Zum AGHNiD-Netzwerk gehören Einzelpersonen und Organisationen, die sich in Deutschland für Gesundheitsförderung und HIV-Prävention in afrikanischen Communities stark machen. Zwei Vertreterinnen und ihre Projekte stellen wir hier vor.
In der afrikanischen Community in Saarbrücken hat es schon seit vielen Jahren einen festen Platz, und vor Kurzem feierte es seinen 15. Geburtstag: das „Haus Afrika“ in der Großherzog-Friedrich-Straße. Lillian Petry, ehrenamtliche Mitarbeiterin des Hauses, kommt jeden Tag, um den Verein zu unterstützen. Denn genug zu tun ist immer: sei es das Fairtrade-Frühstück am Wochenende, die Organisation ausrangierter Krankenhausbetten, die nach Uganda geschickt werden sollen, oder Gespräche mit Afrikanerinnen und Afrikanern, die in Saarbrücken leben und zu Petry in die Beratung gehen, weil sie Hilfe bei Anträgen, bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche benötigen.
Fairtrade-Frühstück am Wochende, Krankenhausbetten für Uganda, alltagspraktische Hilfen
Dabei steht Haus Afrika auch Migrantinnen und Migranten anderer Herkunft offen. Hier können sie Integrationskurse besuchen und mit der für die Einbürgerung notwendigen Prüfung abschließen. In Schulen leistet der Verein Aufklärungsarbeit zum Thema Diskriminierung. Darüber hinaus arbeitet er eng mit der Aids-Hilfe Saar zusammen, hilft bei Übersetzungen, verteilt Info-Materialien und nutzt Gelegenheiten wie Feste und Märkte, um mit den Leuten aus der Community über HIV und Aids ins Gespräch zu kommen.
„Für viele Afrikaner ist HIV ein Tabuthema“, sagt Petry. „Sie scheuen sich daher, direkt zur Aidshilfe zu gehen, um sich zu informieren, weil sie befürchten, dass man sie dann mit der Infektion in Verbindung bringen könnte.“ Dennoch lernt die 44-Jährige bei ihrer Arbeit HIV-Positive kennen, die sich ihr anvertrauen. Möglich, dass sie dieses Vertrauen auch gewinnt, weil sie viel von sich erzählt.
Lillian Petry ist selbst HIV-positiv. Von ihrer Infektion erfuhr sie, als sie vor 14 Jahren aus Uganda ins sachsen-anhaltinische Halberstadt kam – mit einer offenen Tuberkulose, die in ihrem Heimatland nicht behandelt werden konnte. Gerade mal sieben Helferzellen konnten die Ärzte damals bei ihr feststellen; drei Monate verbrachte sie im Krankenhaus. Nach ihrer Entlassung bekam Petry Unterstützung durch die AIDS-Hilfe Halle. „Ich habe dann alle möglichen Seminare besucht: für Frauen, über Schwangerschaft, zu allen Fragen, die HIV betreffen“, erinnert sie sich. In der Aidshilfe lernte sie ihren Mann Manfred kennen, mit dem sie schließlich nach Saarbrücken ging.
