Erster September – Nachdenken über die Vergangenheit

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Für ein Jahr liegt sie hinter uns: die Gedenkstunde zum 1. September. Ein wichtiges Datum, ein schwieriges auch!

Einmal im Jahr zurückblicken: in eine Vergangenheit, die wir lieber nicht hätten, auf eine Zeit, als „der Eichberg“ (heute Vitos Rheingau) von einer Heil- zu einer Mordanstalt wurde. Sein damaliger Direktor, Friedrich Mennecke, war aktiver Teil der T4-Aktion, organisierte den Krankenmord in der Berliner Zentrale Tiergartenstraße 4 (deshalb T4) mit, sorgte für die Transporte der Eichberger Patienten nach Hadamar in die Gaskammern, später für die dezentrale Euthanasie auf dem Eichberg selbst: Töten durch Gift, Hunger, Kälte …

Der Opfer gedenken

Wie geht man damit um? Wie macht man diese im Grunde unfassbaren Geschehnisse zu einer Mahnung für die heute hier arbeitenden Menschen – und das möglichst ohne erhobenen Zeigefinger oder abgedroschene Floskeln?

Seit 2009 laden wir Mitarbeitende, Patienten und Klienten und die interessierte Öffentlichkeit einmal jährlich zu einer Gedenkstunde. 2009 war der Anlass der 70. Jahrestag des sogenannten Euthanasie-Erlasses, also jenes Briefes von Adolf Hitler an seinen Leibarzt, mit dem er die Tötung von geistig behinderten und psychisch kranken Menschen legitimierte. Dieser Brief (es war kein Erlass, er sollte aber den beteiligten Ärzten die Zustimmung von ganz oben signalisieren) wurde von Hitler selbst, obwohl später geschrieben, auf den 1. September datiert und damit als „Krieg nach innen“ mit dem Überfall auf Polen und damit dem Krieg nach außen in Zusammenhang gesetzt.

Seitdem ist der Termin bei Vitos Rheingau gesetzt. Der Ablauf ist eigentlich immer gleich: Begrüßung durch den Geschäftsführer oder ein anderes Mitglied der Leitungsebene, ein Vortrag, der hoffentlich einen Impuls zur weiteren Beschäftigung oder zum Nachdenken setzt und ein Gang zum Gedenkstein, wo dessen Text von einem Patient, einer Patientin verlesen wird und die Teilnehmenden eine Rose niederlegen können. Begrüßung und Vortrag werden musikalisch umrahmt.

Verschiedene Blickwinkel

Die Themen der Vorträge – da haben wir schon versucht, unterschiedliche Aspekte der Krankenmordgeschichte zu verdeutlichen:

So ging es etwa um die Rolle der Verwaltung bei den Morden. Denn auch wenn die Ausführenden Ärzte und Pflegekräfte waren – verwaltet wurde allemal, auch die Angehörigen wurden ja informiert, häufig mit der falschen Todesursache Lungenentzündung.

Es ging um die Rolle der Ärzte, um die Frage, warum aus Helfern und Heilern Mörder werden konnten. Und in welchem gesellschaftlichen Klima ein Gedankengut entstehen konnte, aus dem heraus die Tötung „lebensunwerten Lebens“ als ein Mittel zum Erhalt der Volksgesundheit angesehen werden konnte.

Es ging um die Frage, wie man den Ermordeten ihre Namen und ihre Geschichte wiedergeben könnte – und ob man es tun darf oder ob man sie dann nicht nochmals preisgibt: der Stigmatisierung als psychisch Kranke oder Behinderte.

In einem Vortrag ging es ganz konkret um die Krankenakten aus dieser Zeit, die heute im Hessischen Staatsarchiv aufbewahrt werden; der Redner, selbst im Archiv tätig, hatte welche mitgebracht.

Und einmal ging es um das Schicksal von Eltern und Geschwistern, die ihren zweijährigen Sohn und Bruder (der vermutlich ein Down-Syndrom hatte) weggenommen bekamen. Sein kurzes Leben endete in der Kinderfachabteilung des Eichbergs. Sein heute selbst bereits betagter Bruder erzählte in einem bewegenden Vortrag von seinen Erinnerungen an den Kleineren, aber auch vom lebenslänglichen Schweigen seiner Eltern über den Verlust ihres Sohnes und darüber, was ihn bewogen hat, nachzuforschen, was damals passiert war.

Die Verbrechen sind nur schwer zu begreifen

Für mich hat unsere Gedenkstunde immer etwas leicht Unwirkliches. Der Eichberg ist gerade in dieser Spätsommerzeit unglaublich schön, er muss es auch damals, 1939, gewesen sein. Der Kontrast zwischen dieser träumerischen Schönheit und dem Ungeheuerlichen, zu dem wir immer wieder eine Haltung zu finden versuchen, tut weh. Wie der Anblick der Rosen auf dem Gedenkstein …

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