„Na, ob wir das wieder hinbekommen?“ flüstert der Zahnarzt unter seinem Mundschutz vor sich hin. Die meisten Patienten reagieren mit einem mehr oder weniger lässigen Schulterzucken. Doch bei Zahnbehandlungsphobikern löst so eine Bemerkung eine Angstspirale aus. Aus dem natürlichen Unbehagen vor dem Zahnarztbesuch wird Angst, die so lähmend sein kann, dass der Patient den nächsten Besuch vermeidet. Und das jahrzehntelang. Lieber schluckt er in rauen Mengen Schmerztabletten, nimmt üblen Mundgeruch in Kauf oder gefährdet seinen Körper mit den sich ansiedelnden Keimen, als sich noch einmal der Herausforderung einer Zahnbehandlung zu stellen.
Immerhin 70 Prozent der Patienten geben zu, sich vor dem Zahnarztbesuch zu fürchten. Doch für zehn Prozent ist der Gedanke an Bohrer und Spritzen unerträglich. Schon das Geräusch des Saugers löst bei ihnen Panik aus. Patienten, die den Zahnarztbesuch aufgrund ihrer Angst systematisch vermeiden, gelten als Zahnbehandlungsphobiker, auch Dentalphobiker oder Odontophobiker genannt. Sie führen ein „Schattendasein“, da sie nie in der Zahnarztpraxis auftauchen. Trotzdem fallen sie auf, denn den schlechten Gesundheitszustand ihrer Zähne können sie auf Dauer nicht verbergen.
Frauen sind besonders betroffen
Der Statistik nach gehören vor allem Frauen zwischen 20 und 40 Jahren zu den Betroffenen. Besonders dann, wenn ihnen der familiäre Rückhalt fehlt oder sie aus einer finanziell benachteiligten Familie stammen. Falls sie sich überwinden können, eine Praxis aufzusuchen, geben sie sich zu erkennen, indem sie als erstes ausführlich darüber beraten werden möchten, welche schmerzstillenden Behandlungsmöglichkeiten der Zahnarzt anbietet. Dass sie so empfindlich auf Schmerz reagieren, hat häufig eine Vorgeschichte.
Eine Spirale aus Schmerz
Unsere Reaktionen auf Schmerz sind vielfältig und, wie unsere Wahrnehmung selbst, erlernt. Schon die Kindheit prägt uns darin, wie wir auf unangenehme Gefühle reagieren – oftmals mit den typischen Angstsignalen: weit aufgerissenen Augen, Blässe und Schweißausbruch, erhöhtem Wärmeempfinden, einer angespannten Muskulatur sowie beschleunigter Atmung. Manchmal führt die Angst auch zu Wutausbrüchen. Wir reagieren so, damit wir uns in extremen Situationen schützen können. Doch diese Reaktionen können auch zum Nachteil werden, wenn sie uns dauerhaft für Schmerzen sensibilisieren. Vor allem, wenn Eltern ihre Angst vor dem Kontrollverlust auf ihre Kinder übertragen.
Im ungünstigsten Fall machen Betroffene dann später eine oder mehrere Schmerzerfahrungen beim Zahnarzt, die sie für immer prägen. Dann beginnt der Teufelskreis: In Extremfällen gehen sie 20 Jahre lang nicht zum Zahnarzt, nehmen regelmäßig Schmerzmittel ein und leiden unter Durchblutungsstörungen bis hin zur Verkalkung der Arterien. Sie schämen sich so sehr für ihre Zähne, dass sich ihr Zahnzustand immer weiter verschlechtert. Nur, weil Sie „den Mund nicht mehr aufkriegen“.
Hilfe für Angstpatienten
Doch die gute Nachricht lautet: Kein Mensch muss heute mehr Schmerzen bei der Behandlung haben. Denn es gibt immer mehr Zahnärzte, die sich auf Angstpatienten spezialisiert haben – so auch in unserer Praxis. Mit vielfältigen Methoden, die im besten Fall so gut zum Patienten passen, dass er praktisch schmerzfrei bleibt. Oder zumindest so gut über den zu erwartenden Schmerz aufgeklärt ist, dass er ihn besser verträgt. Darüber hinaus besteht die Aufgabe des spezialisierten Zahnarztes darin, die schmerzfördernden Symptome seines Angstpatienten zu bekämpfen und die schmerzlindernden zu fördern, beispielsweise indem er ihm in Ruhe die Instrumente erklärt, die er verwendet.
Dämmerschlaf, Vollnarkose und Psychotherapie: Wege aus der Angst
Wenn auch Gespräche nicht helfen, empfiehlt der Zahnarzt eine Betäubung. Welche die richtige für einen Patienten ist, entscheidet sein individuelles Schmerzempfinden. Während eine Vollnarkose etwas für extreme Phobiker und Notfall-Operationen ist, verwenden Zahnärzte häufig Methoden der lokalen Anästhesie, etwa die Infiltrationsanästhesie oder die Leitungsanästhesie.
