Nach einem langwierigen und teuren Bewerbungsprozess zur Registrierung neuer Top-Level-Domains (TLD) hat die kalifornische Verwaltungsbehörde für Internetadressen (ICANN) endlich entschieden: Der in Berlin ansässige gemeinnützige Verein dotHIV darf über die Webadressen-Endung .hiv verfügen. Axel Schock sprach mit Projektleiterin Carolin Silbernagl.
Sie ist die einzige Top-Level-Domain weltweit, die ausschließlich einem sozialen Zweck dient: dem Kampf gegen HIV und Aids. Mit dem Verkauf von .hiv-Internetadressen soll Geld für HIV-Projekte gesammelt und zugleich die Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt werden. Carolin Silbernagl leitet das Projekt und hat die Idee seit 2009 mitentwickelt.
Frau Silbernagl, wie kamen Sie darauf, sich ausgerechnet diese Topdomain zu schnappen?
Es gab tatsächlich einen konkreten Anlass. Unser Mitbegründer Philipp Kafkoulas hatte in einer Hamburger Werbeagentur eine Pro-bono-Bewusstseinskampagne für HIV entwickelt. Er war damit auch ganz zufrieden, nicht aber mit den Möglichkeiten, die eine klassische Werbekampagne zu diesem Thema bietet. Wir wollten deshalb etwas machen, was international wirksam ist und außerdem die Menschen etwas mehr mitnimmt. An einer Plakatwand läuft man vorbei, sieht das Werbemotiv und vergisst es auch schnell wieder. So entstand die eigentlich ganz simple Idee.
„Wir wollten etwas international Wirksames machen“
Ab 26. August können nun Firmen, Organisationen und Privatleute Internetadressen mit der Endung .hiv anmelden. Was steckt hinter dieser Idee?
Die Adressleiste des Browsers wird ja meist mehrfach am Tag genutzt, sodass wir das Thema HIV und Aids an einer zentralen Stelle im Leben der Menschen platzieren können.
Und war die Umsetzung genauso „simpel“ wie die Idee?
Uns war am Anfang überhaupt nicht klar, wie aufwendig das werden würde. Wir dachten tatsächlich ganz naiv, wir könnten irgendwo anrufen und uns diese Top-Level-Domain zuweisen lassen.
Gab es nicht mehr Bewerber für .hiv, zum Beispiel Pharmaunternehmen?
Eines der größten Risiken auf dem ganzen Weg war, dass jemand mit klassisch-kommerziellem Interesse sich für diese Domain bewerben könnte. Wir waren glücklicherweise die einzigen. Für allgemeine Domain-Begriffe wie .health oder .med war die Nachfrage tatsächlich höher. Wir sind übrigens weltweit auch die einzige soziale Initiative, die sich für eine Domain beworben hat.
Viel Pro-bono-Unterstützung beim Start der Kampagne
Die Kosten dafür sind ja auch nicht unerheblich.
Bis zum Start werden wir insgesamt rund 600.000 Euro investiert haben. Das ist deutlich weniger als andere in diesem Bereich benötigen, um eine Top-Level-Domain zu starten. Möglich war das, weil wir beim Start der Kampagne sehr viel Pro-bono-Unterstützung erhalten haben, zum Beispiel durch Agenturen. Aber auch für den technischen Bereich zahlen wir weniger.
Was die Sache so teuer macht und andere Initiativen sicherlich an einer Bewerbung hindert, sind die hohen Antragsgebühren. Ohne Beratungs- und Anwaltskosten waren das allein 185.000 Dollar. Hinzu kommen die Kosten für die technische Infrastruktur und die Server.
Wie haben Sie das alles finanzieren können?
Wir wollten das Projekt auf die Beine stellen, ohne dafür Spenden einzuwerben. Das meiste konnten wir durch sozial gestaltete Kredite realisieren, zum Beispiel durch eine klassische Start-up-Förderung von der Berliner Investitionsbank, aber auch durch Privatpersonen, die an das Konzept glauben und uns niedrig verzinste Kredite gaben, die wir entsprechend unseren Möglichkeiten zurückzahlen können.
„Wir wollten für das Projekt keine Spenden einwerben“
Uns war wichtig, dass wir nicht Spenden- und Stiftungsgelder oder Fördermittel dafür einsetzen, die im Feld HIV/Aids zur Verfügung stehen. Wir möchten ja einen Mehrwert bieten und nicht Gelder abziehen, die jemand anderes hätte gut brauchen können.
Wie kann man nun durch die Domain .hiv Gewinn machen?
Webadressen sind im Grunde ein Abomodell. Jede .de- oder .com-Adresse kostet eine jährliche Registrierungsgebühr, und so wird es bei uns auch sein. Unsere Adressen sind mit rund 160 Euro im Jahr ein wenig teurer. Wir vertreiben sie nicht selbst, sondern das übernehmen Registrare wie 1&1 oder Strato. Pro besuchter .hiv-Webseite wandert aus den Erlösen ein Kleinstbetrag, voraussichtlich um 0,1 Cent pro Klick, in den Topf für aktive Spenden.
