Aktuelle und zukünftige Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung der Pflege mit Fokus Psychiatrie in der BRD

Die Tatsache, dass ein Gremium, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Träger psychiatrischer Einrichtungen, kurz BAG, das Thema „Rahmenbedingungen für die Entwicklung der psychiatrischen Pflege“ als Schwerpunktthema einer Sitzung aufnimmt, lässt das Herz eines Pflegedirektors einer großen Klinik, der zudem noch Vorsitzender einer pflegerischen Fachvereinigung ist, höherschlagen. Denn es macht deutlich, dass auch die Gemeinschaft der Träger psychiatrischer Kliniken eine zum Teil widersprüchliche, aber auch besorgniserregende Entwicklung der Pflege in Deutschland ernst nimmt und sicherlich damit auch an Lösungen interessiert ist.

Manchmal habe ich das Gefühl, in der Somatik ist das Problem bei vielen Verantwortlichen noch nicht wirklich angekommen. Nun soll ja hier die Situation nicht weiter beklagt werden, sondern wir wollen die Entwicklung unter Berücksichtigung aktueller Rahmenbedingungen und dazu gehört auch die Akademisierung der Pflege, im Sinne von Problemlösung, betrachten.

300.000 Pflegepersonen werden fehlen

Dennoch benenne ich noch einmal ein wichtiges Problem. Aktuell fehlen rund 30.000 Pflegende. Diese Zahl wird sich bis zum Jahre 2030 verzehnfachen, wir reden dann über rund 300.000 Pflegepersonen. Nun neigt ja ein Rheinländer dazu, wozu ich ja auch gehöre, grundsätzlich schon auf die 10 Gebote seiner Hauptstadt zu hören, wo unter anderem gesagt wird „Et hätt schon immer gut gegangen“.

Aber dieser beruhigende Spruch wird uns nicht mehr wirklich helfen, denn neben dem Mangel verzeichnen wir ja einen tatsächlichen Fachkräftemangel in allen Sparten und dazu eine massive Steigerung von Hilfsbedürftigen. Das heißt, wir müssen etwas tun und hier zitiere ich noch einmal ein Gesetz aus der Hauptstadt des Rheinlandes „von nix kütt nix“. Anders ausgedrückt: Wenn wir nichts tun, schlittern wir in eine wirklich sehr schlimme und bedrohliche Situation hinein.

Aktuelle Ausbildungssituation

In der anstehenden generalistischen Ausbildung, bestand oder besteht die gemeinsame Sorge, dass die Psychiatrie da zu kurz kommt. Sie erinnern sich alle an die Diskussion, mit „80 Stunden Psychiatrie“. Schaut man sich einmal die derzeitige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung an, so wird man feststellen, dass diese vom Grundsatz her nicht viel besser aussah und es von den jeweiligen Häusern bzw. Krankenpflegeschulen abhing, inwieweit sie die psychiatrischen Einsätze ausgedehnt haben. Oder dass sie von externen Krankenhäusern, die die Schülerinnen und Schüler in externe Psychiatrieeinsätze schickten, als überflüssig angesehen und auf ganz wenige Wochen reduziert wurden.

Schaut man sich das Eckpunktepapier an, so stolpert man in der Tat zunächst über die 80 Stunden. Studiert man aber dann etwas genauer die einzelnen Ausbildungsabschnitte, so wird man feststellen, dass hier wie bisher die Möglichkeit besteht, Einsätze im Sinne der psychiatrischen Ausbildung zu nutzen. In Bonn sehen wir die Möglichkeit die Auszubildenden rund 1.120 Stunden im eigenen Haus tätig werden zu lassen. Auch hier bleibt natürlich für die Schulen, die keinen Bezug zur Psychiatrie haben, die Chance das Ganze auf zwei Wochen zu minimieren, was eindeutig zu wenig ist. Hier laufen noch die Diskussionen, diese Zeit unbedingt auch anzuheben.

Duale Ausbildung als Chance

Was das Eckpunktepapier angeht, so öffnet diese Vorlage ja auch die Chance zur dualen Ausbildung. Das bedeutet Ausbildung plus Studium, dies dann allerdings über vier Jahre. Hier sehe ich eine erste Chance gegen den Fachkräftemangel anzugehen, in dem für viele junge Menschen die Chance eingeräumt wird, über ein Studium den Weg in die Pflege zu gehen. Da aber der erste Absolvent erst in einigen Jahren vom Band geht, haben berufsbegleitende Studiengänge mit Bachelor-Abschluss eine hohe Bedeutung.

Akademisierung kann bedeuten:

–      Die Attraktivität des Berufsfeldes wird durch die Möglichkeit der Akademisierung gesteigert.

