Knut Lambertin, DGB-Referent für Gesundheitspolitik fordert ein Verbot von HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen. Ein Gespräch über Sonderregeln für HIV und den ausbaufähigen Infektionsschutz in deutschen Krankenhäusern
Herr Lambertin, Krankenschwestern und Pfleger werden bei der Einstellungsuntersuchung routinemäßig auf HIV getestet. Ist das okay?
Nein, wir vom DGB sind dagegen. Die Diskriminierung ist viel zu stark und hat letztendlich keinerlei Auswirkung auf Arbeitssicherheit. Ein HIV-Test löst keine Probleme, sondern schafft nur neue – die der Diskriminierung. Falls einer positiv getestet wird, besteht die Gefahr, dass bald die ganze Betriebsöffentlichkeit davon erfährt. Betriebe sind wie Dörfer. Weiß es einer, wissen es irgendwann alle.
Trotz der ärztlichen Schweigepflicht?
Die betriebliche Realität ist manchmal eine andere – trotz Schweigepflicht. Der Betriebsarzt ist dem Unternehmer direkt unterstellt.
Wie könnte man die Beschäftigten vor dieser Diskriminierung schützen?
Das kann man nur durch ein grundsätzliches Verbot verhindern: kein HIV-Test bei der Einstellungsuntersuchung. Wir haben uns auch dafür eingesetzt, dass in der Empfehlung 200 der Internationalen Arbeitsorganisation darauf Bezug genommen wird. Dort steht nun: „Von keinem Arbeitnehmer sollte verlangt werden, sich einem HIV-Test zu unterziehen oder seinen HIV-Status preiszugeben.“
Wie könnte man dieses Verbot umsetzen?
Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Man kann das über Betriebs- bzw. Dienstvereinbarungen regeln. Bei einigen Gesundheitsberufen ist ein HIV-Test allerdings immer noch vorgeschrieben. Der beste Weg wäre es, wenn die Bundesrepublik die ILO-Empfehlung umsetzt und den HIV-Test zur Einstellung gesetzlich verbietet.
Wie haben ihre Mitgliedsgewerkschaften auf die Empfehlung reagiert? Für die Gesundheitsberufe wäre ja Verdi zuständig.
Ich muss ganz ehrlich sagen: HIV könnte ein größeres Thema sein. Unsere Gewerkschaftskollegen, die in Betriebs- oder Personalräten für Gesundheit zuständig sind, beschäftigen sich in der Regel nicht mit Infektionskrankheiten wie HIV. Im Vordergrund stehen der Arbeitsschutz und die Betriebliche Gesundheitsförderung. Sie sind da mit einer Vielzahl von Vorschriften konfrontiert, die kaum zu überwachen sind.
Ist dann ein Routinetest nicht die praxisnähere Lösung?
Nein, er gaukelt nur Sicherheit vor. Jeder HIV-Test ist ja nur eine Momentaufnahme. Entscheidend für die Gesundheitsvorsorge sind sorgfältige Hygienemaßnahmen und gute Beratung – keine einmaligen Tests bei der Einstellung. Für HIV gelten da immer noch Sonderregeln, andere Infektionskrankheiten werden dagegen sträflich vernachlässigt. Nehmen Sie Masern: Wir haben in Deutschland regelmäßig regionale Masernepidemien. Von einer regionalen HIV-Epidemie habe ich dagegen noch nie etwas gehört.
Die Diskriminierung von HIV-Positiven in Gesundheitsberufen geht oft von Kolleginnen und Kollegen aus. Sie fürchten eine HIV-Infektion, obwohl im Arbeitsalltag gar keine besteht. Wie könnte man diese Angst zerstreuen?
Wenn Sie einen normalen Chirurgen fragen würden „Darf ein Arzt mit HIV operieren?“, dann würde der antworten: Nein. Das Problem ist, dass in diesen Berufen die Aufklärung und Prävention hinsichtlich übertragbarer Krankheiten nicht funktioniert. Und das betrifft bei Weitem nicht nur HIV…
… sondern auch?
Ich kenne deutsche Kliniken, in denen so einfache Hygienemaßnahmen wie die Handdesinfektion nicht funktionieren. Diese Desinfektionsapparate sind ja überall installiert worden und haben ein ganz charakteristisches Geräusch. Beim Benutzen macht es klack-klack. Achten Sie mal darauf, wenn Sie das nächste Mal im Krankenhaus sind – Sie werden das Geräusch nicht oft hören. Ich war zuletzt im Frühjahr zu Besuch im Krankenhaus und habe nie „Klack-Klack“ gehört. Die Todesraten in Krankenhäusern habe durchaus etwas mit schlechten Hygienebedingungen zu tun.
Viele Ärzte fordern sogar HIV-Testmöglichkeiten ohne das Wissen der Getesteten. Ist das ein Ablenkungsmanöver von diesen Missständen?
Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele Ärzte glauben, die herkömmlichen Infektionskrankheiten „im Griff“ zu haben und sich deswegen auf HIV konzentrieren. Es ist ja so, dass nicht alle Ärzte Epidemiologen sind. Aber nur anhand epidemiologischer Daten kann man einordnen, wie groß die Übertragungsrisiken bei einzelnen Infektionskrankheiten sind.
Das klingt pessimistisch.
Eher realistisch. Die meisten, die sich mit Gesundheitspolitik beschäftigen, neigen nicht zu übertriebenen Arztgängen und Aufenthalten im Krankenhaus. Das hat Gründe: Unter-, Über- und Fehlversorgung sind immer noch große Probleme in unserem Gesundheitswesen.
Knut Lambertin (44) leitet das Referat „Gesundheitspolitik/Krankenversicherung“ beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Lambertin war Vertreter für die deutschen Arbeitnehmer im Ausschuss „HIV/Aids in der Welt der Arbeit“ der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO; engl. ILO). 2010 hat die ILO dort die „Empfehlung 200“ zu HIV am Arbeitsplatz verabschiedet. Dort heißt es unmissverständlich: „Von keinem Arbeitnehmer sollte verlangt werden, sich einem HIV-Test zu unterziehen oder seinen HIV-Status preiszugeben.“