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Lantus®: Verantwortung auf dem Verschiebebahnhof
Diabetes-Fachärzte waren blind gegenüber möglichen Risiken von Lantus® (Insulin Glargin) für Tumorpatienten bzw. Patienten mit hohem Risiko für Krebs. So kann die Eingangssequenz des TV-Beitrags im MDR-Magazin FAKT interpretiert werden. Vor knapp zwei Monaten auf der Jahrestagung der Deutschen Diabetes-Gesellschaft in Leipzig hatten die Autoren Ärzte gefragt, ob sie ein Problem damit hätten, einem Tumorpatienten Lantus zu verschreiben.
FAKT zeigt, dass trotz der Indizien für eine möglicherweise erhöhte Gefährdung der Patienten durch Krebs, die es seit Jahren gegeben hat, Fachärzte und Verantwortliche in der Fachgesellschaft kritiklos den Informationen des Herstellers gefolgt sind. In dem TV-Beitrag distanziert sich der Chef Leitlinienkommission der DDG, Prof. Werner Scherbaum, von der von ihm verfassten “Patienteninformation zur Sicherheit der zugelassenen Insulinanaloga” und verweist auf Expertenkommissionen wie die der DDG oder die Zulassungsbehörden, auf die er sich verlassen hätte. Auch das BfArM macht keine gute Figur:
“Die Tierversuche als solche waren nicht ausreichend. Sie waren im Prinzip ungültig!” Frage: “Aber es gab Ergebnisse an Knochenkrebszellen aus Zellstudien, die tatsächlich schon Besorgnisse erregt haben, die mit diesem Argument relativiert wurden. Das sehen Sie heute kritisch?” “Das sehe ich heute schwierig. Die Beurteilung eines Medikaments ist immer die Gesamtschau aller Daten, die vorliegen. Und in der Tat besteht zunächst ein Signal der Kanzerogenität oder der Förderung des Wachstums von Krebszellen in der Zellkultur. Die Tierversuche waren nicht geeignet, diesen Verdacht auszuräumen!”
Schon bei der Markteinführung vor 9 Jahren warnte der unabhängige Arzneimittel-Informationsdienst arznei-telegramm (a-t), dass das Insulinanalog ist potenziell kanzerogen sei. Das a-t sah sich nach der kürzlichen Veröffentlichung der Studien, die einen Zusammenhang zwischen der häufigen Einnahme von Lantus® und der Entstehung von Krebs gezeigt hatten, bestätigt und forderte eine Marktrücknahme.
Kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien (Update)
DIe aktuelle Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts enthält einen Übersichtsartikel der Autoren Matthias Lenz, Tanja Richter und Ingrid Mühlhauser, in dem die Studienlage zu den möglichen gesundheitlichen Folgen von Übergewicht im Erwachsenenalter zusammengefasst wird. Auf der Titelseite des Ärzteblatts wird das Ergebnis der Untersuchung prägnant zusammengefasst:
Der Artikel ist eine empfehlenswerte Lektüre für Übergewichtige, die infolge der einschlägigen Medienberichterstattung von der Sorge geplagt werden, dass Sie jederzeit und aus eigener Schuld mit ihrem vorzeitigen Ableben rechnen müssten:
Das klingt angesichts des vorherrschenden politischen Aktionismus in dieser Frage ungewöhnlich entspannt. Was wird nun aus der seit Jahren in industrienahen Kreisen gebetsmühlenartig wiederholten Forderung an die Politik, den Krankenkassen zum Wohle der Volksgesundheit doch endlich die Kosten für Abnehmpillen und Schlankheitsprogramme aufzuerlegen?
Eine so nüchterne Analyse der Studienlage konnte das Deutsche Ärzteblatt, das sich gerne mit Anzeigen auch von Herstellern von Schlankheitspillen schmückt, nicht ohne ein begleitendes Editorial im Blatt stehen lassen. Wo bleibt die vielbeschworene gesundheitliche Katastrophe, die über uns hereinbricht? Schlimmer noch, was wird aus dem Milliardenmarkt der Behandlung von Übergewicht, über den Edward Bernstein, Direktor der industrienahen US-amerikanischen Schwesterorganisation der industrienahen “Deutschen Adipositas-Gesellschaft”, geschwärmt hat: “There’s no disease state in existence that represents such a large market.”
Als Autor des Editorials hat sich ohne Frage Professor Hans Hauner vom Else Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin der TU München angeboten, seit vielen Jahren stets an vorderster Front anzutreffen im Kampf gegen Pfunde, Fette und Cholesterine. Zu Hauners vielen Pöstchen und Rollen gehört es auch, Vizepräsident und “Präsident elect” der erwähnten “Deutschen Adipositas-Gesellschaft” zu sein.
