HIV-positiv und schwul. In Uganda ist das ein doppeltes Stigma und kann ein Todesurteil bedeuten. K. Mse* (41) hält beides seit Jahren geheim. In Gefahr brachte ihn seine politische Arbeit, weswegen er 2012 in die Niederlande flüchtete.
(Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeous;Übersetzung der niederländischen Version: Anna Stein; Foto: Linelle Deunk. Herzlichen Dank an Herausgeber Leo Schenk, an Autor Patrick Faverus und an Linelle Deunk für die Erlaubnis zur Veröffentlichung. )
Sein Gesicht zeigt die Sorgen, sein Körper Zeichen seines Kampfes. Seine Augen brennen feurig. Das ist keine Wut. Es ist die innere Kraft von jemandem, der viel mitgemacht hat. Nach allem, was K. Mse ertragen hat, ist es ein Wunder, dass er seine Menschlichkeit zu bewahren wusste.
„Ich war als Kind sehr ehrgeizig. Ich wollte an jeder politischen Debatte teilnehmen und hatte eine stark entwickelte eigene Meinung. 1987 wurde mein Vater ermordet, als das neue Regime an die Macht kam. Das hatte offensichtlich sehr viel Einfluss auf mich. Wir haben nie herausgefunden, wer für seinen Tod verantwortlich war. Ich weiß nicht, ob das zu meiner Kraft beigetragen hat; sie war einfach da. Meine größte Motivation war, dass ich die Lage der Menschen in Uganda verbessern wollte.“
„Ich möchte mich für diejenigen einsetzen, deren Stimmen nicht gehört werden“
K. Mse studierte Rechtswissenschaften und schloss sich der Demokratischen Partei in Uganda als Aktivist an. Als Anwerber brachte er Gleichgesinnte auf lokaler und nationaler Ebene zusammen. Sein Ziel war es, Parteichef zu werden. Durch diese Position geriet er unmittelbar in Gefahr. „Das schien eine schwere Last für meine Mutter zu sein. Ich brach mein rechtswissenschaftliches Studium ab und begann, Tourismus zu studieren. Ich hatte einen eigenen Bauernhof, verdiente Geld und hatte ein gutes Leben. Ich tat, was ich tun wollte, folgte meiner Leidenschaft und arbeitete mit Menschen zusammen. Es ist immer noch mein Ehrgeiz, mich für die Menschen, die keine Stimme haben, einzusetzen.“
Narben
Je größer die Partei wurde, desto größer wurde die Gefahr. „Ich wurde mehrere Male festgenommen und habe noch mehrere Narben von den Stockschlägen auf meinem Rücken. Trotzdem machte ich weiter. Ich wollte weiterhin für die Unterdrückten kämpfen, aber die Regierung vertrat leider eine andere Denkweise.“
Die Lage in Uganda verschlechterte sich durch das Aufkommen härterer Gegenbewegungen. Als auch seine Ehefrau und seine drei Kinder in Gefahr kamen, wusste er, dass er flüchten musste. „Es eskalierte ziemlich. Die Polizei suchte mich und begann nun auch meine Familie zu bedrohen. Sie wollen dir Schmerzen zufügen. Das erreichen sie nicht nur über dich, sondern auch über deine Familie und Freunde. Meine Ehefrau und Kinder konnten nicht zu Hause bleiben und sind zu den Großeltern geflüchtet.“
„Nicht die HIV-Infektion wird behandelt, sondern nur die Symptome“
2010 erfuhr er, dass er HIV-infiziert ist. Es dauerte allerdings einige Zeit, bis er die Diagnose erhielt. „Die Krankenhäuser sind dort nicht so wie in den Niederlanden. In Uganda sammelt jemand in einer Bauhütte medizinische Geräte und nennt das dann eine Klinik.“
K. Mse bekam einen hartnäckigen Ausschlag. „In Uganda bedeutet Hautausschlag, dass man HIV-infiziert ist und am nächsten Tag stirbt. Nicht die HIV-Infektion wird behandelt, sondern nur die Symptome. In meiner Stadt sterben viele Menschen an Aids, aber das Wort wird nicht erwähnt. Sie sagen, man sei an Tuberkulose oder Lungenentzündung erkrankt.“ Gegen den Ausschlag verschrieb man ihm eine Salbe, aber die schien eine gegenteilige Wirkung zu haben. „Der Ausschlag wurde immer schlimmer und wurde nie wirklich untersucht.“
Gefängnis
K. Mse kämpfte weiterhin für seine politischen Ziele, doch die begannen seinen persönlichen Kampf zu durchkreuzen. „In Uganda ist das Kapital in den Händen einiger weniger Menschen. Ihnen ist die Lage kranker Mitmenschen egal. Es kümmert sie nicht, dass diese Menschen Familie und Freunde haben. Sie denken nur an sich selbst und ignorieren die Rechte der anderen.“
