Mit HIV kann man heute alt werden, doch die Karriere kann schweren Schaden nehmen. Ausgerechnet in Gesundheitsberufen ist die Gefahr besonders groß. So war es auch bei einem 36-jährigen Arzt, der 2008 seine HIV-Diagnose erhielt. Im Deutschen Ärzteblatt schildert er, wie die HIV-Infektion seinen Berufsweg beendet hat: Die Klinik verweigerte dem Kollegen die bereits zugesagte Anstellung als Chirurg.
Heute ist der Mediziner nur noch beratend tätig. Besonders bitter: Der Traumjob bleibt ihm verwehrt, obwohl der Mann in jeder Hinsicht fit ist. Sofort nach der Diagnose hatte sich der junge Arzt in Behandlung begeben. Nach sechs Monaten war die Viruslast unter der Nachweisgrenze. „Ich war de facto gesund, konnte niemanden gefährden und wurde durch niemanden gefährdet“, bilanziert der enttäuschte Mediziner. Dennoch durfte er seinen Traumberuf nie antreten.
Leider kein Ausnahmefall in Deutschland. In vielen Gesundheitsberufen wird im Rahmen der Einstellungsuntersuchungen ein HIV-Test durchgeführt – das diskriminiert Menschen mit HIV. Ein positives Ergebnis führt oft zu beruflichen Einschränkungen: Medizinstudenten können im Praktischen Jahr ihre chirurgische Zeit nicht absolvieren; Krankenpflegekräfte werden aus der Patientenversorgung verbannt; Arbeitsämter bewilligen keine Zuschüsse für Umschulungen mit dem Hinweis, die Interessenten dürften in Pflegeberufen sowieso nicht arbeiten.
In Deutschland gab es bisher keine einzige HIV-Übertragung von medizinischem Personal auf Patienten
Das Beharren auf dem routinemäßigen HIV-Test ist wissenschaftlich unhaltbar. Im Arbeitsalltag von Krankenhäusern, Praxen und Pflegeeinrichtungen ist eine Übertragung von HIV so gut wie ausgeschlossen. Das Immunschwäche-Virus kann – wie auch Hepatitis-B und Hepatitis C – nur dann in den Körper gelangen, wenn mehrere Bedingungen zusammen kommen:
- Es muss eine größere Menge Viren im Blut vorhanden sein.
- Der oder die Behandelnde muss eine blutenden Verletzte haben.
- Es muss Blut aus dieser Verletzung in die Wunde oder auf die Schleimhaut eines Patienten gelangen. Grundlegende Schutzmaßnahmen wie Einweghandschuhe versperren diesen Übertragungsweg wirkungsvoll.
In Deutschland gab es noch keinen einzigen solchen Fall einer Übertragung, international wenige Einzelfälle (siehe HIV-Report 4/2012).
Der einzig denkbare Übertragungsweg im medizinischen Normalbetrieb sind besondere chirurgische Eingriffe, in einem beengten Operationsfeld und unter unübersichtlichen Bedingungen. Hierbei kann sich der Operateur relativ leicht verletzen. Solche Eingriffe dürfen HIV-positive Chirurgen nicht durchführen, so lange sie keine wirksame HIV-Therapie nehmen. Erfolgt eine Therapie, dürfen die Ärzte wieder operieren.
„Eine Übertragung ist dann höchst unwahrscheinlich“, betont Hans-Jürgen Stellbrink, Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) und Arzt am Infektionsmedizinisches Centrum Hamburg. Dass HIV-Therapien die Zahl der Viren im Blut verringern, bis sie nicht mehr nachweisbar sind, sei selbst Fachleuten oft unbekannt, sagt Stellbrink. „Es dauert einige Zeit, bis sich solches Fachwissen im gesamten Gesundheitswesen verbreitet.“ Bei Medizinern gebe es eine gewisse Resistenz gegenüber neuen Erkenntnissen: „Man hält im Zweifelsfall an der erprobten Praxis fest.“
Für einen HIV-Tests bei der Einstellungsuntersuchung spricht nichts
Es gibt also keinen vernünftigen Grund für HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen von medizinischem Personal. Trotzdem fordern manche Mediziner sogar Zwangstests. Ein „Recht auf Nichtwissen“ gebe es nicht, erklärte 2013 sogar die Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern in ihrem „Rostocker Appell“.
„Es ist völlig unverständlich, warum manche Kollegen HIV zu einer Ausnahmekrankheit erklären, die Zwangstestungen erfordert“, sagt dazu Hans-Jürgen Stellbrink. „Bei HIV sehen viele Menschen übertriebene, teils irrationale Infektionsrisiken.“
Die meisten Arbeitgeber weisen Kritik an ihrer Test-Praxis zurück und sprechen von einem „betriebsärztlichen Angebot“. „Bei einer Einstellungsuntersuchung hat ein HIV-Test nichts zu suchen“, betont hingegen Heike Gronski, HIV-Referentin der Deutschen AIDS-Hilfe. „Wer wagt es schon, ein solches Angebot abzulehnen, wenn der erhoffte Job davon abhängt?“
HIV-Spezialist Hans-Jürgen Stellbrink fordert: „Der Mitarbeiter muss tatsächlich die Freiheit haben, sich für oder gegen den HIV-Test zu entscheiden.“
Zu jedem HIV-Test gehört professionelle Beratung – das ist die zentrale Botschaft von Keikawus Arastéh, Klinik-Direktor und Chefarzt für Innere Medizin am Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin. „Ein HIV-Test sollte nicht mal eben eingeschoben werden“, betont Arastéh in einem Interview mit magazin.hiv. „Das Problem ist, dass nicht alle Kollegen vom Medizinischen Dienst ausreichend geschult sind, eine verständnisvolle Aufklärung über Risiken und Nutzen des HIV-Testes zu gewährleisten.“
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Urteil schafft mehr Rechtssicherheit
Wenigstens die rechtliche Situation ist nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19. Dezember 2013 klarer: Das Allgemeine Gesetz Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Menschen mit HIV, weil HIV nach den Grundsätzen der UN-Behindertenrechtskonvention als Behinderung zu betrachten sei.