Bereits der Titel seines Artikels zeigt klar, wohin die Reise geht. Er hat der Studie inhaltlich zwar wenig entgegenzusetzen, verleiht den Daten jedoch gekonnt den nötigen Spin und schließt sein Editorial mit einem vertrauten Fazit:
Die erste und einzige Überraschung in Hauners Artikel findet sich erst unmittelbar unter diesen Sätzen. Wobei der Begriff “Überraschung” nur ungenügend die Gewalt beschreibt, mit der meine Augäpfel bei der Lektüre des Abschnitts “Interessenkonflikt” den Weg aus ihren Höhlen gesucht haben:
Kein Irrtum möglich. Da steht:
Der Reihe nach. Was genau ist ein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors? Das Deutsche Ärzteblatt liefert seinen Autoren eine griffige Kurzversion:
Nun muss man zunächst wissen, dass die “Deutsche Adipositas-Gesellschaft” in Fragen der Gewichtsbekämpfung eine ähnliche Rolle spielt, wie die unter der gleichen Münchner Anschrift residierende und mit dieser personell verflochtene “Lipid-Liga” in Fragen der Cholesterinbekämpfung. Bei letzterer kann der Eindruck entstehen, dass sie unter der Fahne der Gemeinnützigkeit seit vielen Jahren kompromisslos für die Interessen der Anbieter von cholesterinsenkenden Arzneimitteln und Cholesterinspiegel optimierenden Lebensmitteln streitet. Während die Lipid-Liga ihre zahlreichen Sponsoren aus der Pharma- und Lebensmittelindustrie mittlerweile offen bekanntgibt, hält sich die “Deutsche Adipositas-Gesellschaft” in Finanzierungsfragen eher bedeckt. Wenn es aber um die Markteinführung einer neuen Abspeckpille geht, so etwa im Jahr 2006 bei der des Sanofi-Aventis-Präparats Acomplia®, dann kann die Industrie fest auf beide WG-Bewohner zählen. Seit’ an Seit’ fungierten beide Gesellschaften als Partner der von Sanofi-Aventis finanzierten PR-Initiative “Bauchumfang ist Herzenssache”. Motto: “Denn Sie liegen uns am Herzen!”.
Das mit dem “am Herzen liegen” hat sich mittlerweile offenbar geändert: Nach der Marktrücknahme des Präparats nach einer Reihe von Suiziden auch in klinischen Studien ist die Initiative “Bauchumfang ist Herzenssache” nur noch im Internet-Archiv zu besichtigen.
Editorialist Hans Hauner, so könnte man nun einwenden, sei also leitender Funktionär einer offenbar durchaus hin und wieder auch von signifikanten Marktteilnehmern im Abspeckmarkt geförderten Gesellschaft, diese Tätigkeit würde er aber möglicherweise rein ehrenamtlich ausüben. Bei einer engen, rein monetären Auslegung des Begriffs “Interessenkonflikt” könne man seine Angabe daher vielleicht akzeptieren.
Aber Hauner scheint auch persönlich einen nennenswerten Teil seines Einkommens mit PR für Abspeckprodukte zu erzielen.
Sicher, sein PR-Auftritt für den Schlankheitstrunk “Slim Fast” im Jahr 2002 liegt bereits außerhalb der Fünfjahresfrist, die das Deutsche Ärzteblatt seine Autoren bei der Angaben potentieller Interessenkonflikte zu berücksichtigen bittet. Im entsprechenden Formblatt für Autoren heißt es:
Auch Auftritte wie der auf einer Pressekonferenz zur Markteinführung einer “fettarmen Wurstspezialität” des Handelskonzerns EDEKA mit dem originellen Namen “VielLeicht” im Jahr 2008 (ja, auch so etwas wird von der scheibenden Zunft durchgereicht) sind nicht unbedingt das, was man als Ärzteblatt-Leser unter einem bedeutungsschwangeren Editorial zum Thema Übergewicht und Volksgesundheit lesen möchte. Geschenkt.
Schwerer wird es, über seine Aktivitäten für das Unternehmen “Weight Watchers” hinwegzusehen. Der internationale Konzern, der mit einem Abspeckprogramm und durch die Lizensierung seines Namens für Produkte aus dem Lebensmittelsektor mehrere hundert Millionen Dollar Jahresumsatz erzielt, fiel in Deutschland jüngst durch den Schleichwerbeskandal um die Moderatorin Andrea Kiewel auf. Hauner ist ganz offenbar in vielfältiger Weise für “Weight Watchers” tätig. Er ist laut “Weight Watchers”-Website Mitglied im Scientific Advisory Board des Konzerns, er steuerte das Vorwort zu einem Weight-Watchers-Buch bei und er lobt das Unternehmen gar in einem “Hintergrundgespräch des Unternehmens”, wie die Ärztepostille “Medical Tribune” notiert:
Hauner macht im Umfeld anderer Veröffentlichungen keinen Hehl daraus, dass er gerne auch einmal einen Euro mit Aktivitäten für “Big Pharma” verdient. Im vergangenen Jahr etwa notierte das Deutsche Ärzteblatt unter einem Artikel zum Thema Diabetes:
Sind nun alle diese Verbindungen im Zusammenhang mit dem Thema Übergewicht plötzlich ohne Relevanz? Mitnichten. Denn Hans Hauner war eine Schlüsselfigur in der PR-Arbeit von Sanofi-Aventis zur Markteinführung der Abspeckpille Acomplia® (Rimonabant). Zum einen in der Fachwelt, wie ein Zitat aus der von mir für das unermüdliche und unverfälschte Durchreichen von Pharma-PR hochgeschätzten “Ärzte Zeitung” belegt:
Zum anderen auch in der breiten Öffentlichkeit, etwa im Juli 2006 im Stern:
Der in der Rückschau zynische Titel des Stern-Artikels: “Schlankmacher mit positiven Nebenwirkungen “.
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Update, 13.10.: Das Deutsche Ärzteblatt hat eine Korrektur angekündigt.