Die europäische Testwoche vom 21. bis 28. November hat Julian Fricker zum Anlass genommen, wieder mal einen HIV-Test zu machen. Im ersten Teil seines Berichts erzählt er, wie es ihm beim Ausfüllen des Fragebogens vor dem Test ergangen ist.
Jeder schwule Mann sollte sich mindestens einmal im Jahr auf HIV testen lassen. Bei häufigerem Wechsel der Sexpartner sogar alle halbe Jahre. Das ist eine Empfehlung der Deutschen AIDS-Hilfe. Ich bin schwul, 26 Jahre alt und lebe laut Biologie-Unterrichtsbuch „in der Blütezeit meines Lebens“ – und sollte auch Sex haben. Und was soll ich sagen: Es stimmt. Anlässlich der europäischen HIV-Testwoche wollte ich mich daher auch selbst wieder einmal testen lassen. Das geht beim Hausarzt mit einem Labortest, bei dem ich das Ergebnis nach knapp einer Woche auf dem Tisch liegen habe, oder eben mit einem Schnelltest. Ich habe mich für Letzteres entschieden.
Die Berliner HIV-Teststellen finde ich im Internet. Heute mache ich einen Schnelltest bei Mann-O-Meter, dem schwulen Informations- und Beratungszentrum. Das Ergebnis habe ich in einer halben Stunde. Dass der Schnelltest (der soll übrigens genauso aussagekräftig sein wie der länger dauernde Labortest beim Hausarzt) anonym machbar ist, spielt immer noch eine große Rolle. „Da fragen die Leute explizit nach, und da wird selbstverständlich auch drauf geachtet. Auch heutzutage ist HIV mit Stigmatisierung verbunden“, sagt Diplompsychologe Marcus Behrens, der auch fachlicher Leiter von Mann-O-Meter ist.
„Wie viele Sexualpartner hattest du in den letzten 12 Monaten?“
Dass Diskretion hier im wahrsten Sinne des Wortes großgeschrieben wird, merke ich gleich zu Beginn, als ich mich anstelle, um mich für den Test anzumelden. „DISKRETION! Bitte Abstand halten“, steht in großen Lettern auf einer Tafel. Im Mann-O-Meter in Berlin-Schöneberg wird der HIV- und Syphilis-Schnelltest zweimal in der Woche angeboten. Ich bin an der Reihe und muss erst mal einen Fragebogen ausfüllen. Ich setze mich an einen freien Tisch und muss nicht wie bei vielen anderen Formularen meinen Namen oder Wohnort angeben, denn für die nächste knappe Stunde bin ich die Nummer 4820 2263.
Nach den Fragen zum Schulabschluss und zur geschlechtlichen Identität kommen auf der zweiten Seite schon die etwas kniffligeren Fragen. Bei Frage 9a gerate ich das erste Mal ins Grübeln: „Wie viele Sexualpartner hattest du in den letzten 12 Monaten?“ Ich fange an zu zählen und nehme zunächst meine Finger dazu. „Hoffentlich sieht mich keiner“, denkt sich mein Engelchen auf meiner linken Schulter. Ich komme mir ziemlich albern vor. „Und ab wann ist ein Sexpartner wirklich ein Sexpartner?“, frage ich mich. Ich komme zu dem Schluss, dass ich auch die Abenteuer im Dunkeln wohl irgendwie dazuzählen muss. „Vielleicht halb?“, denkt sich mein Teufelchen auf der rechten Schulter, „und was, wenn ich gar nicht gekommen bin?“. Ich beende meine inneren Zwiegespräche und mache letzten Endes eine Mischrechnung.
„Ich hab da was gemacht, was sich nicht gehört“
Die Diskussion, die sich in meinem Kopf gerade abgespielt hat, war zugegeben nicht ganz moralbefreit. Nicht untypisch, wie mir Marcus Behrens bestätigt: „Für die Klienten schwingt auch immer ein Stück weit die Sexualität mit im Raum: Ich hab da was gemacht, was sich nicht gehört.“ Ich fang an zu schwitzen und muss meine Jacke ausziehen. Nebenbei sehe ich immer wieder mal einen „aus der Familie“ ins Beratungszentrum kommen. Acht von zehn Klienten kommen zum wiederholten Mal ins Mann-O-Meter. Zwei der zehn sind also noch „jungfräulich“ – zumindest was den HIV-Test angeht. Einige zögern beim Eintreten, andere kommen rein, als würden sie mal kurz Einkaufen gehen. „HIV ist teilweise entdramatisiert. HIV ist normaler geworden, und das ist auch sinnvoll“, so Behrens.
Dennoch: Die HIV-Infektion ist eine chronische Erkrankung und hat nach wie vor Folgen für die infizierte Person: seien es die Nebenwirkungen (zwar deutlich geringere als früher) oder der chronische Entzündungsprozess im Körper. „HIV ist schon auch noch mit Ängsten besetzt“, bestätigt Marcus Behrens. Und die seien zum Teil so groß, das sich manche Leute erst gar nicht testen lassen wollen. „Ein positives Ergebnis ist für viele nach wie vor ein schwerwiegendes Ereignis“, sagt Behrens. Dem müsse man entgegenwirken. Mit Horrorbildern vor einer Ansteckung mit HIV zu warnen, sei kontraproduktiv – das sei sogar wissenschaftlich bewiesen.
Ich fülle meinen Fragebogen komplett aus und warte nun auf den Berater. Der wird sich vor dem Test noch mit mir unterhalten. Nach der Beantwortung so vieler Fragen fühle ich mich irgendwie ausgelaugt und nervös zugleich. Nirgendwo sonst beschäftige ich mich mit dem Thema HIV mehr als gerade in diesem Moment. Dann werde ich aufgerufen: „Nummer 4820 2263 bitte …“.