–      Karrieremöglichkeiten werden geschärft

–      Pflegequalität wird gesichert

–      Selbständiges Arbeiten wird ermöglicht

Der Fachkräftemangel kommt

Es muss allerdings allen klar sein, dass das Studium alleine nicht ausreicht, um den Beruf attraktiver zu gestalten, um überhaupt etwas von dem Kuchen der Ausbildungswilligen und zukünftigen Fachkräfte abzubekommen. Dass ein Fachkräftemangel kommt, ist ja nicht die Frage. Die Frage ist, trifft er uns doppelt? Bedingt durch Fachkräftemangel an sich auf der einen Seite und durch Abwanderung, Abbruch und „Flucht“ durch schlechte und uninteressante Arbeitsbedingungen und zum Teil schlechte Vergütung auf der anderen Seite.

Was ist zu tun, um die Akademisierung, im Sinne einer besseren Versorgung und Bekämpfung des Fachkräftemangels zu nutzen? Seit Jahren reden wir über Verlagerung von Tätigkeiten innerhalb des Systems, d. h. was können Pflegende von den ärztlichen Aufgaben übernehmen? Umgekehrt, was kann das Fachpersonal Pflege an Aufgaben an weniger qualifizierte Menschen abgeben?

Die Pflege als „Wochenendetherapeut“

Trotz qualifizierter Ausbildung bzw. akademischen Weiterbildungen passiert ernüchternd wenig. Immer wieder sind Schlagzeilen, wie diese, zu lesen: Rudolf Henke (Vorsitzender des Marburger Bundes) äußert sich auf dem BMVZ-Praktikerkongress in Berlin wie folgt:

„Ich bin absolut gegen das Prinzip der Substitution. Der Arztberuf sei im Gesundheitswesen die Zentralprofession. Ein Facharzt müsse eine elf- bis zwölfjährige Ausbildung absolvieren, bevor er dem Sozialrecht zufolge gesetzlich versicherte Patienten behandeln dürfe. Entsprechend könnten Leistungen, die derzeit durch Ärzte erfolgten, nicht auf Pflegekräfte mit einer dreijährigen Ausbildung übertragen werden. Wir können die Debatte beenden: Delegation Ja, Substitution Nein`.“

Schon traurig diese simple Gegenüberstellung. Allein eine Fachpflegekraft weißt schon fünf Jahre auf. Oft dann noch ein Studium. Dies macht viele Bemühungen zunächst einmal wieder zunichte. Interessant ist allerdings immer wieder, dass am Wochenende die Pflege vieles an höherwertigen Tätigkeiten übernehmen soll und kann. Wir sprechen in pflegerischen Fachkreisen inzwischen vom Wochenendtherapeuten.

Ich bin mir gar nicht sicher ob Beteiligte die Definitionen der Begriffe wirklich kennen:

  •  Substitution = Übertragung der Entscheidungskompetenz also darüber „ob“ eine Maßnahme erfolgt.
  • Delegation = Übertragung der Durchführungskompetenz zur Ausübung also darüber „wie“ eine Maßnahme erfolgt.

Arbeitsfelder präzise definieren

Dazwischen liegt der Streitpunkt. In Verbindung mit der Akademisierung muss in Teilbereichen der Weg in die Substitution geebnet werden (siehe Hebammen).

Pflege müsste ihrerseits von Arbeit entlastet werden, für die sie zu gut bezahlt wird und was sie auch unzufrieden macht. Überwiegend bleibt sie aber, weil man vereinzelt eher dazu neigt hauswirtschaftliche Kräfte abzuschaffen und die Arbeit der Pflege auch noch aufzuhalsen.

Wir müssen dahin kommen, Arbeitsfelder und Kompetenzen genauer zu definieren. Über die Definition muss Konsens zwischen allen, Träger Medizin, Pflege und Verwaltung bestehen. Dann können wir uns auch dem Grad-Mix widmen. Dies heißt aber auch angemessene Stellenpläne. Hochschulen müssen sich deutlicher an der Pflegepraxis orientieren und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die neuen Aufgaben qualifizieren. Derzeit haben wir einen Wildwuchs der Hochschulen. Einheitliche Curricula bzw. Standards muss man suchen. Hier ist Handlungsbedarf, um die Akademisierung wirklich, im Sinne einer Weiterentwicklung, zu nutzen.

Pflegekraft keine „Eierlegende Wollmilchsau“

Was die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auf die Berufsangehörigen der Pflege, „ zur selbständigen Ausübung von Heilkunde“, angeht, könnte das Modellvorhaben nach § 63 Absatz 3 c SGB 5 ein erster wichtiger Schritt sein. Aber auch hier bewegt sich wenig, siehe u. a. Henke.

