Qualifizierte Patienteninformationen – Interview mit Journalistin Tanja Wolf

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Bildnachweis: © Heiko Specht

Birgit Pscheidl: Welche Merkmale sollten Patienteninformationen und speziell Gesundheitsratgeber aufweisen?

Tanja Wolf: Patienteninformationen und Gesundheitsratgeber sollten Menschen in die Lage versetzen, aufgrund von unverzerrten Information selbst zu entscheiden. Dafür müssen die Informationen unabhängig, verständlich und ausgewogen sein. Sie müssen also Nutzen und Schaden aller Optionen vermitteln, auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand sein und die Erkrankung und ihre Risiken ohne Übertreibungen vermitteln. Sinkt beispielsweise das Risiko einer Hüftfraktur durch eine Behandlung von zwei Prozent auf ein Prozent, bedeutet dies keine Halbierung des Risikos. Oder das Beispiel Früherkennung: Screening-Tests sollen Kranke als krank und Gesunde als gesund erkennen – hundertprozentig sichere Ergebnisse gibt es aber nicht. Ein Tumor kann übersehen oder fälschlicherweise als solcher diagnostiziert werden. Selbst bei Tests mit guter Aussagekraft werden stets mehr Menschen mit falsch-positivem Befund identifiziert als mit richtig-positivem. Ein weiterer wichtiger Punkt: Risikofaktoren oder schwankende Störungen dürfen nicht zu Krankheiten gemacht werden. Eine geringe Knochendichte zum Beispiel ist noch keine Osteoporose, teilweise sexuelle Probleme sind noch keine Hormonkrankheit. Diese Punkte gelten übrigens ebenso für journalistische Artikel über Gesundheitsthemen.

Birgit Pscheidl: Worin besteht das Problem von unqualifizierten Patienteninformationen?

Tanja Wolf: Das Problem ist die Beeinflussung des Patienten. Er wird vielleicht zu Entscheidungen kommen, die er mit objektiven Daten möglicherweise so nicht gefällt hätte. Das Internet ist voll von medizinischen Ratgebern. Hier die Spreu vom Weizen zu trennen, ist für medizinische Laien extrem schwer. Informierte Entscheidungen sind aber heute im Gesundheitsbetrieb nötiger denn je, nicht nur bei IGeL-Leistungen. Verlässliche, evidenzbasierte Patienteninformationen dürfen keine Werbung machen, sollten ihre Quellen nennen und Debatten oder Wissenslücken in der Forschung ansprechen.

Birgit Pscheidl: Halten Sie eine Prüfung beziehungsweise Zertifizierung von Gesundheitsratgebern für sinnvoll?

Tanja Wolf: Grundsätzlich ja. Denn leider haben diverse Untersuchungen gezeigt, dass auch Ärzte zur Fehlinformation beitragen können. Zum einen bewerten auch Ärzte statistische Risiken immer wieder falsch, zum anderen gibt es auch Ratgeber von Ärztekammern oder Zahnärztekammern, die wissenschaftlich nicht korrekt sind. Teilweise wurden sie nach Kritik aus dem Netz genommen oder überarbeitet. Andererseits ist wissenschaftlich belegt, dass Patienten, die Therapieentscheidungen selbstständig und kompetent mittragen, therapietreuer und belastbarer sind und bessere Behandlungsergebnisse aufweisen.

Birgit Pscheidl: Wer eignet sich zur Prüfung von Gesundheitsratgebern?

Tanja Wolf: Das ist eine heikle Entscheidung. Das deutsche Gesundheitssystem ist kompliziert und vom teilweisen Gegeneinander der Partner in der Selbstverwaltung geprägt. Deshalb ist darauf auch noch keine durchschlagende Antwort gefunden. Auf jeden Fall sollte es eine wirtschaftlich unabhängige Stelle sein, mit transparenter Legitimation. An der „Guten Praxis Gesundheitsinformation“ beispielweise arbeiten verschiedene Institutionen mit – das Ministerium, Krankenkassen, Ärztekammern, die Stiftung Warentest und die Verbraucherzentrale, ebenso das Deutsche Netzwerk evidenzbasierte Medizin (DNEbM) und das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Dessen Patienteninformation ist vorbildlich, aber längst nicht bei der breiten Mehrheit der Patienten bekannt. Bislang braucht man sehr viel Medienkompetenz, um gelenkte Patienteninformationen von unabhängiger zu unterscheiden.

Tanja Wolf ist seit 2002 als selbstständige Journalistin tätig, ihre Schwerpunkte sind Medizin und Gesundheit. Unter anderem schreibt die Autorin für Spiegel Online und verschiedene Tageszeitungen wie die Badische Zeitung.

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