Auf der Suche nach den schwarzen Schafen

Bildnachweis: Münchner Verlagsgruppe GmbH

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Wie gewappnet ist die Zahnärzteschaft für die Qualitätsdebatte? Zum fraglichen Umgang mit Kritik in dieser Branche:

Einen guten Arzt oder Zahnarzt zu finden, ist für Patienten eine entscheidende Frage – und fast immer eine, die kaum zu beantworten ist. Die wahre Qualität von Titeln, Fortbildungen oder Zertifizierungen ist für Laien schwer zu durchschauen, und ob ein Arzt handwerklich gut arbeitet oder sich nach aktuellen wissenschaftlichen Belegen richtet, kann ein Patient nicht beurteilen. Wer als Patient etwa zum Zahnarzt muss, soll mitentscheiden, ob eine Füllung gemacht wird oder ein Inlay, ob Metall oder Kunststoff in den Zahn kommt oder, im Falle einer Krone, auf den Zahn. Ob Implantate die richtige Wahl sind, und wenn ja, wie viele. Notwendiges von Überflüssigem zu unterscheiden, wäre wichtig. Denn Untersuchungen haben immer wieder ergeben, dass sich Untersuchungsmethoden, Diagnosen und Behandlungspläne in der Zahnmedizin teilweise deutlich unterscheiden und dass notwendige und nicht notwendige Maßnahmen häufig nebeneinander stehen.

Zudem geht es um viel Geld: Vier- oder fünfstellige Summen sind bei umfangreiche Versorgungen schnell erreicht. Weil für viele Patienten die Trennung in Kassenleistung, Festzuschuss und Eigenanteil kompliziert ist und ein Heil- und Kostenplan nahezu unverständlich erscheint, ist eine Zahnarzt-Rechnung für medizinische Laien selten transparent. Hat man zu Recht mehrere hundert Euro zusätzlich für die Wurzelkanalfüllung bezahlt, mehrere tausend Euro zusätzlich für die Implantate oder auch nur zweistellige Summen für die Füllung? So etwas müssten Patienten vor der Behandlung entscheiden. Doch das ist aufwendig. Wenn Zahnärzte mehr verkaufen als heilen, können Patienten das nur schwer erkennen. Und ob der Zahnarzt die Füllung richtig ausgehärtet hat, ob die Kronenränder korrekt sind, ob das Implantat richtig sitzt – all das kann der Patient nicht beurteilen.

Unter Zahnärzten aber ist es kein Geheimnis, dass es Praxen gibt, zu denen Zahnärzte selbst nicht gehen würden. In jedem Berufsstand gibt es gute und weniger gute Vertreter ihres Faches. Doch Arzt zu sein, ist eben nicht ein Beruf wie jeder andere. Zahnärzte bohren keine Regale in die Wand, sondern üben teils invasive Tätigkeiten aus. Setzen Titanschrauben in Kieferknochen, treffen vielleicht den Nerv. Patienten bringen den Angehören der Heilberufe ein besonderes, schützenswertes Vertrauen entgegen. Deshalb muss es Zahnärzte interessieren, wenn Fehler passieren, wenn kommerzielle Interessen die Oberhand gewinnen. Kein Zahnarzt, der selbst im Behandlungsstuhl sitzt, möchte für Extraleistungen zahlen, die ihm vielleicht gar keinen Nutzen bringen.

Die Zahnmedizin hat viele Innovationen zu bieten – und ist damit zugleich der Gefahr einer Therapiebeliebigkeit ausgesetzt. Wenn es zu Gerichtsverfahren kommt, wenn aufsehenerregende Fehlbehandlungen ihren Weg in die Tagespresse finden, wird stets argumentiert, es handele sich um Einzelfälle. Aber kann man das wirklich belegen? Ich meine nein. Zwar ist das Gutachtersystem vorbildlich, doch allein schon die Heil- und Kostenpläne werden nicht stichprobenartig und nicht grundsätzlich geprüft. Die Gutachtenstatistik erlaubt keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Behandlungsqualität.

