Eine Liebe im Verborgenen

Das Dokudrama „Der Kreis“ erinnert nicht nur an die Anfänge der Schwulenbewegung in der Schweiz der 50er-Jahre, sondern berührt auch durch eine ungewöhnliche Liebesgeschichte.

Dass schwule Stadtmagazine nicht nur in Szenelokalitäten, sondern auch in jedem gut sortierten Zeitschriftenladen ausliegen, ist längst zur Selbstverständlichkeit geworden. In den 50er-Jahren sah die schwule Presselandschaft noch ganz anders aus, genau genommen existierte sie überhaupt nicht.

Lediglich in der Schweiz, wo Homosexualität bereits seit 1942 nicht mehr generell kriminalisiert wird, konnte zu dieser Zeit mit „Der Kreis“ ein gediegenes Homosexuellenmagazin entstehen – mit Kommentaren zum politischen Geschehen und Kontaktanzeigen, mit Gedichten, Erzählungen, aber auch künstlerischen Aktzeichnungen und -fotografien.

Sprachrohr und Katalysator der Nachkriegs-Schwulenbewegung

„Der Kreis“ war nicht nur Sprachrohr und Katalysator der sich nach dem Krieg erst wieder formierenden Schwulenbewegung, sondern durch seine Kontaktanzeigen für viele die einzige Möglichkeit, um Bekanntschaften zu schließen und aus der Isolation heraus zu einer schwulen Identität finden zu können. Zu den ausgelassenen Bällen mit ihren opulenten Revuen, die das Magazin im Zürcher Neumarkttheater veranstaltete, kamen zeitweilig über 800 Menschen aus ganz Europa angereist. Heute gilt die dreisprachige Zeitschrift, die Abonnenten nicht nur im benachbarten Ausland, sondern selbst in den USA hatte, europaweit als Wegbereiter der schwulen Emanzipation und der homosexuellen Selbstbestimmung.

Dass die Geschichte einer Homosexuellenzeitschrift und ihres Herausgebervereins als Stoff für einen Spielfilm taugen kann, mag verwundern. Noch mehr aber, dass es dem Drehbuchautoren und Regisseur Stefan Haupt gelungen ist, daraus ein Drama zu machen, das längst nicht nur ein schwules Spezialpublikum bewegt, rührt und unterhält.

Schweizer Oscar-Kandidat

Mittlerweile hat „Der Kreis“ ein halbes Dutzend Preise abgeräumt: neben einigen queeren Filmpreisen wie dem Teddy Award der Berliner Filmfestspiele und Auszeichnungen der lesbisch-schwulen Filmfestivals von Turin, Boston und Los Angeles zum Beispiel auch den Panorama-Publikumspreis der Berlinale. Und nun wurde der Film sogar von der Schweiz offiziell ins Rennen um den Oscar für den besten ausländischen Film geschickt.

Möglich machen diesen breitenwirksamen Erfolg zwei dramaturgische Kniffe. Zum einen verbindet Stefan Haupt die Geschichte von „Der Kreis“ mit der realen Lebens- und Liebesgeschichte zweier Männer, die eng mit der Zeitschrift und der Homosexuellenvereinigung verknüpft ist: des angehenden Lehrers Ernst (Matthias Hungerbühler) und des Coiffeurs Röbi (Sven Schelker).

In pointierten Szenen schildert der Film, wie sich im Zürich des Jahres 1956 zwischen dem noch recht unsicheren Ernst, der als Referendar an einer Mädchenschule unterrichtet, und dem Hobby-Travestiestar Röbi eine innige Beziehung anbahnt. Wie sie scheu und zögerlich, aber mit ansteckender Lebensfreude zueinander finden und der Überschwang des Verliebtseins sie euphorisch, aber auch übermütig werden lässt.

