2013 entschied das Bundesarbeitsgericht über die Klage eines pharmazeutischen Assistenten. Er hatte wegen HIV den Job verloren. Das Urteil setzt einen engen Rahmen für HIV-Tests – auch bei medizinischen Tätigkeiten. Und es verpflichtet Arbeitgeber zu besonderer Rücksicht mit HIV-Positiven. Eine Einschätzung von Rechtsanwalt Jacob Hösl
Am 19. Dezember 2013 ist in Leipzig die bislang wohl bedeutendste Entscheidung eines Bundesgerichts in Deutschland zum Thema Diskriminierung von Menschen mit HIV im Arbeitsleben gefallen. Das Bundesarbeitsgericht (6 AZR 190/12) hat entschieden, dass die HIV-Infektion nach den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention einer Behinderung im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes (AGG, auch Antidiskriminierungsgesetz genannt) gleichzusetzen ist.
Ob und in welchem Umfang ein Mensch behindert ist, richtet sich demnach nach den Barrieren, die jemandem mit bestimmten Eigenschaften von seiner Außenwelt entgegengebracht werden und seine Teilhabe am sozialen Leben einschränken. Bei HIV bestehen diese in sozialem Vermeidungsverhalten und irrationalen Benachteiligungen. Deshalb gilt auch für Menschen mit HIV der Schutz des AGG am Arbeitsplatz. Dies gilt auch dann, wenn jemand eine möglicherweise risikoträchtige Tätigkeit ausführt, wie zum Beispiel in bestimmten medizinischen Tätigkeitsfeldern.
Schon Frage nach HIV im Einstellungsverfahren kann unzulässig sein
Das bedeutet, dass alle Ungleichbehandlungen von Mitarbeitern aufgrund einer HIV-Infektion unzulässig sind und gegen das AGG verstoßen können, wenn sie nicht sachlich begründet sind. Bereits früher hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass auch die Frage nach einer Behinderung im Einstellungsverfahren wegen Verstoßes gegen das AGG diskriminierend und damit unzulässig sein kann (17.12.2009 – 8 AZR 670/08 Rz. 25).
Eine solche Ungleichbehandlung ist nur dann zulässig, wenn sie nach sachlichen Kriterien begründet ist. Das BAG hat dabei hervorgehoben, dass es dabei nicht zulässig ist, allgemeine Regeln aufzustellen, die für bestimmte Tätigkeiten oder allgemein Menschen mit einer HIV-Infektion von einer Tätigkeit ausschließen. Zunächst muss die konkrete Tätigkeit darauf hin überprüft werden, ob bei ihrer Ausführung nach objektiver sachlicher Betrachtung überhaupt ein Risiko einer HIV-Übertragung bestehen kann. Erst wenn das der Fall ist, darf der Betreffende gegenüber nicht mit HIV infizierten Mitarbeitern ungleich behandelt werden.
Antidiskriminierungsgesetz gilt auch in der Probezeit und in Kleinbetrieben
In einem bestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitgeber, wenn sich ein Infektionsrisiko bei der konkret ausgeübten Tätigkeit verwirklichen kann, vor Aussprechen einer Kündigung auch in einem solchen Fall erst prüfen, ob der Mitarbeiter nicht anderweitig, das heißt in einem risikoarmen Bereich, eingesetzt werden kann. Das AGG gilt auch schon im Bewerbungsverfahren. Hierzu zählt auch die medizinische Eignungs- oder Einstellungsuntersuchung und gegebenenfalls Fragen im Rahmen des Einstellungsverfahrens, die sich auf gesundheitliche Aspekte richten. Darüber hinaus gilt das AGG auch in der Probezeit und in Kleinbetrieben, auf die das Kündigungsschutzgesetz wegen Unterschreitung der Mitarbeiterzahl (unter 10 Personen) nicht anwendbar ist.
