Klaus Vater wurde 1946 geboren. Zwischen 1971 und 1989 arbeitete er Journalist und Redakteur.
Bis 1999 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der SPD- Bundestagsfraktion, zuletzt Büroleiter von Rudolf Dreßler, 2000 bis 2009 Sprecher des Bundesarbeitsministeriums, des Bundesgesundheitsministeriums, stellv. Regierungssprecher, Sachbuch- und Krimiautor.
Er ist Kommunikationshelfer, Medienberater des Bundesverbandes der Anbieter privater sozialer Dienste (BPA), Biotronik, der BKK24, der Sozialkasse Bau (SOKA-BAU).
“The Times they are a-changin“ hat Bob Dylan 1964 gesungen. Also vor 50 Jahren. Dylan hat die Liedzeile damals wohl eher resümierend gemeint, ich möchte sie heute prospektiv nutzen: Mit Blick auf die Zeit ab dem 1. Januar 2015, also ab dem Zeitpunkt, zu dem
a) die gesetzlichen Krankenkassen einkommensabhängige Zuschläge auf den allgemeinen Beitragssatz von 14,60 vH erheben können und
b) damit ausschließlich die Beschäftigten plus die Rentner die Kosten des medizinischen Fortschritts und der Preissteigerung in der GKV zu tragen haben werden.
Diese Zuschläge sind – methodisch gesehen – Erbstücke.
Erstens aus sagenhafter rot-grüner Zeit (2003-04), als ein 0,9 prozentiger Zuschlag auf die Kassenbeiträge der Beschäftigten und der Rentner erhoben wurde, weil die Bundesregierung die Betriebe von wachsenden Gesundheitskosten frei halten wollte. Das war damals ein reichlich improvisierter Versuch, die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik – die damals als so genannten “kranker Mann in Europa” galt – zu erhalten.
Ferner sind die Zuschläge ab 1. Januar 2015 ein Erbstück der letzten schwarz-roten Gesundheitsreform. Diese Reform führte den allgemeinen und gleichen Beitragssatz ein, gestattete den Kassen gleichzeitig wegen wachsender Kosten den Mitgliedern einen Realzuschlag aufzuerlegen, was zu rasanten Fluchtbewegungen aus einzelnen Kassen führte. Übrig blieben die beiden unter a) und b) aufgeführten Regelungen ab 2015.
In ihnen steckt das “changin”: Es wird sich nämlich eine Art – im Börsenjargon gesagt – gesellschaftspolitische “Blase” bilden, die im Weiteren gewiss zu einer breiten Debatte führen wird. Ich buchstabiere nun meinen Arbeitsgegenstand durch.
Heute liegen die Sozialbeiträge insgesamt bei 39,45 vH – den Zuschlag von 0,25 vH für die Kinderlosen in der Pflegeversicherung habe ich nicht berücksichtigt, um es nicht zu kompliziert werden zu lassen.
2015 sinkt die Gesamtbelastung von 39,45 vH bei 38,85 vH. Aber dann?
Die unabweisbar weiter wachsenden Kosten der Krankenversicherung landen ab 2015 ausschließlich auf Ihren und meinen Schultern. Zwar hat die Koalition sich versprochen, dieser Entwicklung nicht tatenlos zuzuschauen (Karl Lauterbach: ….dürfen nicht ins Unendliche steigen, Carola Reimann: unerfreulich); aber was geschieht, falls die Spekulation auf eine sozialpolitisch systemtreue Koalition nicht aufgeht und 2017 eine Koalition z.B. aus CDU/CSU und AfD zustande kommen sollte? Gilt dann noch, was 2013 versprochen wurde?
Schauen wir gemeinsam nach, was kommt, was kommen könnte:
1. Die durchschnittliche Kostenerhöhung durch medizinischen Fortschritt per annum liegt bei 0,4 bis 0,5 Prozent des Beitragsvolumens, induziert durch bessere Versorgung, mehr und wirksamere Medikamente etc.
Es zeichnet sich ab, dass sich die Pharmaindustrie im laufenden Jahr einen kostenwirksamen “Nachschlag” wegen der magereren letzten Jahre verschafft; jedenfalls deuten die Medikamentenrechnungen der GKV darauf hin. Macht etwa 0,2 bis 0,3 vH. Das heißt, dass Beschäftigte und Rentner 2015 über Zuschläge acht bis neun Milliarden € aufbringen werden müssen. 2016 und 2017 wird sich das in etwa wiederholen, so dass Ende 2017 die relative Beitragslast der GKV für Beschäftigte und Rentner round about bei 14,6 plus 0,8 plus 0,7 plus 0,7 vH gleich 16,80 vH liegen wird.
