Wenn Patienten sich beschweren, sind Medizinische Fachangestellte häufig überfordert und reagieren falsch, denn sie fühlen sich angegriffen und begegnen ihren Gesprächspartnern emotionalisiert. Dabei ist ein professioneller Umgang mit verärgerten Patienten relativ einfach: – Man nimmt die Äußerungen der Patienten zunächst kommentarlos entgegen, damit die Gesprächspartner ihrem Ärger „Luft machen können“. – Die Beschwerdeschilderung sollte duch […]
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Milchmädchenrechnung bei Grippeimpfung
Der Nutzen der Grippe-Impfung ist in die Diskussion gekommen. Der unabhängige Informationsdienst “arznei-telegramm” (a-t) bewertet in der aktuellen Ausgabe die Wirksamkeit der Influenzaimpfung (Wird die Wirksamkeit der Influenzaimpfung überschätzt? arznei-telegramm 2008;39:101-104) und kommt zum Schluss, die häufig geäusserte Annahme, dass die Influenzaimpfung die Gesamtmortalität während einer Virusgrippesaison um bis zu 50% senke, sei unrealistisch. Zwar werde die Unwirksamkeit durch die vorliegenden wissenschaftlichen Studien nicht belegt, diese würden aber das Fehlen valider Wirksamkeitsdaten verdeutlichen.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie hatte einen “healthy user effect” bestätigt, der die Ergebnisse verzerrt. Für die Zeiträume ausserhalb der Influenzasaison konnte eine “Reduktion” der Sterblichkeit bei Geimpften um die Hälfte errechnen werden – die logischerweise nicht durch die Impfung entstanden sein kann.
Die Autoren der Studie halten den Nutzen der Grippeimpfungen gerade für Senioren für überschätzt.
Auch die Autoren einer anderen Studie kommen zu der Empfehlung: “Ein kaum wirksamer Impfstoff ist auf jeden Fall besser als gar keiner.”
Zu kritisieren ist jedoch das massive Marketing der Pharmaindustrie für die Impfung, gemeinsam mit Gesundheitsbehörden und Fachverbänden. Mit welchen zweifelhaften Kalkulationen argumentiert wird, dokumentiert das a-t:
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts hat die Grippeimpfung in den Grippesaisons 2001/02 bis 2006/07 5.300 grippebedingte Todesfälle verhindert. Weitere 2.800 Grippe-Tote hätten verhindert werden können, wenn das WHO-Ziel, eine 75%ige Impfrate bei Älteren, erreicht worden wäre. Die Berechnung beruht auf der Annahme, dass der “Impfstoff zu 30% wirksam in der Verhinderung einer tödlichen Grippeinfektion bei über 60-Jährigen” ist. Grundlage dieser Annahme sind wiederum zwei Observationsstudien aus den Jahren 2004 und 2007. Liest man in diesen Arbeiten nach, ist man verwundert, da in beiden die Zahl der tödlichen Grippeinfektionen gar nicht geprüft wird. Es werden zwar Sterberaten ermittelt. In der ersten Arbeit wird jedoch die Todesrate an allen respiratorischen Erkrankungen gemessen (12%ige Reduktion), in der zweiten die Gesamtmortalität, mit völlig unrealistischem Ergebnis (48%ige Reduktion). Das RKI scheut sich nicht, den Mittelwert aus Äpfeln und Birnen zu bilden und diesen als Rhabarber zu verkaufen: (12% + 48%) : 2 = 30%ige Reduktion tödlicher Grippeinfektionen. Diese in absurder Weise hergeleiteten und daher vermutlich falschen Zahlen werden öffentlich kommuniziert und dienen offenbar als Entscheidungsbegründung für Impfempfehlungen.
Hextril: Schreibfehler auf Medikamentenpackung und die Geschichte dahinter [akt.]
Was ist die Produktqualität von Medikamenten? Kann ich Medikamenten vertrauen haben? Wie hoch ist die Qualitätskultur in der Pharmaindustrie?
Anfang Winter war ich erkältet. Ich hatte Halsweh. Ich habe mir Hextril® in der Apotheke zum Gurgeln gekauft.
