Die Politik übersieht weiterhin eine der größten strukturellen Herausforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). “Die Ausgaben steigen doppelt so schnell wie die Einnahmen”, sorgt sich der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann, im Gespräch mit dem Berliner “Tagesspiegel” vom Montag (17. November). Dieses Phänomen sei in den vergangenen Jahren durch die gute Konjunktur verdeckt worden. Geholfen hätten wirksame Reformen bei den Arzneimitteln und höhere Steuerzuschüsse, als jetzt für 2015 vorgesehen. „Ende nächsten Jahres wird der Gesundheitsfonds nur noch zehn Milliarden Euro haben“, verweist Graalmann auf die Prognosen des GKV-Schätzerkreises vom Oktober. “Das entspricht den Ausgaben für 20 Tage. Die fetten Jahre sind vorbei.“
Die AOKs sieht der Verbandschef gut aufgestellt. “Sie können fest davon ausgehen, dass alle elf AOKs ihren Versicherten ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis anbieten werden”, sagt Graalmann. Kein AOK-Versicherter müsse 2015 höhere Beiträge zahlen als 2014. Graalmann kritisierte allerdings den Geist des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und Qualität in der GKV (GKV-FQWG), das unter anderem die neue Beitragswelt regelt. Ursprünglich habe die Große Koalition die Dominanz des Preiswettbewerbs brechen wollen. Jetzt allerdings muss jede Krankenkasse, deren Zusatzbeitrag über dem Durchschnitt von aktuell 0,9 Prozent liegt ihre Mitglieder über günstigere Krankenkassen informieren. “Der Gesetzgeber scheint hier aus der Vergangenheit nicht gelernt zu haben”, resümiert Graalmann im “Tagesspiegel”.
Erheblichen Reformbedarf sieht der Vorstandsvorsitzende bei den Kliniken. “Wir geben jeden dritten Euro für die Krankenhäuser aus. Und ausgerechnet dort hat es schon lange keine echte Reform mehr gegeben.” Kernproblem bleibe, dass die Länder, die eigentlich für Klinikinvestitionen aufkommen müssten, ihrer Verpflichtung schon seit Jahren nicht nachkommen. Die Folge seien zu viele Operationen, die medizinisch nicht notwendig seien, moniert Graalmann. Er fordert eine umfassende Klinikreform, die bei Planung und Vergütung die Qualität in den Mittelpunkt stellt. “Wir brauchen mehr Spezialisierung. Jeder muss das machen, was er gut kann. Und nicht wie heute, nach dem Motto: Jedes Krankenhaus macht alles.”
Ein Kliniksterben im großen Stil sieht der AOK-Vorstandschef nicht. “Es könnte das Aus für einzelne Abteilungen in den Krankenhäusern bedeuten. Aber wäre das so schlimm? Dann gibt es eben hier ein gutes Klinikum für Orthopädie und dort eines für Gynäkologie oder Kardiologie. Oder bestimmte Häuser entwickeln sich zu medizinischen Versorgungszentren.” Solche Umstrukturierungen wolle die AOK konstruktiv und durchaus auch finanziell unterstützen.
Pressemitteilung des AOK Bundesverbandes – Bild: AOK Bundesverband
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