„Nach dem Urteil des BAG sind nahezu alle HIV-Tests, die im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren durchgeführt werden, unzulässig“, erklärt Jacob Hösl, begleitender Rechtsanwalt in dem Verfahren, vor dem Bundesarbeitsgericht. Ausnahmen gälten nur für den kleinen Bereich jener medizinischer Tätigkeiten, die mit einem sachlich begründeten Infektionsrisiko verbunden sein könnten. „In allen anderen Fällen darf der HIV-Test im Rahmen der Eignungsuntersuchung nicht durchgeführt werden, und es darf auch nicht nach einer HIV-Infektion gefragt werden“, so Jacob Hösl in einer Einschätzung für die Deutsche AIDS-Hilfe.
Der Nationale AIDS-Beirat (NAB) hatte bereits 2012 in einem Votum deutlich gesagt: Kein Arbeitgeber ist berechtigt, über den HIV-Status Auskunft zu verlangen. Erhält der betriebsärztliche Dienst Kenntnis von einer HIV-Infektion, unterliegt er der Schweigepflicht – auch gegenüber dem Arbeitgeber.
Infektionsschutz im Krankenhaus tut Not – aber HIV ist nicht das Problem
Die Ausgrenzung von HIV-positiven Arbeitskräften trägt ganz gewiss nicht dazu bei, die Gesundheitsrisiken in deutschen Kliniken und Praxen zu senken. Im Gegenteil: Die Fokussierung auf HIV verstellt den Blick auf die wahren Gesundheitsrisiken im Medizinsystem. Die Europäische Präventionsbehörde (ECDC) schätzt die Zahl der im Krankenhaus entstandenen Infektionen europaweit auf jährlich drei Millionen und die Zahl der daraus resultierenden Todesfälle auf 50.000. Am häufigsten treten Infektionen mit Bakterien und Pilzen auf. HIV-Infektionen kommen dagegen nicht vor.
„Entscheidend für die Gesundheitsvorsorge in Krankenhäusern sind sorgfältige Hygienemaßnahmen und gute Beratung – keine einmaligen Tests bei der Einstellung“, sagt Knut Lambertin, beim Deutschen Gewerkschaftsbund zuständig für Gesundheitspolitik. Im Gespräch mit magazin.hiv fordert Lambertin ein gesetzliches Verbot von HIV-Tests bei Einstellungsuntersuchungen. „Für HIV gelten da immer noch Sonderregeln“, kritisiert Lambertin. „Andere Infektionskrankheiten werden dagegen sträflich vernachlässigt. Wir haben in Deutschland regelmäßig regionale Masernepidemien. Von einer regionalen HIV-Epidemie habe ich dagegen noch nie etwas gehört.“
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Wirkt am besten: HIV-positiver Pfleger bildet Kollegen weiter
Für fundierte Aufklärung über HIV im Arbeitsleben sorgt Manfred Müller. Der Altenpfleger aus Bochum ist seit 1991 HIV-positiv getestet. Arbeitgeber und Kollegen haben kein Problem damit. In seiner Freizeit besucht er gemeinsam mit der Aidshilfe Bochum Gesundheitseinrichtungen und Ausbildungsstätten für Medizinberufe. Dort steht er Angestellten und Studierenden Rede und Antwort. „Ich stelle mich als positiv vor, und dann können die Teilnehmer mir alle Fragen stellen, die sie zu HIV haben“, so beschreibt Müller seine ehrenamtliche Arbeit. Er habe dabei gelernt, abweichende Meinungen auch mal stehen zu lassen. „Vorurteile kann man nicht sofort löschen, ich kann nur einen kleinen Impuls geben, dass sich vielleicht in Zukunft etwas ändert.“
Infoveranstaltungen zu HIV sind aber nicht nur für den Nachwuchs sinnvoll, sondern auch für Altgediente, davon ist Manfred Müller überzeugt: „Gerade wenn man schon länger auf Station arbeitet, geht Wissen verloren.“ Außerdem verschwände das Gefühl dafür, dass die eigene Arbeitsweise diskriminierend sein kann. „Es bedarf regelmäßiger Schulungen“, fordert auch Klinikdirektor Keikawus Arastéh. Die fänden zwar statt, das Thema HIV werde aber mehr schlecht als recht behandelt, so Arastéh. „Ich kann aus meiner Erfahrung empfehlen: Möglichst wenig Powerpoint, lieber persönlich mit den Menschen sprechen. Dann bleibt mehr hängen.“