Oh, Schreck. Als ich mir die Packung daheim ansehe, finde ich einen Rechtschreibfehler. Es steht:
Arzneimittel für kinder unerreichbar aufbewahren.
Kinder ist falsch geschrieben. Ich nehme kaum an, dass die Marke „kinder“ der berühmten „kinder Schokolade“ von Ferrero gemeint ist.
Hextril® Packung, der Pfeil zeigt den Schreibfehler. Photo: Patientensicht
Nun gut, kann man sich denken. Was ist schon dabei, ein Rechtschreibfehler kann jedem passieren.
Doch es handelt sich immerhin um ein Arzneimittel. Die Produktqualität von Medikamenten ist für Laien kaum beurteilbar. Da frage ich mich schon, wie ist die Qualität eines Arzneimittels, wenn die Firma nicht einmal eine Verpackung ohne Schreibfehler herstellen kann. Im Coop und im Migros ist mir noch nie ein Rechtschreibfehler aufgefallen. Und die haben mit all den Lebensmitteln bedeutend mehr Produkte.
Da gibt es aber auch eine Geschichte dahinter.
Hintergrund
Hextril® wird in der Schweiz von Janssen-Cilag verkauft und die gehören zum Johnson & Johnson Konzern. Der Johnson & Johnson Konzern war 2011 der viertgrösste Pharmakonzern. Und Johnson & Johnson hatte massive Qualitätsprobleme. Ein Rückruf reihte sich an den anderen, eine Auswahl:
Datum | Rückruf | Grund/Problem |
---|---|---|
17. Feb 2012 | 574‘000 Tylenol®-Flaschen | Fehler im Flaschendesign |
27. Jan 2012 | 2‘000 Tuben von Aveeno Baby Calming Comfort Lotion | Zu hohe Bakterienwerte in Stichproben |
21. Dez 2011 | 12 Mio. Flaschen von Motrin® Schmerzmittel | Kapsel löst sich zu langsam auf, welche die Wirkung verzögert |
23. Sept 2011 | Zwei Chargen von Eprex® Blutarmutmedikament in 17 Ländern | Uneinheitliche Wirkstoffdosierung (inconsistent potency) |
14. April 2011 | 57‘000 Flaschen des Epilepsiemittels Topamax® | Fäulnisgeruch (foul odor) |
29. März 2011 | 700‘000 Flaschen von Tylenol® und anderen Konsumentenmedikamenten | Moder- und Schimmelgeruch |
08. März 2011 | Fünf Chargen von Insulinpumpenpatronen (insulin pump cartridges) | Mögliche undichte Stellen |
02. März 2011 | 107 Chargen von chirurgischen Wundnähten | Mögliche Sterilitätsprobleme |
11. Feb. 2011 | 70‘000 Injektionsspritzen gefüllt mit dem antipsychotischen Medikament Invega® | Spalt/Bruch in den Spritzen (cracks in the syringes) |
14. Jan. 2011 | 50 Mio Flaschen und Verpackungen von verschiedenen Arten von Tylenol®, Benadryl®, Rolaids® und anderen Produkten | Laxe/lockere Reinigungsabläufe in der Herstellungsfabrik |
09. Dez. 2010 | Alle Chargen des Entkalkungsmittels Softchews Rolaids | Holz- und Metallsplitter (bits) in den Tabletten |
02. Dez. 2010 | 12 Mio. Flaschen von Mylanta® und fast 85‘000 Flaschen des AlternaGel Flüssigentkalkers | Die kleine Menge von Alkohol des Duftstoffes wurden nicht auf der Verpackung vermerkt |
01. Dez. 2010 | 492‘000 Schachteln von Eintageslinsen Acuvue TruEye | Kundenreklamationen wegen Verbrennungen |
24. Nov. 2010 | 9 Mio. Flaschen von Tylenol® | Unzureichende Warnung von Akloholspuren in den Duftstoffen |
18. Okt. 2010 | Eine Charge von Tylenol®-Kapseln für Erwachsene | Moder- und Schimmelgeruch |
08. Juli 2010 | 21 Chargen von Tylenol® für Kinder und Erwachsene, verschiedene Formen von Benadryl® und Motrin® welche in USA, Fiji, Guatemala, the Dominican Republic, Puerto Rico, Trinidad and Tobago und Jamaica verkauft wurden, zusätzlich zum Rückruf vom 15. Jan 2010. 2.5 Mio Medizinalflaschen waren betroffen. | Moder- und Schimmelgeruch |
