Es ist ein Tag auf dem KTW. Früher fand ich KTW-Schichten blöd und langweilig, inzwischen mag ich sie recht gern. Zumindest, wenn ich mit Kollegen fahre, die auf meiner Wellenlänge liegen, wenn die Patienten nicht übergewichtig oder infektiös sind und wenn niemand im vierten Stock wohnt.
Es ist die letzte Fahrt vor Feierabend, wir sind schon seit fast elf Stunden unterwegs und leider trifft auf diese Schicht so ziemlich nichts zu, was sie zu einer angenehmen gemacht hätte.
Mein Kollege ist gelinde gesagt ein Arschloch, die Hälfte unserer Patienten wiegt über hundert Kilo und wohnt mindestens im zweiten Stock, die andere Hälfte der Patienten hat MRSA, was bedeutet, dass ich im Patientenraum des Krankenwagens und beim Hochtragen in den wasauchimmerwievielten Stock zusätzlich zu den Handschuhen noch einen Schutzkittel und einen Mundschutz tragen muss. Das ist schon an kühlen Tagen nicht angenehm, aber bei knapp 25 Grad finde ich es unerträglich. Unter meinem Kittel und dem Mundschutz herrscht subtropisches Klima, meine Handschuhe füllen sich mit Schweiß, mir ist die ganze Zeit leicht schwindelig … Ich hasse es.
Zusätzlich habe ich noch das Problem, dass immer, wirklich immer meine Augenbraue, meine Nase, mein Augenwinkel, irgendwas in meinem Gesicht anfängt zu jucken, sobald ich mit einem infektiösen Patienten oder seinem Gepäck das erste mal Kontakt hatte und mit den Handschuhen ab dann möglichst vermeiden sollte, mir ins Gesicht, in die Haare, sonstwohin zu fassen.
Aber jetzt, letzte Fahrt. Ein Ende ist endlich in Sicht.
Unsere Patientin ist eine Stammkundin, sie gehört zu denen die wir (also die Kollegen, die einen unserer vier Krankenwagen besetzen) jeden zweiten Tag zur Dialyse und zurück nach Hause bringen.
Sie ist eine angenehme Patientin, 89 Jahre alt, immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen über ihrem zahnlosen Mund, außerdem wiegt sie weniger als ich und wohnt im Erdgeschoss.
Normalerweise redet sie kaum, lächelt bloß die ganze Fahrt über.
Heute ist es anders. Ich weiß gar nicht, wie genau wir zu diesem Thema kommen, aber sie erzählt mir davon, wie sie vor vielen Jahren als junges Mädchen ihren zukünftigen Mann kennengelernt hat. Wie sie sich auf einem Volksfest getroffen haben, die ganze Nacht getanzt und ein bisschen zuviel Alkohol getrunken haben, wie sie sich danach hinterm Festzelt auf die Wiese übergeben hat, wie er sie heldenhaft gestützt und heimgebracht hat, wie sie daraufhin für den Rest des Monats Hausarrest hatte …
Immer lebhafter erzählt sie davon, ihre Augen leuchten und wir kichern und lachen wie zwei Teenies.
Kaum zu glauben, dass dies nun schon über siebzig Jahre her ist, kaum zu glauben dass diese alte, gebrechliche Frau einmal ein Teenie war, sich heimlich zu einem Volksfest geschlichen hat …
Da soll sich noch einmal jemand über die Jugend von heute beschweren! 😉
Als wir uns in ihrer Wohnung voneinander verabschieden, strahlen wir beide.
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