Und die anderen Statistiken sind in der Regel nicht öffentlich: Bei welchem Zahnarzt gab es Wirtschaftlichkeitsprüfungen, wo gab es auffällig viele Gutachten, wer erhielt eine Geldbuße vom Berufsgericht? Welcher Zahnarzt liefert bei Abdrücken schlechte Qualität, so dass der Zahntechniker nachbessern muss? Dazu gibt es keine öffentliche Debatte. Länderhoheit, Datenschutz – dem Patienteninteresse stehen stehen viele Regeln entgegen.

Ja, die Versorgungsqualität in Deutschland ist hoch. Aber sie darf kein Ruhekissen sein, wenn gleichzeitig die Versorgungen im Einzelnen zu oft von minderer Qualität sind. Versorgungsqualität ist nicht gleich Behandlungsqualität. Es ist kein gutes Zeichen, wenn man auf der Suche nach großen Studien zur zahnmedizinischen Behandlungsqualität in die achtziger Jahre zurückgehen muss. In der BKK-Voith-Studie wurden die Verlustraten, Wiederholungsarbeiten und Neuversorgungen ermittelt, in der Studie von Reinhard Marxkors die Qualität der prothetischen Versorgung. Von knapp 3.000 Zahnersatzarbeiten waren zwei Drittel unterdurchschnittlich: 52% waren erneuerungsbedürftig, 22% korrekturbedürftig. Auch extern wurde die Zahnmedizin beleuchtet. Das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) stellte 2008 der Kieferorthopädie ein schlechtes Zeugnis aus, die Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen tat dies 2012 für die Implantologie.

Dem Thema Qualität wird sich die Zahnmedizin weiter stellen müssen. Die Politik fördert den „mündigen Patienten“, der G-BA entwickelt die Vorgaben zur Qualitätssicherung weiter. Nach dem einrichtungsinternen kommt das einrichtungsübergreifende Qualitätsmanagement. Die Krankenkassen warfen gerade den Vorschlag in den Ring, von allen Arztpraxen Qualitätsberichte anzufordern und deren Ergebnisse allgemeinverständlich zu präsentieren.

Stets ist Empörung die Reaktion. Eigene Fehler werden so gut wie nie zugegeben. Doch in Zeiten der evidenzbasierten Medizin sollte eine Branche zu öffentlicher Selbstkritik bereit sein und dazu, die eigenen Disziplinarstrukturen kritisch zu überprüfen. Im Gesundheitsmonitor 2011 der Bertelsmann Stiftung ist nachzulesen, dass die befragten Bürger „im Gegensatz zur Ärzteschaft selbst wenig Probleme damit haben, weitergehende Regelungen für die ärztliche Qualitätssicherung zu fordern“. Regelmäßige Kontrollen der Fachkenntnisse und eine strenge Pflicht zur Fortbildung unterstützen jeweils mehr als 90 Prozent.

Es gibt also einige Baustellen in der Zahnmedizin. Ich habe sie in einem Buch zusammengefasst – gedacht übrigens nicht als „Enthüllungsjournalismus“, sondern als ein Beitrag zur Transparenz. Denn ich habe Debatten über Missstände aufgegriffen, die längst in der Zahnmedizin diskutiert werden. Über das Buch sind zwischenzeitlich in einigen Editorials zahnmedizinischer Fach- oder Verbandszeitschriften extrem oberflächliche Anmerkungen erschienen. Wenn die Verfasser nicht einmal das Objekt ihrer Kritik gelesen haben, ist das ein schlechtes Zeugnis für die Debattenkultur und das wissenschaftliche Arbeiten in der Zahnmedizin.

Tanja Wolf: „Murks im Mund. Missstände in der Zahnmedizin“ (Riva-Verlag 2014, 19,99 Euro, ISBN: 978-3868833645)

Der Artikel ist in ähnlicher Form am 18. September 2014 in dem wöchentlichen Fachblatt „Die Zahnarzt Woche“ erschienen (DZW 38/14)

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