Was bringen Privatisierungen im Gesundheitswesen? Ein Interview mit Herrn Prof. Dr. Peter Zweifel

Peter ZWeifel_2Herr Prof. Dr. Zweifel wurde vom Lehrstuhl für AVWL und Finanzwissenschaft an die Universität Greifswald eingeladen, um dort einen Gastvortrag zu halten (weitere Informationen dazu hier). Im Anschluss ist es Konrad gelungen, den Professor der Universität Zürich für das Blog zu interviewen.

VITA

Peter Zweifel schloss seine Studien 1974 mit dem Doktorat an der Universität Zürich ab und verbrachte dann ein Jahr an der University of Wisconsin (Madison), wo er seine Kenntnisse in Ökonometrie bei Prof. A.S. Goldberger vervollständigte und dank Prof. B.A. Weisbrod Interesse an der Gesundheitsökonomie fand. Dieses Interesse mündete in seine Habilitationsschrift “Ein ökonomisches Modell des Arztverhaltens” (Springer, 1982). Nach Habilitation und einer Gastprofessur an der Universität der Bundeswehr München wurde er 1984 zum Assistenzprofessor und 1990 zum ordentlichen Professor für Angewandte Mikroökonomie an der Universität Zürich gewählt. Peter Zweifel hat über 100 Beiträge in begutachteten Fachzeitschriften publiziert und ist Mitautor mehrerer Lehrbücher (Gesundheitsökonomie, 6.A., mit F. Breyer und M. Kifmann, erschienen auch als Health Economics, 2.A., 2009; Versicherungsökonomie 2.A., mit R. Eisen, erscheint auch als Insurance Economics 2012); Energieökonomik. 2.A., mit G. Erdmann, alle bei Springer). Er diente von 1996 bis 2005 als Mitglied der schweizerischen Wettbewerbsbehörde und von 2001 bis 2008 als Begründer und Herausgeber (mit M. Pauly, Wharton School) des International Journal of Health Care Finance and Economics. Er wurde im August 2011 emeritiert und wirkt seither noch ein wenig an den Universitäten D-Lüneburg (als Gastprofessor) und DK-Odense (als Honorarprofessor).

Konrad Fenderich: Herr Prof. Dr. Zweifel, Sie sind gebürtiger Schweizer, kennen sich mit dem deutschen Gesundheitswesen bestens aus und kommen gerade aus Dänemark von der Universität Odense, bei der Sie eine Honorarprofessur innehaben. An welchen Kernpunkten unterscheiden sich die Gesundheitswesen dieser drei Länder und wo liegen Gemeinsamkeiten?
Prof. Dr. Zweifel: In Dänemark ist das Gesundheitswesen voll zentralisiert, was die Finanzierung und Steuerung der Krankenhäuser betrifft. In der Schweiz dagegen sind die Kantone für die Krankenhäuser zuständig, und soziale Krankenversicherer im Wettbewerb sind für die Finanzierung der ambulanten und zur Hälfte der stationären Versorgung zuständig. In Deutschland haben die Kassen ähnlich wenig Vertragsfreiheit wie in der Schweiz, wodurch sie außerhalb der Integrierten Versorgung immer noch alle Ärzte als Vertragspartner akzeptieren müssen.

Konrad Fenderich: Sie sprachen bereits den Wettbewerb an. Welche Rolle spielen dabei Privatisierungen im Gesundheitswesen?
Prof. Dr. Zweifel: Privatisierungen sind in den Gesundheitswesen weltweit eine Ausnahme. Die Regierungen mischen sich in das Gesundheitswesen ein und regulieren beispielsweise den Zugang zu Krankenversicherungen und Gesundheitsberufen. Es ist allerdings hinlänglich bekannt, dass Private eine gute Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen verlässlich herstellen können. Zum Beispiel wurde in der ehemaligen DDR die Herstellung und der Verkauf des Trabants staatlich reguliert. Nach dem Mauerfall wurden in den neuen Bundesländern aber überdurchschnittlich viele VW verkauft, weil die Menschen die Qualität des privaten Angebots zu schätzen wussten. Es stellt sich daher die Frage, warum nicht auch im Gesundheitswesen viel stärker auf private Dienstleistungen gesetzt wird.