15. Juni 2010 | Vier Chargen Benadryl® und Extra Strength Tylenol® Gels, welche in den USA, Trinidad and Tobago, Bermuda and Puerto Rico verkauft wurden zusätzlich zum 15. Jan 2010 Rückruf. 50‘000 Flaschen waren betroffen. | Moder- und Schimmelgeruch |
30. April 2010 | 40 Produkte einschliesslich flüssige Baby- und Kinderschmerzmittel, Tylenol®, und Motrin® und die Allgergiemedikamente Zyrtec® und Benadryl®. Über 135 Mio. Flaschen waren betroffen, gemäss einer parlamentarischen Untersuchung. | Herstellungsmängel, welche die Qualität, die Reinheit und Dosierung der Arzneimittel betreffen. |
15. Jan. 2010 | 15 Mio. Flaschen von rezeptfreien Medikamenten einschliesslich Tylenol®, Motrin® and Rolaids®, Benadryl® und St. Joseph’s Aspirin®, betreffend Chargen in Nord- und Südamerika, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Fiji. | Ungewöhnlicher modriger, muffiger und schimmliger Geruch wegen einer Chemikalie in Holzpaletten zum Lagern und Versenden der Produkte. |
Dez 2009 | Erweiterung des Novemberrückrufs von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln | Kundenberichte über ungewöhnliche modrige Gerüche in 100er Flaschen. |
Nov 2009 | Fünf Chargen von Tylenol® Arthritis Schmerzmittelkapseln | Berichte von ungewöhnlichem modrigem, muffigem und schimmligem Geruch wegen welche in Verbindung mit Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen und Durchfall in Verbindung gebracht wurde. |
Sept 2009 | Einige Chargen von Baby und Kinder Tylenol® | Mögliche bakterielle Verunreinigung |
Juli 2009 | Rezeptfreie Motrin® Tabletten von Drogerien. Dieser Rückruf wird vom US-Kongress parlamentarisch untersucht wegen des Verdachts auf Vertuschung durch Rückkauf anstatt eines ordentlichen Rückrufes. Gemäss J&J war die Gesundheitsbehörde FDA informiert, welche dies jedoch verneint. | Probleme mit dem Auflösen |
Rückrufe von Johnson & Johnson von Juli 2009 bis 17. Feb. 2012. Quelle: Timeline: Johnson & Johnson’s product recalls, Reuters, 21. Feb. 2012, eigene Übersetzung
Was in der Liste auffällt, ist, dass es sich um für Laien erkennbare Qualitätsprobleme handelt, wie z.B. Schimmelgeruch. Was aber ist mit Qualitätsmängeln, die nicht offensichtlich sind? Geruchlose Verunreinigungen oder falsche Dosierungen des Wirkstoffes? Man denke da z.B. an Psychopharmaka?
In der obigen Liste von Reuters ist der Rückruf von weltweit 85‘000 Hüftprothesen nicht einmal dabei. Die Schweiz war auch betroffen. (Quelle: Rückruf für Hüftprothesen von Johnson & Johnson in der Schweiz, 31.08.2010, Der Bund, NYT, 30.01.2013)
Rückruf von Hüftprothesen! Man stelle sich dies einmal vor. Womöglich von alten, gebrechlichen Menschen.
Dass, ob all dieser Qualitätsprobleme der Chef William Weldon gehen musste, ist nicht erstaunlich.
Die Financial Times Deutschland schreibt kurz und knapp:
Johnson & Johnson musste in den vergangenen zwei Jahren unter anderem künstliche Hüftgelenke, Kontaktlinsen und Schmerzmittel für Kinder zurückrufen.
Johnson & Johnson ist unter anderem bekannt für seine Penaten- und Bebe-Pflegeprodukte. Auch das Schmerzmittel Dolormin stammt von den Amerikanern.
