Mit Unfreundlichkeit kommt man weiter.
Klingt erstmal komisch … ist aber so.
Ja, Freundlichkeit ist toll und wichtig, aber es gibt Momente im Leben, da hält man sich und andere nur unnötig auf, wenn man zu freundlich und zu höflich ist.
“Nein” zu sagen, oder auch mal (sehr) klare Worte zu finden, hilft dabei einen nicht zielführenden Moment zu beenden und wieder zu agieren, statt einfach nur auf die Aktionen des Gegenübers zu reagieren.
Eine solche Situation, in der ich mir früher mit meiner Höflichkeit im Weg gestanden bin, ist wenn ein Patient dazu neigt, ausschweifend zu erzählen (und sich dabei in unwichtigen Details verliert). Ich bin dazu erzogen worden, den Menschen nicht ins Wort zu fallen – wenn der Patient aber erst von seiner Tochter erzählt, die gestern Kuchen gebacken hat, bla, bevor er irgendwann nach ner halben Stunde darauf zu sprechen kommt, welche Grunderkrankungen er überhaupt hat, hilft das niemandem weiter.
Freundliche Ermahnungen, doch bitte klar und direkt die Frage zu beantworten, verlaufen manchmal im Sande. Da hilft es, laut zu werden und (je nach Situation sogar mit leicht genervtem Tonfall) dazu aufzufordern, nicht rumzuschwafeln sondern endlich zu sagen, was los ist.
Ich war anfangs wirklich erstaunt, wie weit meine Kollegen mit dieser Unfreundlichkeit gehen können, ohne dass die Situation … naja, eskaliert.
Ein anderer Grund, unfreundlich zu werden, sind dreiste Angehörige.
Klar kann man alles mit sich machen lassen und jeden Scheiß mitmachen, aber erstens hält man wenn’s schiefgeht den eigenen Kopf hin (wie bei meiner letzten Angehörigengeschichte), zweitens verschwendet man nicht nur seine eigene Zeit, sondern auch die des nächsten (Notfall-)Patienten, und drittens bekommen wir eh viel zu wenig Geld für den Quatsch, den wir den ganzen Tag machen müssen.
Angehörige, die uns darum bitten, beim Umzug ins Altenheim mal eben den halben Hausrat mitzutransportieren… NEIN! WIR SIND DOCH KEIN UMZUGSUNTERNEHMEN!
Das Schoßhündchen der Großtante muss aber mit zum Zahnarzt… SIND SIE BESCHEUERT?
Da müssen noch ein paar Möbel verrückt werden, damit der Patient später aus seinem Pflegebett zuhause allein aufstehen kann… NICHT VON UNS!
Der Pflegedienst wurde nicht informiert, dass die bettlägerige Patientin schon heute nach Hause kommt, und irgendwer muss ihr was zu Essen kochen und anreichen, weil die Pflegerin erst am Abend Zeit hat… N-E-I-N! So leid es mir tut, das geht nicht. Mein Arbeitgeber bedankt sich.
Diese Liste könnte man endlos fortführen.
Kollegen, vor allem ältere, die keinen Bock mehr haben und alles auf die jüngeren und die Frischlinge abwälzen wollen.
Ist nicht. Anfangs war ich sehr zurückhaltend, wenn es darum ging, Grenzen zu ziehen, weil ich’s mir nicht mit den alten Hasen verscherzen wollte, heute bin ich da knallhart.
Wenn ich einmal zulasse, dass der Kollege bei “KTW, sitzend” im Wagen sitzenbleibt und ich den Patienten alleine hol, weil “du kommst damit auch allein zurecht, oder?”, mach ich nur noch seine Arbeit mit, während er sich rauchend oder mampfend die Eier schaukelt.
Nee, du. Wir verdienen das gleiche Geld, dann machen wir auch die gleiche Arbeit.
“Team” steht nicht für “Toll, ein anderer macht’s!”
Manchmal sind Patienten auch verbal unverschämt…
Eine anstrengende Patientin mit tausend Sonderwünschen, die mich als Höhepunkt noch als “kleines Hühnchen” bezeichnet hat, bekam von mir ein “nervige Zicke!” um die Ohren, und danach war sie zahm, wir haben uns die restliche Fahrt super unterhalten und zum Schluss meinte sie noch “Sie sind ja doch echt nett!” und strahlte mich an. Jaja, so bin ich.
(Wenn sie sich über mich beschwert hätte, hätt ich aber auch liebend gern ne Stellungnahme geschrieben…)
In Arztpraxen (und manchen Krankenhäusern) erlebt man auch einige Leckerbissen.
Wie oft wir gefragt werden, ob wir nicht eben kurz warten können bis der Patient fertig ist, um ihn dann wieder heimzubringen. Beim RTW: aus Prinzip nein! Beim KTW: tendenziell nein. Wartezeit wird nicht bezahlt, “mal eben nur kurz” und “paar Minütchen” bezeichnen in der Regel Zeitspannen von zwanzig bis dreißig Minuten, und unser Disponent reißt uns (zu recht) den Kopf ab.
Allein diese Woche wurde ich auch täglich (!) in verschiedenen Praxen und Krankenhäusern gefragt, ob wir nicht den Stuhl oder die Trage mal eben für die Untersuchung dalassen könnten, es sei hier kein geeigneter Stuhl oder ne Liege frei… Könnten wir uns dann später ja abholen.
Einer besonders frechen Arzthelferin hab ich darauf geantwortet, dass unser KTW nicht die Möbel-SB bei Ikea wär, und dass wir ohne die Trage nicht einsatzbereit wären. Sie war echt erstaunt und dachte, wir würden das Ding nur für den Transport ausm Wagen in die Praxis brauchen. Erstens: nein, ich nehm die Patienten während der Fahrt tatsächlich nicht auf den Schoß, und Betten haben wir auch für privat Versicherte nicht im Wagen. Zweitens: selbst wenn, wie soll denn dann der nächste Patient vom KTW ins KH kommen?
Ich seh schon, allein dieses Thema braucht einen zweiten Teil.
Kurz zusammengefasst: wenn jemand wirklich unfreundlich, dreist oder unverschämt ist, und meiner Einschätzung keine Gefahr zur Eskalation besteht, pamp ich inzwischen im gleichen Tonfall zurück.
Ich bin nicht mehr das Ventil, an dem andere (egal wer) ihr Mütchen kühlen können.
Es ist vollkommen okay, wenn ihr in einigen Punkten anderer Ansicht seid oder grundsätzlich findet, dass man doch freundlich bleiben muss. Für mich hat sich kontinuierliche Freundlichkeit nicht bewährt, ich fahr besser damit, ab und zu die böse Hermione zu sein.
Dies ist natürlich kein Aufruf, unfreundlich zu Patienten und Angehörigen zu sein; ich teile hier nur meine Erfahrungen aus den ersten fünf Jahren in diesem Beruf.
Mal gucken, wie ich in weiteren fünf Jahren denke.
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