Kurz vor Mitternacht kommt eine ungefähr 45-jährige Patientin zu mir auf die Notaufnahme, die kurz davor beim Treppensteigen gestolpert ist und sich das Knie angeschlagen hat. Meine Aufgabe: die Wunde nähen. Wie immer frage ich die PatientInnen zuerst immer nach Allergien oder Grunderkrankungen. Beides verneint sie. Ich nähe also die Wunde, entlasse die Patientin und als sie schon weg ist und ich den Bericht diktiere, sehe ich dass sie schon einige Male bei uns war und blättere die alten Berichte durch. Dort lese ich in einem vor Jahren erstellten OP-Bericht, dass die Patientin HIV und Hep. C positiv ist.
Ich finde es wirklich arschig, dass sie so etwas nicht erwähnt, obwohl ich noch extra nach Grunderkrankungen gefragt habe, bevor ich begonnen habe die blutende Wunde zu versorgen.
Hätte ich etwas anders gemacht, wenn ich über die Infektion informiert gewesen wäre? Hättet ihr etwas anders gemacht? Arbeitet ihr dann noch vorsichtiger? Zieht ihr ein zweites Paar Handschuhe an?
Also, so etwas hört man nicht gerne und sagt man nicht gerne. Klingt so meckerig. Manchmal denke ich es mir, wie zum Beispiel vorgestern. Ich hatte Dienst und lief zwischen Station und Notaufnahme hin und her, und zwischendurch gab es Konsile im ganzen Haus zu erledigen, meine Mindestschrittanzahl habe ich also erreicht. Ich stehe also am Bett von Frau Italien, schon zum zweiten Mal in der Woche. Eigentlich eine internistische Patientin – Verzeihung: eine internistische Vollkatastrophe. Erstens zigfach voroperiert wegen Krebs und Herzproblemen, zweitens alles was man sich so vorstellen kann: Herzinsuffizienz, ein Kreatininwert von mindestens einer Fantastillion, und so weiter. Achja, und was wir ChirurgInnen auch so gerne haben: Gerinnungshemmer! Am besten Plavix UND Aspirin. Da blutet es dann so richtig schön während der Operation, und nachher dann auch noch. Frau Italien klagt also über gürtelförmige Oberbauchschmerzen, ich schlage der zuständigen Assistenzärztin vor dass man ja mal die Cholestaseparameter, Leber- und Pankreaswerte im Blut bestimmen lassen könnte. Ein Ultraschall des Bauches wäre auch nicht schlecht.
Internistische AÄ: “Aja, eine Bildgebung – ich habe vor einer halben Stunde ein CT angeordnet, ohne Kontrastmittel, wegen ihrer Niere!”
Menschenhandwerkerin: “Hm, also ein CT, noch dazu ohne Kontrastmittel, ist eher nicht die Bildgebung der Wahl bei der Verdachtsdiagnose einer Cholezystolithiasis oder Cholezystitis…”
Internistische AÄ: “Achso, hm, zu spät, die Patientin ist schon auf dem Weg in die Röhre!”
Also, na gut, na dann halt. Surprise surprise: Im CT sehe ich gar nichts. Nicht weil die Frau nichts im Bauch hat, sondern weil ein CT ohne KM einfach scheiße ist. Aber ich denke mir, was weiß ich schon, bin ja noch jung und unerfahren und keine Radiologin, also rufe ich den Radiologen an und frage ihn nach einer Pathologie im Bauche von Frau Italien. Nein nein, sie habe gar nichts, alles unauffällig. Ich frage ganz vorsichtig nach, ob er das auf den Bildern wirklich gut beurteilen kann, oder ob man nicht noch ein Sono machen sollte. Nein alles normal, Gallenblase unauffällig, keine Steine, keine Entzündung und überhaupt. Naja, denke ich mir, er wird es schon wissen. Frau Italien klagte allerdings weiter über die Schmerzen im Oberbauch und ich ordne am Tag darauf einen Schall des Oberbauches an. Diagnose: Schwerste Cholezystitis!!!!! HAB-ICH-ES-NICHT-GESAGT.
Ich hätt’s nicht beschreien sollen, einen Tag nach dem letzten Eintrag kam meine Einladung Einschreiben mit der Ladung zur mündlichen Prüfung. Kommenden Montag ist es also soweit. Na denn – auf geht’s!