Konrad Fenderich: … weil das Gesundheitswesen eine Art Ausnahmebereich mit staatlicher Regulierung darstellt?
Prof. Dr. Zweifel: Meiner Meinung nach sollte das nicht der Fall sein. Immerhin werden etwa 12% des BIP Deutschlands im Gesundheitswesen erwirtschaftet. Eine ungenügende Performance des Gesundheitswesens gefährdet damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Wirtschaft. Zudem haben alle Menschen einen Anspruch darauf, dass das Gesundheitswesen aus dem Konsumverzicht durch Abgaben an das Gesundheitswesen dank höherer Performance möglichst viel macht. Regierungen haben es jedoch versäumt, Informationen über öffentliche Gesundheitsbetriebe bereitzustellen, anhand welcher man die Performance des Gesundheitswesens hätte messen können.

Konrad Fenderich: Welche Kriterien wenden Sie zur Beurteilung der Performance eines Gesundheitswesens an?
Prof. Dr. Zweifel: Erstens, die präferenzgerechte Versorgung, also die Frage, ob ein Konsument nach seinen individuellen Präferenzen einen bestimmten Arzt, ein bestimmtes Krankenhaus oder einen bestimmten Krankenversicherungsvertrag aussuchen kann. Zweitens, die statische Effizienz – d.h. ob ausgewählte Behandlungsoptionen zu minimalen Kosten bereitgestellt werden. Drittens, die Fähigkeit zur Anpassung. Diese Fähigkeit ist in Zeiten, in denen die Halbwertszeit des medizinischen Wissens etwa fünf Jahren entspricht, sehr wichtig. Wir unterliegen einem stetigen Wandel, erreichen heutzutage eine hohe Lebenserwartung bei guter Gesundheit und erwarten, dass Gesundheitsdienstleistungen die Lebensqualität sichern. Daher muss ein Gesundheitswesen auch in Zukunft die Fähigkeit besitzen, sich an veränderte Präferenzen und stetig ändernde Behandlungsoptionen anzupassen.
Neben der statischen Effizienz muss ein Gesundheitswesen auch – viertens – eine dynamische Effizienz erreichen. Dies bedeutet, dass sowohl Güter und Leistungen mit neuen Eigenschaften im Sinne einer Produktinnovation entwickelt werden sollten, als auch bestehende Produkte billiger und rascher hergestellt werden sollten.

Konrad Fenderich: Also neben der Produkt- auch eine Prozessinnovation im Gesundheitswesen…
Prof. Dr. Zweifel: Richtig, allerdings finden im Gesundheitswesen kaum Prozessinnovationen statt, da des Gesundheitswesen kaum internationalem Wettbewerb ausgesetzt ist und höhere Produktpreise den Endkonsumenten wegen der Versicherungsdeckung kaum erreichen. Eine gute Performance wird letztendlich dann erreicht, wenn auch – fünftens – das Einkommen von denjenigen Produzenten im Gesundheitswesen erzielt wird, welche die zuvor genannten vier Kriterien erfüllen. Dies würde Monopol- und Kartellrenten minimieren und zum Kriterium der leistungsgerechten Einkommensverteilung führen.

Konrad Fenderich: Wie können Privatisierungen im Gesundheitswesen dazu beitragen, dass das Kriterium der präferenzgerechten Versorgung besser erfüllt wird?
Prof. Dr. Zweifel: Um dies deutlich zu machen müssen wir uns vor Augen führen, dass die Menschen in Deutschland in Bezug auf die Gesundheitsversorgung sehr heterogene Präferenzen haben. So haben sogenannte Wahlexperimente ergeben, dass Chroniker keine IV-Verträge wollen, obwohl diese Verträge für sie gedacht sind. Eine einheitliche Krankenversicherung, in der die Versicherten nicht die individuell-gewünschten Behandlungsoptionen erhalten, verursacht allgemein deutliche Wohlfahrtsverluste. Eine private Krankenversicherung kann dagegen maßgeschneiderte Optionspakete zusammenstellen. Ein wichtiges Kriterium ist hierbei allerdings, dass sie dem Wettbewerb ausgesetzt sind und sich deshalb um Kunden bemühen müssen.