Sein politischer Kampf brachte ihn oft ins Gefängnis. Nachdem er von seiner HIV-Infektion erfahren hatte, wurde die Situation für ihn immer schwieriger. „Sie wussten alles über mich. Auch von meiner HIV-Infektion. Sie erzählten mir, dass sie mich einfach verschwinden lassen könnten. Niemand würde mich vermissen oder Fragen stellen.“
„Die Leute bekommen meist erst dann HIV-Pillen, wenn sie im Sterben liegen“
Auch an Medikamente zu kommen, schien ein Problem zu sein. „Häufig passierte es, dass ich zwar Pillen bekam, dass aber etwas fehlte. Es war schwierig, in die Klinik zu gehen und nach den fehlenden Medikamenten zu fragen – in Uganda macht man das nicht. Der Lieferant der Klinik wurde wegen meiner politischen Arbeit bedroht und gab an, er wolle mir keine Medikamente mehr liefern. Menschen sterben oft wegen des Stigmas. Sie schämen sich und kriegen keine Medikamente oder nehmen sie nicht. Man spricht nicht darüber, und die Leute bekommen meist erst dann HIV-Pillen, wenn sie bereits im Sterben liegen.“
Soziale Kontrolle
Seit zwei Jahren lebt er nun in den Niederlanden und wartet auf seine Aufenthaltsgenehmigung. Er vermisst seine Kinder jeden Tag. Trotzdem hat sein Aufenthalt ihm bereits etwas gebracht. „Ich bin vorher nie richtig untersucht worden, man hat bei mir auch nie eine Blutuntersuchung gemacht. Hier in den Niederlanden hat sich meine Gesundheit erheblich gebessert. In Uganda wäre ich bereits gestorben.“
„Ich hatte eine Frau und Kinder, weil es sich so gehörte“
Er ist immer noch vorsichtig, wenn er über seine Sexualität spricht. „Ich stamme aus einer Kultur, in der über Homosexualität nicht gesprochen wird. Ich musste mich ‚neutral‘ verhalten, um nicht aufzufallen. Die soziale Kontrolle ist groß. Wenn man sich auf eine bestimmte Art und Weise bewegt, sein Haar etwas zu modern schneiden lässt oder eine Zeit lang keine Freundin hat, werden sofort Fragen gestellt. Ich hatte eine Frau und Kinder, weil es sich so gehörte.“
Von einem Bekannten, mit dem er telefonischen Kontakt hat, hört er manchmal, wie es den Kindern geht. „Er weiß nichts von meiner Infektion oder meiner Sexualität. Niemand weiß das. Ich kann darüber auch nicht reden. In Uganda ist das ein absolutes Tabuthema. HIV wird dort sofort mit Homosexualität oder Prostitution in Verbindung gebracht. Als ich in den Niederlanden auf der Suche nach einem afrikanischen Verein war, bemerkte ich, dass es auch da noch sehr viele Vorurteile über Schwule und HIV gibt.“
Zukunft
Das Leben in einem Wohnheim für Asylsuchende fällt K. Mse manchmal schwer. „Man ist hier mit ganzen Familien auf kleinem Raum untergebracht. Die Menschen sind durch das, was sie mitgemacht haben, traumatisiert, und man hat manchmal das Gefühl, dass man wieder eingeschlossen wird.“ Er ist froh, dass er über seinen Hausarzt ein eigenes Zimmer bekommen hat. „So kann ich wenigstens in aller Ruhe meine Medikamente nehmen. Ich möchte nicht, dass mich jemand fragt, wogegen ich all die Pillen nehme.“
Ihm fällt es auch schwer, andere um Geld zu bitten. „Ich habe für nichts Geld. Ich kann noch nicht einmal jemanden zu etwas einladen, wenn mir danach ist. In Uganda habe ich mein Geld einfach ausgegeben und dafür auch schwer gearbeitet. Hier habe ich keine Arbeit. Ich weiß auch nicht, wann ich hier arbeiten oder studieren darf. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich hierbleiben darf. Sich etwas aufzubauen, zum Beispiel eine Beziehung einzugehen, fällt dann schwer.“
„Das Bewusstsein der Menschen in Uganda beginnt sich zu ändern“
K. Mse genießt seinen Aufenthalt in den Niederlanden aber auch. „Die Pride war fantastisch. Die Zusammengehörigkeit und Ausgelassenheit, vor allem strahlte jeder Teilnehmer pures Vergnügen aus. Ich finde es wunderbar, dass die Pride hier wie ein Familienausflug ist.“
Er hat noch viele Pläne und wird nach Uganda zurückkehren, wenn sich die Situation bessert. „Jetzt ist es noch zu früh, aber ich merke, dass sich das Bewusstsein der Menschen in Uganda zu ändern beginnt. Ich möchte immer noch Menschen helfen. Das ist schon immer meine Leidenschaft gewesen. Ich möchte mich immer noch für diejenigen einsetzen, deren Stimmen nicht gehört werden. Aber es ist schwierig, anderen zu helfen, wenn man selbst noch etwas zu verarbeiten hat. Aus diesem Grund erzähle ich meine Geschichte. Damit helfe ich mir selbst und vielleicht auch jemand anderem.“
* Name frei erfunden