarztes nicht einverstanden. Er wusste nicht, ob er sich wehren kann und darf und auch ich war mehr als irritiert von dieser Situation, denn der Kollege hatte ja nicht nur Hilfe angeboten, sondern war aktiv in die Versorgung eingestiegen (Nadel legen, Medikament spritzen, Schockraum anmelden). Ich fand das auch nicht so prickelnd, denn ich war nun zwischen Baum und Borke gefangen. Einerseits fand ich die Einschätzung des Kollegen auch falsch (Krampfanfall, schweres SHT), andererseits fand ich auch, dass Ernie die Patientin nicht richtig einschätzte (fahren wir ohne Notarzt). In der Diskussion hinterher war ich jedoch ratlos. Hätte Ernie den ersten Notarzt vom Auto werfen dürfen, wenn er ihn nicht als Notarzt erkennt? Da könnte ja schließlich jeder kommen. Oder hat der erste Notarzt an der Unfallstelle nun mal, wie im Rettungswesen üblich, automatisch die Leitung (und war damit auch mir gegenüber weisungsbefugt?).
Ich fand es sehr schwierig und habe da noch lange drüber nachgedacht, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu kommen. Habt Ihr so was schon mal erlebt?