Konrad Fenderich: Spiegeln sich Privatisierungen auch in einer höheren statischen Effizienz und besseren Anpassungsfähigkeit eines Gesundheitswesens wieder?
Prof. Dr. Zweifel: Ja, denn eine Öffnung des Markts für Gesundheitsdienstleistungen und Abschaffung des Staatsmonopols sorgt für zusätzlichen Wettbewerb. Auch eine Öffnung gegenüber Wettbewerbern aus dem Ausland muss hier in Erwägung gezogen werden. Eine verstärkte Betonung der Privatisierungen würde zu gleichen Wettbewerbschancen zwischen privatem und öffentlichem Sektor führen. Dies wiederum würde sich auch positiv auf die Anpassungsfähigkeit auswirken, da die derzeit geringe Anpassungsfähigkeit oftmals auf die Beschäftigte im öffentlichen Dienst zurückgeht, die sich von Änderungen keine Vorteile versprechen.

Konrad Fenderich: Durch vermehrte Privatisierung und mehr Wettbewerb würden vermutlich auch kostensparende Prozessinnovationen eher erreicht werden?
Prof. Dr. Zweifel: Richtig, durch den Druck des Wettbewerbs sind private Dienstleister eher dazu geneigt, solche (unpopulären!) Innovationen durchzusetzen, um genügend Gewinn zu erwirtschaften. Allerdings dürfen Innovationen und Privatisierung nicht dazu führen, dass private Dienstleister zu Monopolisten werden. Im Allgemeinen erhöhen Privatisierungen den Druck auf die Leistungserbringer, die genannten ersten vier Kriterien zu erfüllen. Sie tragen insofern zu einer leistungsgerechten Einkommensverteilung im Gesundheitswesen bei.

Konrad Fenderich: Sind Privatisierungen das Allheilmittel für ein marodes Gesundheitswesen?
Prof. Dr. Zweifel: Privatisierungen sind kein Allheilmittel, weil sie ja beispielweise an den bestehenden Zutrittsschranken (z.B. numerus clausus in der Medizin) nichts ändern. Immerhin können Privatisierungen zur besseren Erfüllung der Kriterien beitragen, wodurch breite Bevölkerungsschichten profitieren würden.

Konrad Fenderich: Warum stoßen fortschreitende Privatisierungen im Gesundheitswesen auf Ablehnung?
Prof. Dr. Zweifel: Dazu überlegt man sich am besten, wer von den Privatisierungen Nachteile erwartet. Es sind die Beschäftigten im Gesundheitswesen, Politiker und Beamte sowie ältere Bürger.Frage: Können Sie dies spezifizieren?Antwort: Beschäftigte im Gesundheitswesen werfen privaten Dienstleistern, insbesondere Krankenhäusern, oft  „Rosinenpickerei“ vor. Allerdings schaffen DRG-Fallpauschalen neuerdings auch für öffentliche Krankenhäuser einen Anreiz, schwere Fälle abzuweisen. Umgekehrt gibt es Evidenz aus Deutschland, wonach ausgerechnet private Kliniken überdurchschnittlich schwere Fälle behandeln – die von öffentlichen Häusern kommen. 
Politiker verlieren durch die Umwandlung von öffentlichen zu privaten Dienstleistern an Einfluss, während Beamte Aufstiegschancen einbüßen, wenn sie geschrumpften Ämtern vorstehen. Ältere Bürger schließlich hegen eine Präferenz für den Status quo, insbesondere was ihre Krankenversicherung angeht. Zwar ist diese Widerstands-Koalition nicht leicht zu überwinden, aber in Anbetracht der Vorteile durch Privatisierungen im Gesundheitswesen ist es die Mühe sicher wert!

Konrad Fenderich: Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Zweifel, vielen Dank für das Gespräch!

Die 5 Kernkriterien zur Beurteilung der Performance eines Gesundheitswesens:

  • Präferenzgerechte Versorgung
  • Statische Effizienz
  • Fähigkeit zur Anpassung
  • Dynamische Effizienz
  • Leistungsgerechte Einkommensverteilung

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