Bemerkungen
Offensichtlich gab (oder gibt?) es bei Johnson & Johnson eine komplett mangelhafte Qualitätskultur. Das Management hat versagt. Die schiere Grösse dieser Pharmakonzerne ist ein Risiko.
Eine Fluggesellschaft mit diesem Qualitätsbewusstsein wäre schon lange aus dem Verkehr gezogen worden. Das Qualitätsbewusstsein im Flugverkehr ist viel weiter entwickelt.
Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ein Flugunfall für alle sichtbar ist. Ein tragisches Ereignis.
Bei Arzneimittelpannen ist es umgekehrt, es gibt viele verstreute Schicksale. Einzelne Betroffene haben keine persönliche Verbindung zu einander. Eine Rückführung auf ein Medikament kann schwer sein, besonders bei bereits alten und kranken Menschen mit verschiedenen Leiden.
Ist Johnson & Johnson ein Einzelfall? In der EU und den USA laufen jedenfalls ebenfalls Untersuchungen gegen Roche und Novartis. Novartis hat beispielsweise im Februar 2012 in den USA „freiwillig“ eine Fabrik wegen Qualitätsprobleme ausser Betrieb genommen (siehe auch After Manufacturing Gaffes, Worried Novartis CEO Insists ‚Quality Matters’, 5. Sept 2012, Forbes, Ed Silverman).
Neben diesen Herstellungsproblemen, fällt die Pharmaindustrie durch hohe Bussen und andere Justizfälle und immense Gehälter auf. Wissenschaft scheint weniger der Wahrheitssuche als viel mehr einer Marketingvorbereitungsetappe zu gleichen. Nur die „positiven Resultate“ fliessen in die Wissenschaft ein und die anderen verschwinden in einer Dunkelkammer.
Warum ist nur los mit dieser Industrie, deren primären Ziel es wäre, den Leuten (gute) Heilmitteln zu verkaufen?
In Angesicht all dieser Qualitätsprobleme und Rückrufe von Johnson & Johnson, wie ist dieser Schreibfehler auf der Hextril®-Packung zu beurteilen? Nur ein kleiner Rechtschreibfehler? Spitze eines Eisberges?
Nachtrag
[Aktualisierung 23.02.2014: Im Januar 2014 habe ich eine neue Packung gekauft. Der Rechtschreibfehler war auf dieser neuen Packung korrigiert. Parallel zum Blogartikel hatte ich Swissmedic auf dieses kleine Problem aufmerksam gemacht.]
TED Talk von Ben Goldacre: Datenverheimlichung
Was ist ein TED Talk? Was ist das Thema des Vortrages?
In den USA gibt es die Vortragsreihe TED Talk. Eingeladen werden Forscher und Leute mit Ideen. Die Liste der Redner reicht von Bill Clinton über Bill Gates bis zu Nobelpreisträgern. Die Vorträge dürfen maximal 18 Minuten lang sein. Die Vorträge werden dann ins Internet gestellt, nach dem Motto: „Ideas worth spreading“ (dt.: „Ideen, die es Wert sind, verbreitet zu werden“).
Ben Goldacre konnte eine Vortrag über das Verheimlichen von Studiendaten machen. Das ist der zentrale Kritikpunkt seines neuen Buches Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients.
Mit deutschen Untertiteln
Ben Goldacre erläutert in seinem Vortrag von Mitte 2012 das Problem von fehlenden «negativen» Resultaten. In der 14-minütigen TED-Talk Aufzeichnung What doctors don’t know about the drugs they prescribe erläutert Ben Goldacre die Verzerrung der Forschungsliteratur (Publication Bias). Wenn von 10 Studien über ein Medikament nur die 5 «positiven» publiziert werden und die 5 anderen nicht, so meinen alle das Medikament sei wirksam, was es aber bei ganzer Datenlage nicht ist.
Weitere interessante Videos sind auf der Seite Hörens- und sehenswerte Sendungen aufgelistet.
Ein 60 minütiger (lustiger) Vortrag Book Discussion on Bad Pharma (engl.) von Ben Goldacre aus Seattle vom 18.02.2013. Ebenfalls sehenswert.