„Viele haben sich gewundert: Die hat HIV und macht sogar Politik!“
Dort ist Petry mittlerweile bekannt; sie war schon in der Zeitung und im Fernsehen. Bei den letzten Kommunalwahlen hat sie sich für die Wahl zum Saarbrücker Integrationsbeirat aufstellen lassen, sodass ihr Gesicht sogar Teil des Stadtbilds wurde: „Meine Plakate hingen überall. Viele haben sich dann gewundert: Die hat HIV und macht sogar Politik!“
Nicht alle HIV-Positiven, die sie kennt, kämen mit der Infektion so gut klar wie sie, sagt Petry. „Ich werde immer wieder gefragt, wie ich es geschafft habe, nach meiner Diagnose so normal weiterleben zu können.“ Sie erzählt die Geschichte einer HIV-positiven Frau aus Guinea, die sich in Deutschland in einen Mann verliebt hat, der ebenfalls aus Afrika kommt. Die beiden – er ist HIV-negativ – sind lange Zeit ein Paar. Obwohl sie sich lieben, haben sie irgendwann entschieden, sich zu trennen: „Sie waren der Ansicht, ihre Beziehung kann mit der Infektion nicht funktionieren. Sie haben Schluss gemacht, damit er heiraten und Vater werden kann.“
Die Frau nimmt regelmäßig die antiretroviralen Medikamente, und obwohl sie eigentlich weiß, dass sie trotz HIV auf natürlichem Weg gesunde Kinder bekommen könnte, will sie sich nicht auf eine feste Beziehung einlassen und eine Familie gründen: „Das sitzt so tief bei ihr drin, dass sie damit abgeschlossen hat“, resümiert Petry. In solchen Fällen sei es besonders schwer, die richtigen Ratschläge zu geben: „Hier kann man sehr leicht Gefühle verletzen.“
„Wir verstehen unsere Kultur, die Tabus, wie der andere tickt und denkt“
Trotzdem gelinge es ihr immer wieder, anderen dabei zu helfen, die Infektion zu akzeptieren und ihnen Perspektiven aufzuzeigen. Dafür bedürfe es aber einer besonderen Sensibilität. Sie wünscht sich daher, dass mehr auf die Fähigkeiten von Migranten gesetzt wird – nicht nur in der HIV-Prävention. „Wir sind Teil der Community, verstehen unsere Kultur, die Tabus, wie der andere tickt und denkt. Wir können zu unseren Leuten hingehen und Themen ansprechen, die andere nicht ansprechen können“, argumentiert sie.
Wie Lillian Petry stellen etliche Einzelpersonen und Organisationen in Deutschland diese Fähigkeiten tagtäglich unter Beweis. Eine weitere von ihnen ist Catherine Flohr. Ungefähr 400 Kilometer nördlich von Saarbrücken – in Osnabrück – arbeitet die gelernte Krankenschwester kenianischer Herkunft in der Malteser Migranten Medizin (MMM). Hierzulande ist die Ambulanz eine von 13 Einrichtungen dieser Art, in der Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus oder ohne Krankenversicherung sich anonym und kostenlos behandeln lassen können.
„Als Migrantin kann ich Ärzten helfen, Patienten besser zu verstehen“
Sechs pensionierte Ärzte wechseln sich für die jeden Dienstag stattfindende Sprechstunde ab. Catherine Flohr ist jede Woche an deren Seite. Für die Patienten ist sie eine feste Stütze, für die Ärzte eine wichtige Vermittlerin: „Ich bin selbst Migrantin und kann den Ärzten helfen, die Patienten besser zu verstehen. Auch wenn Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen zur MMM kommen, als Migrant hat man oft ähnliche Probleme“, sagt Flohr.
Nach Feierabend ist es für die 52-Jährige mit der Arbeit noch nicht getan. 2011 hat sie in Osnabrück den Afro-Info-Pool mit ins Leben gerufen – einen Ort, an dem Migrantinnen und Migranten aus Afrika sich treffen und austauschen, bei Festen und gemeinsamen Nachmittagen ihre Kultur pflegen können und Informationen bekommen: zu Rechts- und Behördenfragen, zu Fragen des Arbeitsmarkts, zum Thema Gesundheit und dem deutschen Gesundheitssystem.
Die Idee für den Afro-Info-Pool entstand aus der Arbeit im Projekt PaKoMi, das die Deutsche AIDS-Hilfe von 2008 bis 2011 gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Migranten-Communities durchgeführt hat. Eines der Ziele damals: Angebote der HIV-Prävention zu entwickeln, die besser auf die Bedürfnisse von Migranten zugeschnitten sind und ihnen die Teilhabe ermöglichen.