Aus alle diesen Aspekten kann unschwer erkannt werden, welche weitrechende Bedeutung das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Dezember 2013 hat. Wenn man dabei allein das Thema HIV-Test betrachtet, ergibt sich aus der Rechtsprechung des BAG klar und deutlich, dass der HIV-Test sowohl im laufenden Beschäftigungsverhältnis, aber vor allem auch im Bewerbungsverfahren nur noch dann zulässig ist, wenn die angestrebte Tätigkeit bei objektiv sachlicher Betrachtung mit einem HIV-Infektionsrisiko für Dritte verbunden sein kann. Dies gilt nur noch für eine kleine Zahl von Mitarbeitern im Gesundheitswesen und zwar nur bei solchen, die regelhaft sogenannte risikoträchtige Tätigkeiten ausführen. Hierzu zählen folgende Tätigkeiten:
- Operationen in beengtem Operationsfeld
- Operieren mit unterbrochener Sichtkontrolle
- Operationen mit langer Dauer
- Operationen, bei denen mit den Fingern/Händen in der Nähe scharfer/spitzer Instrumente gearbeitet wird
- Operationen mit manueller Führung bzw. Tasten der Nadel
- Verschluss der Sternotomie
- vergleichbare verletzungsträchtige operative Tätigkeiten
(auch in der kieferchirurgischen/zahnärztlichen Praxis)
Alle anderen Tätigkeiten, auch solche in medizinischen Berufen, gehören nicht zu den Tätigkeiten, die mit einem Risiko einer HIV-Infektion verbunden sind.
Ein HIV-Test darf also nur noch dann im Rahmen einer Einstellungsuntersuchung durchgeführt und verlangt werden, wenn die angestrebte Tätigkeit mit einem Infektionsrisiko verbunden ist – mit anderen Worten, wenn Tätigkeiten, wie die oben dargestellten, regelhaft auszuführen sind.
Nahezu alle HIV-Tests im Bewerbungsverfahren sind unzulässig
In allen anderen Fällen darf bereits kein HIV-Test verlangt werden, denn auch die mögliche Feststellung einer Behinderung (je nach Test-Ergebnis) beinhaltet die Aussage, dass diese Behinderung für das Arbeitsverhältnis eine Relevanz haben soll oder kann. Liegt hierfür aber kein objektiv sachlicher Grund vor, dann ist bereits dies diskriminierend.
Ganz allgemein durchgeführte HIV-Tests oder auch nur solche, die durch allgemeine Hygienevorschriften oder entsprechende Dienstregelungen oder Betriebsvereinbarungen vorgesehen sind, sind ebenfalls unzulässig, wenn sie keinen Bezug zu einer konkret risikoträchtigen Tätigkeit aufweisen.
UN-Konvention: Staat muss berufliche Barrieren für Behinderte abbauen
Vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention – die auch den Staat dazu verpflichtet Bemühungen anzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass mit Behinderungen verbundene gesellschaftliche Barrieren verringert und beseitigt werden und die Beschäftigung von Behinderten gefördert werden soll – wirkt sich dies auch auf die medizinische und pflegerische Ausbildung aus. Es muss Sorge dafür getragen werden, dass auch Menschen mit einer HIV-Infektion (Zahn-) Medizin studieren können und eine kranken- bzw. altenpflegerische Ausbildung absolvieren können. Im Konkreten muss jeweils geprüft werden, ob bei der Ausbildung gegebenenfalls Einschränkungen für bestimmte Tätigkeiten (siehe oben) hinzunehmen sind, ohne das Ausbildungsziel zu gefährden und ob alternative Möglichkeiten bestehen, die entsprechenden Ausbildungsziele zu vermitteln.
Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts sind nahezu alle HIV-Tests, die im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren durchgeführt werden, zulässig Etwas anderen gilt nur für einen ganz kleinen Bereich medizinischer Tätigkeiten, die mit einem sachlich begründeten Infektions-Risiko (risikoträchtige Tätigkeiten, siehe oben) verbunden sein können. In allen anderen Fällen darf der HIV-Test im Rahmen der Eignungsuntersuchung nicht durchgeführt werden, und es darf auch nicht nach einer HIV-Infektion gefragt werden.