Die Infiltrationsanästhesie desensibilisiert einen bestimmten Teil des Oberkiefers. Dafür verabreicht der Zahnarzt dem Patienten eine Spritze mit einem Anästhetikum. Das Ergebnis: Die Betäubung ist nicht nur oberflächlich, sondern dringt sogar bis in feine Nervenäste vor. Etwas umfangreicher ist dagegen die Leitungsanästhesie, da sie auch einen Teil der Nerven betäubt, die bei dem Eingriff gar nicht betroffen wären. Der Zahnarzt wendet sie immer dann an, wenn es um den Unterkiefer geht. Wer selbst vor der Betäubungsspritze Angst hat, für den haben sensible Zahnärzte eine geeignete Lösung: die Oberflächenanästhesie. An der Stelle, an der die Spritze später ansetzen soll, betäubt der Zahnarzt die Mundschleimhaut, um sie unempfindlich für den Stich zu machen.
Wer möglichst wenig von der Behandlung mitbekommen möchte, kann auch von einer Analgosedierung beziehungsweise dem Dämmerschlaf profitieren. Er versetzt den Patienten in einen oberflächlichen Schlaf, der jedoch so tief werden kann, dass er sich hinterher nicht mehr an die Operation erinnert. Um dieses Ziel zu erreichen, verabreicht der Zahnarzt nicht nur ein beruhigendes Medikament wie zum Beispiel Ketamin oder Opioide, sondern auch ein Schmerzmittel.
Natürlich können manche Zahnärzte in Zusammenarbeit mit einem Anästhesiespezialisten auch eine Vollnarkose anbieten. Sie ist neben der Analogsedierung immer dann empfehlenswert, wenn der Patient eine Behandlung benötigt, die mit einem besonderen Aufwand verbunden ist – etwa bei Zahnersatzbehandlungen oder chirurgischen Eingriffen. Diese erfordern ein großes Durchhaltevermögen, da der Patient über lange Zeit in derselben Position verharren muss und immer wieder darauf wartet, dass die Betäubung einsetzt. Mit einer Vollnarkose ist es mögliche, mehrere Behandlungstage auf einen einzigen zu reduzieren und den Patienten die Stresssituation zu erleichtern. Moderne Digitaltechniken wie der Intraoralscanner und Keramik-Fräsmaschinenmachen es möglich, dass Zahnersatz bereits an einem Tag ausgemessen, hergestellt und eingesetzt werden kann. Allerdings wird damit nur das Symptom geschickt ausgeschaltet und nicht das eigentliche (psychische) Übel an der Wurzel gepackt.
Therapeutische Hilfe suchen
Der Teil der Patienten, bei dem die Phobie tatsächlich krankhaft ist, tut gut daran, sich vom Spezialisten helfen zu lassen. Denn meistens leiden Phobiker nicht nur unter der Angst vor der Zahnbehandlung, sondern auch unter Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen. Ihnen hilft die kognitive Verhaltenstherapie. In drei Sitzungen, die die Krankenkasse in der Regel bezahlt, bereitet sie ein Psychotherapeut auf die Behandlung vor. Dabei lernen sie zum Beispiel Entspannungstechniken kennen, um mit der Angst besser umgehen zu können. Außerdem ist es hilfreich, für den Notfall ein Zeichen mit dem Arzt auszumachen, damit er die Behandlung wenn nötig unterbricht.
Sanfte Alternativen gegen die Angst
Bei leichten Fällen reicht es schon, sich mit Musik oder einem Video abzulenken. Besonders Kinder profitieren von dieser Methode. Einen Versuch wert ist auch die Hypnose. Ärzte empfehlen zwar, sie vorsichtshalber immer nur im Zusammenhang mit einem Betäubungsmittel einzusetzen. Bei Patienten, die offen für alternative Heilmethoden sind, wirkt sie aber mitunter auch ohne. Denn sie schaltet genau den Bereich des Gehirns ab, der den Körper sonst intuitiv in Angst versetzt.
Fazit: Vier Tipps für Angstpatienten
Wenn Sie diese Tipps beherzigen, fällt Ihnen der nächste Zahnarztbesuch bestimmt leichter:
1. Suchen Sie einen Zahnarzt, der auf Zahnbehandlungsphobie spezialisiert ist.
2. Bitten Sie telefonisch um einen Termin, in dem es ausschließlich um ein Erstgespräch geht. Sagen Sie offen, dass Sie ein Angstpatient sind. Bitten Sie den Arzt, Ihnen die Behandlung ausführlich zu erklären und Sie über die zu erwartenden Schmerzen in Kenntnis zu setzen. Fragen Sie auch, wie sich die Schmerzen in Ihrem Fall am besten beherrschen lassen.
3. Legen Sie einen Behandlungsplan mit Ihrem Zahnarzt fest und vereinbaren Sie vor der ersten Sitzung ein Signal, mit dem Sie die Behandlung unterbrechen können.
4. Sollte die Behandlung so dringend sein, dass eine Psychotherapie im Vorfeld nicht möglich ist, ist es hilfreich, wenn Ihr Arzt moderne Methoden wie „Zahnersatz an einem Tag“ anbietet.