Oma Müller ist glücklich.
Oma Müller ist nämlich gerade nochmal Oma geworden, zum vierten Mal. Und um ihrer Tochter, die in Bad Sowienoch wohnt, ein wenig zu helfen – die ist nämlich alleinerziehend mit drei kleinen Kindern – ist Oma Müller also hingefahren. Mit der Bahn, denn Oma Müller hat keinen Führerschein.
Jetzt aber muss Oma Müller wieder nach Hause fahren, um dort ein wenig nach dem Rechten zu sehen, außerdem hat sie morgen einen wichtigen Arzttermin wegen ihrer Hüfte und neue Tabletten muss sie sich auch verschreiben lassen.
Natürlich hat sie sich lange vorher die Fahrkarte besorgt, natürlich an alles gedacht, auch an die Reservierung…. ja, und jetzt ist sie mit dem Taxi zum Bahnhof gefahren, mit dem Taxi, und extra eine halbe Stunde vorher…. und dann steht sie da.
Kein Zug.
Das Taxi ist wieder weggebraust und Oma Müller wartet da am zuglosen Bahnhof im strömenden Regen am Sonntagmorgen. Die Bahnhofshalle und den Wartesaal hat man ja schon vor zehn Jahren wegrationalisiert und die einzige Sitzbank hat man kapputtvandalisiert.
Aber Oma Müller hat ja Zeit. Sie wartet geduldig. Im Regen. Im Stehen. Irgendwann wird schon ein Zug kommen.
Irgendwann kommt auch ein Zug, der ist brechend voll und Oma Müller bekommt natürlich keinen Sitzplatz und sie muss stehen, obwohl ihr inzwischen schwindelig ist.
Dann muss sie umsteigen. Da am Bahnsteig stehen viele hundert Leute. Oma Müller ist inzwischen ein wenig kurzatmig, und die Schmerzen in der Brust sind auch wieder da, aber was soll’s, damals in der Schlechten Zeit nach dem Krieg, da war alles noch viel, viel schlimmer.
Dann kommt der Zug und alles drängt zu den Türen und Oma Müller passt einen Moment lang nicht auf und…
Schenkelhalsfraktur.
Operation.
Nix mehr mit Babysitten. Stattdessen hat Frau Müller Junior nicht nur drei Kinder, sondern auch noch eine pflegebedürftige Mutter am Hals.
Aber:
“Wir können auf solche bedauernswerten Einzelschicksale leider keine Rücksicht nehmen,” sagt der Gewerkschaftsboss, “Wo gehobelt wird, da fallen Späne!”