Die Arbeitsbedingungen müssen sich verändern. Wir dürfen nicht glauben, dass eine Pflegekraft, die in der Nacht 40 und mehr Patienten betreuen muss, sich die Hacken abläuft, und eine erdrückende Verantwortung hat, dies auf Dauer so weiter machen wird. Fachkräfte werden ja auch woanders benötigt. Nicht überall sind die Bedingungen so erdrückend wie in der Pflege. Um das Ganze auch finanzieren zu können, brauchen wir einen vernünftigen Skill- und Grad-Mix in der Krankenpflege. Nicht jede Aufgabe müsste von Pflegefachkräften erledigt werden.

Neuer Tarifvertrag ist notwendig

Akademisch gebildete Pflegekräfte sollen forschen, entwickeln und leisten spezielle pflegerische Maßnahmen. Laufende pflegerische Maßnahmen werden weiterhin von derzeit ausgebildeten Pflegefachkräften wahrgenommen. Hilfstätigkeiten können auch auf Hilfskräfte übertragen werden. Dies betrachtet, zeichnen sich Karrierestufen ab, die allerdings auch eine differenzierte finanzielle Entlohnung erfahren müssen.

Es ist ein Hohn, dass z. B. in NRW gefordert wird, dass die Lehrkräfte an Krankenpflegeschulen ein Studium und einen Masterabschluss in Pflegepädagogik nachweisen. Würde man sich an diesen Vorgaben orientieren, ist diese pädagogische Fachkraft weiterhin nach EG 9 oder EG 10 einzugruppieren. In den meisten Einrichtungen sind Kraftanstrengungen erforderlich, hier einigermaßen adäquate Vergütungen zu erreichen. Dieses Problem setzt sich fort bei allen herausgehobenen pflegerischen Aufgaben, die von sogenannten Spezialisten wahrgenommen werden müssten.

Ein unverantwortliches Trauerspiel ist es aus meiner Sicht, dass trotz dem sich schon lange abzeichnenden Fachkräftemangel in der Pflege die Tarifvertragsparteien nicht von der Rolle kommen. Bereits seit 2007 sollte ein neuer Katalog vorliegen. Ein Tarifvertrag, der nur Aufstieg ermöglicht, wenn man mehr nachgeordnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat, ist nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen transparente Eingruppierungsmerkmale, die die Akademisierung berücksichtigen und sich an den heutigen speziellen Aufgaben orientieren.

Das Paket Pflege muss halten, was es verspricht

Es lassen sich drei Hauptprobleme erkennen:

  1. Überlastung
  2. Keine angemessene Vergütung (außer in der Ausbildung, da ist es aus meiner Sicht eher zu viel)
  3. Geringe Wertschätzung, zum Teil weil Tätigkeiten nicht der Ausbildung entsprechen, auch nicht unbedingt nach Studiengang oder Weiterbildung

Wer glaubt, mit

–    Glanzbroschüren im Sinne von „Wie toll ist die Krankenpflege!“,

–    Filmen, die in die gleiche Richtung gehen oder

–    dem Schwesterchen Linda in Talkshow’s berichten  lassen, wie schön es ist, andern zu helfen,

der ist auf dem Holzweg. Broschüren und ähnliches können nur aufmerksam machen. Wenn aber in dem Paket Pflege letztendlich nicht das drin ist, was auf der Broschüre drauf steht, wird unser Problem in Zukunft größer.

Ich sehe in der Akademisierung aber nicht zuletzt auch durch die Einführung der Pflegekammern (in Rheinland-Pfalz ist ja nun soweit) gute Chancen den Fachkräftemangel zu mindern. Vermeiden können wir ihn wohl nicht.

Auf die Erfahrungen von Pflegekräften kann nicht verzichtet werden

Gemeinsames Ziel muss sein, die richtige Pflegekraft mit der richtigen Qualifikation am richtigen Ort. Ich zitiere aus einer Rede die vor fast 35 Jahren anlässlich der 4. Tagung der BFLK am 19. November 1980, von Karl Hantke Klingenmünster gehalten wurde:

„Das psychiatrische Krankenpflegepersonal hat ein hohes berufliches Fachwissen. Es hat eine über Generationen gesammelte berufliche Erfahrung und inzwischen hat es sogar Lesen und Schreiben gelernt. Es kann sich selbst vorstehen und seine Situation beurteilen. Kann man auf seine Erfahrung überhaupt verzichten?“

Die Entwicklung von der Irrenfürsorge zur Psychiatrie war von Anfang bis heute für die Krankenpflege eh und je ein steiniger Weg. Sie ist immer ein jeweiliger Generationsprozess gewesen. Es wird auch so bleiben. Die BFLK hat im April des kommenden Jahres ihre 40. Tagung. In weiten Teilen könnte man die Rede wieder nutzen.

 

Hintergrundinfos zur Herbsttagung der BAG Anfang November finden Sie hier.

 

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