Gesellschaftliche Ächtung trotz fortschrittlicher Gesetzgebung

Denn die gesellschaftliche Atmosphäre ist für Schwule zu dieser Zeit immer noch bedrohlich. Mag das Schweizer Strafgesetzbuch auch fortschrittlich gewesen sein, in weiten Teilen der Gesellschaft waren Schwule weiterhin geächtet. Während der aus schlichten Verhältnissen stammende Röbi gegenüber seiner Mutter (Marianne Sägebrecht) offen mit seinem Schwulsein umgehen kann, machen Ernsts großbürgerliche Eltern keinen Hehl aus ihrer Verachtung für „warme Brüder“.

Als Ernst der Redaktion des „Kreis“ einen Besuch abstattet, um das Blatt zu abonnieren, mahnt man den angehenden Lehrer zur Vorsicht: Besser, er warte damit noch, um seine Festanstellung nicht zu gefährden. Kurze Zeit später erlebt er, wie sein Schuldirektor Sieber (Peter Jecklin) in den Freitod getrieben wird, als dessen schwules Doppelleben aufzufliegen droht. Zwei mutmaßlich von einem Stricher begangene Morde werden von der Justiz zum Vorwand genommen, um mit Razzien, polizeilichen Registrierungen und Repressionen gegen Homosexuelle und ihre Subkultur vorzugehen.

Man mag Stefan Haupts szenische Rekonstruktion dieser Aufbruchsphase der Schwulenbewegung und den jähen Rückschlag hin zu Repression und Angst vielleicht bieder und lehrbuchhaft empfinden. Doch sowohl die Liebesgeschichte von Röbi und Ernst wie auch beispielsweise die Verzweiflung des Schuldirektors gehen unter die Haut. Die durchweg überzeugenden Darsteller verhindern dabei jeglichen Anflug von Klischee und Pathos.

Pioniere der schwulen Emanzipationsbewegung

Der zweite dramaturgische Kniff ist eigentlich aus der Not geboren, erweist sich aber für den fertigen Film als Glücksgriff: Weil das Budget nicht ausreichend war, hat Haupt zusätzlich Interviewpassagen mit den Vorbildern für seine Filmfiguren eingebaut. Ernst Ostertag und Röbi Rapp, die beiden Pioniere der schwulen Emanzipationsbewegung in der Alpenrepublik, sind mittlerweile seit fast 60 Jahren ein Paar, und deren Charme kann sich der Zuschauer kaum entziehen. In trauter Zweisamkeit sitzen sie auf ihrem Sofa, kommentieren alte Fotos und erinnern sich an ihren ersten Annäherungsversuch, aber auch an die Schwierigkeiten, als Männerpaar eine Wohnung zu mieten.

In diesen Interviewsequenzen spürt man nicht nur die innige Liebe der beiden, sondern bewundert unweigerlich auch deren Lebensmut und Courage. Gleichwohl, ungeachtet ihres jahrzehntelangen Engagements in der Schwulenbewegung machten sie ihre Beziehung erst öffentlich, nachdem Ernsts Mutter verstorben war und er seine berufliche Stellung durch das Coming-out nicht mehr gefährdet sah. Als die Schweiz 2007 die eingetragene Partnerschaft ermöglichte, waren Ostertag und Rapp die ersten im Kanton Zürich, die sich registrieren ließen.

„Der Kreis“. Schweiz 2014. Regie Stefan Haupt. Mit Babette Arens, Aaron Hitz, Martin Hug, Matthias Hungerbühler, Peter Jecklin, Ernst Ostertag und Röbi Rapp. 102 Minuten. Kinostart: 23. Oktober

Premieren und Previews mit Gästen:      

Hannover, Kino im Künstlerhaus. 20. Oktober 18 Uhr im Rahmen der PERLEN

Berlin, Kino International (Mongay), 20. Oktober 22 Uhr

Berlin, Eva Lichtspiele, 21. Oktober 20 Uhr

Internetseite zum Film: http://www.derkreis-film.de/

Lesetipps:

Barbara Bosshard: „Verborgene Liebe. Die Geschichte von Röbi und Ernst“. Mit einem Vorwort von Klaus Wowereit. Verlag Wörterseh, 233 Seiten, 39,90 Euro

Hubert Kennedy: „Der Kreis. Eine Zeitschrift und ihr Programm“. Verlag Männerschwarm, 352 Seiten, 16 Euro

 

 


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