Bedürfnisorientierte Angebote, auch Teilhabe ermöglichen
„Nach PaKoMi wollten wir in Osnabrück eine Initiative gründen, die afrikanische Migranten bei der Durchsetzung ihrer Gesundheitsforderungen unterstützt“, erzählt Flohr. „Um herauszufinden, was sie dafür brauchen, sind wir in Afro-Shops und Cafés gegangen und haben die Leute befragt.“ Unter anderem habe die Befragung gezeigt, dass sich viele einen leichteren Zugang zu Informationen wünschen, beispielsweise dazu, wie Deutschland funktioniert.
In den Räumen der örtlichen Arbeiterwohlfahrt organisiert der Afro-Info-Pool deshalb regelmäßig Vortragsreihen. Steht der Programmpunkt „Gesundheit“ auf dem Plan, kommt dabei auch HIV/Aids zur Sprache – als eines von mehreren Themen, denn „wenn wir eine Veranstaltung nur zu HIV/Aids ankündigen würden, käme niemand“, sagt Flohr. Unter dieser Überschrift könnten sie aber alles besprechen – auch wie HIV übertragen wird und man sich schützen kann, wo es Testangebote gibt und Ärzte, die sich auskennen, was bei Kinderwunsch oder Schwangerschaft zu beachten ist und wie das Leben mit HIV heute ist.
Im AGHNid-Netzwerk kooperieren inzwischen 14 Mitgliedsorganisationen
Warum nicht diese vielen Kräfte bündeln, die an verschiedenen Orten Deutschlands in afrikanischen Communities aktiv sind, und bundesweit wirken lassen?, dachten sich die Initiatoren von AGHNiD (Afrikanisches Gesundheits- und HIV-Netzwerk in Deutschland). Mittlerweile zählt das Netzwerk 14 Mitgliedsorganisationen, darunter auch das Haus Afrika und der Afro-Info-Pool. Zweimal im Jahr kommen sie zu den von der Deutschen AIDS-Hilfe organisierten und fachlich begleiteten Netzwerktreffen zusammen, in denen Erfahrungen und Ideen zur HIV- und STI-Prävention ausgetauscht und gemeinsam Infomedien entwickelt werden.
„Durch die Vernetzung habe ich Ansprechpartner in ganz Deutschland. Wir können uns gegenseitig Ideen geben und bei Fragen weiterhelfen“, erklärt Petry einen der Vorzüge der Zusammenarbeit. Des Weiteren unterstützt das Netzwerk die Bildung neuer Organisationen sowie die Schulung von Multiplikatoren, die in ihren Communities Gesundheitsbotschaften und Informationen zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen fachgerecht weitergeben können. So will AGHNiD dazu beitragen, die Ressourcen der afrikanischen Communities besser zu nutzen, um auch jene Menschen zu erreichen, die sonst vielleicht keinen Zugang zu den etablierten Organisationen finden.
HIV-Prävention für Migranten funktioniert – wenn sie mit Migranten gemacht wird
Die Gründung des Netzwerks ist ebenfalls Resultat des PaKoMi-Projekts. Schließlich hat die Arbeit von damals gezeigt: HIV-Prävention für Migranten funktioniert – wenn sie mit Migranten gemacht wird. Dem Netzwerk ist es ein Anliegen, diese Botschaft in die Gesellschaft zu tragen. „Der Zusammenschluss ermöglicht es uns, mit einer gemeinsamen Stimme zu sprechen“, sagt Flohr. „So können wir uns viel eher Gehör verschaffen und mit Entscheidungsträgern auf Augenhöhe verhandeln.“
Nicht zuletzt soll das Netzwerk auch dabei helfen, die Arbeit von Migrantinnen und Migranten sichtbarer zu machen, betont Petry. Eine Arbeit, wie sie nun mal jeden Tag gemacht wird: in Saarbrücken, in Osnabrück – deutschlandweit.
Christina Laußmann