Was geschieht dann mit diesem Geld?
Wir spenden mindestens 70 Prozent unserer Einnahmen. Die verbleibenden 30 Prozent decken zum einen unsere Betriebskosten, zum anderen werden damit die Kredite abbezahlt.
Mindestens 70 % der Einnahmen wandern in den Spendentopf
Wie viele Firmen oder Privatleute müssen sich eine .hiv-Adresse zulegen, damit das Modell funktioniert?
Zum Start peilen wir etwa 4.000 zahlende Kunden an. Über die Jahre soll die Zahl der jährlichen Abos auf 15.000 bis 20.000 aufgebaut werden. Wir kommen dann in einen Bereich, wo wir mit großen Summen – wir rechnen mit mehreren Millionen Euro pro Jahr – Projekte im HIV-Bereich fördern können.
Nach welchen Gesichtspunkten soll der Gewinn verteilt werden?
Das .hiv-Projekt ist, wie das Internet, international angelegt, und so möchten wir auch die Projektförderung gestalten. Es gibt keine Ausschlusskriterien, aber wir haben zum Start einen thematischen Schwerpunkt gesetzt: den Zugang zu Medikamenten. Das heißt, die Infrastruktur soll verbessert werden, sodass der lebensrettende Zugang zur HIV-Behandlung tatsächlich gegeben ist und auch aufrechterhalten werden kann. Wir haben exemplarisch vier Pilotprojekte in Ruanda, Südafrika, der Türkei und den USA ausgewählt.
Ab Herbst können sich HIV-Projekte für eine Förderung bewerben
Wie soll das Vergabeverfahren organisiert werden?
Ab Herbst diesen Jahres können sich im HIV-Bereich tätige Projekte auf einer eigens dafür eingerichteten Plattform vorstellen und für eine Förderung bewerben. Die Auswahl erfolgt dann durch Online-Abstimmung. Registrierte Nutzer können per Voting entscheiden, in welches der zur Auswahl stehenden Projekte wieviel Geld fließen soll. Gerade kleine, community-basierte Projekte, die für ein langes Antragsverfahren beim Global Fund und anderen großen Geldgebern nicht die administrativen Ressourcen haben, können hier mit relativ wenig Aufwand zum Zug kommen.
Wie groß ist das Interesse an der Domain?
Wir befinden uns derzeit noch in einer Vorregistrierungsphase, wo sich nur ausgewählte Markenrechtsinhaber registrieren können. Darunter sind so große Namen wie Amazon, Instagram, Tumblr und LinkedIn. Ab 26. August ist die Domain dann weltweit verfügbar. Bislang wurden für rund 10.000 .hiv-Adressen Interesse angemeldet. Wie viele davon dann tatsächlich auch registriert werden, wird sich nach dem offiziellen Start zeigen.
„.hiv ist gewissermaßen die zweite Eingangstür“
Wer dann zum Beispiel tumblr.hiv in den Browser eingibt, wird auf die reguläre Webseite weitergeleitet?
Das ist für solche Domain-Kunden tatsächlich die klassische Vorgehensweise. Unsere Domain ist gewissermaßen die zweite Eingangstür zu bereits bestehenden Webseiten-Inhalten. Natürlich sollen möglichst viele die .hiv-Tür verwenden, um damit ein positives Miteinander von Webseitenbetreibern und -besuchern auszulösen. Eine spezialisierte Nutzung der .hiv-Adressen ist vor allem für HIV-Organisationen oder für Akteure in den Bereichen Medizin und Pharma sinnvoll.
Und wie sieht es mit Einrichtungen aus, die ganz konkret mit HIV und Aids zu tun haben?
Viele große HIV-Organisationen sind bereits dabei, wie etwa die Deutsche AIDS-Hilfe mit magazin.hiv. Es wurden aber auch schon Begriffe wie schwul.hiv, prep.hiv, Symptome.hiv vergeben. Unter diesen Adressen werden Informationsportale entstehen. Die Federation of Gay Games hat sich beispielsweise sport.hiv gesichert, um dort Informationen zum gesunden Leben mit HIV einzustellen.
Die DAH ist mit magazin.hiv dabei
All diese Adressen stellen wir kostenlos zur Verfügung, wie generell für alle gemeinnützigen Non-Profit-Organisationen. Die Anmeldung erfolgt ganz unbürokratisch über unsere Webseite.
Ab wann werden die ersten Webseiten mit .hiv online sein?
Das hängt von den jeweiligen Betreibern ab. Wir rechnen damit, dass Unternehmen wie Amazon oder Tumblr vermutlich den Welt-Aids-Tag als Starttermin nutzen werden.
Zur Internetseite mit weiteren Informationen über dotHIV