Im Bereich der Pflege sieht es so aus: Der Beitragssatz steigt von 2,05 über 2,35 (2015) auf 2,55 vH (2017). Aber bereits jetzt sagen Fachleute der Regierung wie der Kassen, dass die zweite Anhebung auf 2,55 entweder vorgezogen werden müsse, um versprochene Leistungen zu finanzieren oder wenigstens um 0,1 vH am Ende höher ausfallen müsse.
Ein Verschieben der Behandlungspflege aus der Pflegeversicherung in die Krankenversicherung ist ein Nullsummenspiel. Denn was die Pflegeversicherung einspart, muss die GKV schließlich tragen.
Arbeitslosenversicherung: In diesem Zweig der Sozialversicherung rechnen die Fachleute der Regierung bis weit in die zweite Hälfte des Jahrzehnts mit einem stabilen Beitragssatz von 3,00 Prozent.
Bleibt die Rentenversicherung. Eine vorgesehene Beitragssatzsenkung von 18,90 auf 18, 00 oder wenigstens 18,30 vH ist 2014 unterblieben. Es blieb bei 18,90 vh. Die gesetzliche Rentenversicherung startet zwar mit einer recht hohen Rücklage in die nun beginnenden Jahre der wachsenden Demographiebelastung. Aber diese Rücklage wird abgeschmolzen, weil laufende Vorhaben damit zu finanzieren sind. Die gegenwärtige “hol über Beiträge herein – schütt Renten aus” -Situation ist angespannt. Steigende Ausgaben und Aufbau einer neuen Rücklage sind zu finanzieren. Bei 18,90 vH wird es nicht bleiben, eher sind 2017 um die 19,20 bis 19,30 vH zu erwarten.
Das wären dann 2017: 16,80 vH plus 2,55 vH (oder 2,65 %) plus 3,00 vH plus 19,20 vH. Macht summa summarum 41,55 vH – ein Wert, der knapp drei Prozent über dem Abgabenniveau von 2015 liegt. Keine Kleinigkeit für eine Volkswirtschaft.
In der nächsten Legislaturperiode bis 2021 sind weitere Beitragssatzsteigerungen unabweisbar. Die Rentenversicherung hat bis 2030 einen Spielraum für Anhebungen bis 22 vH. Dieser Spielraum wird nicht reichen. Bereits vergangenes Jahr haben Ex-Minister Norbert Blüm und andere begonnen, darüber zu reden, dass 24 ebenfalls eine schöne Zahl sei.
In der GKV wird es darum gehen, die bislang im Vergleich zu anderen Ländern preisgünstige (ja, im Vergleich günstige!) und erfolgreiche Bekämpfung der großen Volkskrankheiten zu erhalten, gar auszubauen und Spielraum zu haben, um sogenannte “seltene Krankheiten” anzugehen, die bei genauer Sicht gar nicht so selten sind. Da gilt weiterhin, dass 0,4 bis 0,5 jährlich so oder so zu finanzieren sein werden.
Im Bereich der Pflege sind 2,55 oder 2,65 vH nicht das letzte Wort.
Dies ist übrigens kein, absolut kein Plädoyer für eine Privatisierung von Versicherungsrisiken durch einen Übergang zur Kapitaldeckung statt der Beitragsfinanzierung.
Wer diesen Weg einschlägt, der macht sich und anderen etwas vor, weil beitragsfinanziert oder kapitalgedeckt alle, alle sozialen Ausgaben aus ein und derselben Quelle pro Rechnungszeitraum zu bezahlen sind: Aus der gegebenen und wachsenden oder schrumpfenden Produktivität einer Volkswirtschaft.
Das ist Schicksal und keine Politik. Freilich haben beitragsfinanzierte Systeme eben die Vorteile, gut reformierbar zu sein und Gerechtigkeit herstellen zu können.
Es wird aber Zeit, sich mit der “Macke” der einseitigen Finanzierung in der Krankenversicherung zu befassen und kritische Fragen zu stellen. Es steht nämlich einiges auf dem Spiel. Wie heißt es doch bei Dylan am Ende seines Songes?
“The line it is drawn
And the curse it is cast
The slow one now
Will later be fast”
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