Ein Bericht von Dr. Christoph Niederberger über seinen Einsatz in Manila/Philippinen
Mein dritter Einsatz mit den German Doctors führte mich im November / Dezember 2014 auf die Philippinen – nach Manila und Mindoro. Während in der Mega-Metropole Manila Bewohner in den Slum-artigen Armensiedlungen betreut werden, sind es auf Mindoro die weit abgelegenen bergigen Gebiete der Mangyans, die durch die German Doctors medizinische Hilfe erhalten. Obschon die Gegensätze zwischen diesen beiden Einsatzgebieten nicht größer sein könnten, so begegnet man doch überall demselben: Menschen, die in bitterster Armut gerade knapp überleben können, uns Fremden gegenüber stets freundlich, offen und herzlich sind und dankbar für die Hilfe, die sie erhalten. Vor allem diese Begegnungen mit den Leuten, die unter so anderen Bedingungen als wir leben, machen diese Einsätze so spannend, herausfordernd und auch sinnvoll.
Drei Beispiele solcher Begegnungen:
Camia, 10-jährig, kommt in einer Armensiedlung von Manila zur Konsultation, da sie seit Tagen ihre Hände nicht mehr gebrauchen kann. Diese sind aufgeschwollen, stark schmerzhaft und an mehreren Stellen drückt Eiter durch die Haut. Seit 2 Tagen ist sie fiebrig und apathisch. Ein Blick auf die Hände der Mutter bestätigt, dass es sich um Krätze (Skabies) handeln dürfte, da auch die Hände der Mutter auf diese hier weit verbreitete Hautinfektion hindeuten. Bei Camia hingegen nimmt das ganze einen ungewöhnlich schweren Verlauf durch die aufgepfropfte bakterielle Infektion. Nun kommen einem die Vorbereitungsseminare und das Bluebook der German Doctors zugute, da man von zuhause ja kaum mehr Erfahrung in der Behandlung dieser Infektion hat. Zuerst gilt es die bakterielle Fieber-verursachende Infektion zu behandeln, bevor der eigentlichen Ursache, der Krätzmilbe zu Leibe gerückt werden kann. Erfreulicherweise geht es Camia bei der nächsten Kontrolle nach einer Woche Behandlung schon viel besser, sie ist fieberfrei, sehr dankbar, dass sie ihre Hände im Alltag wieder gebrauchen kann, doch stört noch der starke Juckreiz der zugrundeliegenden Krätze. Nun gilt es die gesamte Familie von Camia, die alle davon betroffen sind zu behandeln, damit es nicht erneut zu derartigen Komplikationen wie es Camia erlebte, kommen kann.
Szenenwechsel: Payatas, der Stadtteil von Quezon/Manila, in welchem der gesamte Müll von Quezon, täglich 7000 Tonnen, deponiert wird. Tausende leben hier am Rande der Müllberge und verdienen ihren Lebensunterhalt durch das sammeln und sortieren des Mülls. Auch hier betreiben die German Doctors ein kleines Health Center als medizinische Anlaufstelle. Eine Mutter bringt die kleine Melody, knapp 4-jährig, 8,8 kg leicht, die zunehmend apathisch werde, immer dickere Beine und einen dickeren Bauch kriege und kaum mehr essen möge, zu uns. Es zeigt sich das Vollbild einer schweren Mangelernährung in Form von Kwashiorkor.
Alle Versuche, der Mutter verständlich zu machen, dass das Kind in einer stationären Mal-Nutrition Abteilung behandelt werden sollte, da es vital gefährdet sei, scheitern. Sowohl sie wie ihr Mann arbeiten im Schichtbetrieb abwechselnd in den Mülldeponien und verdienen so zusammen 3 US$ / Tag. Das reicht gerade, um die 7-köpfige Familie knapp zu ernähren. Wenn einer der beiden Elternteile mit Melody Wochenlang im Krankenhaus weilen muss und in dieser Zeit nicht arbeiten kann, reicht es finanziell auch nicht mehr, die übrigen Kinder einigermaßen ernähren zu können. Auch keine Verwandten oder Nachbarn könnten als Begleitperson die kleine Melody im Krankenhaus betreuen. Um uns ihre Situation klar zu machen, lädt uns die Mutter zu einem Hausbesuch nach der Sprechstunde ein.
Dabei wird uns das schier unvorstellbare Ausmaß der schwierigen Lebenssituation von Melodys Familie bewusst: Sieben Personen leben in einem knapp 3 x 3 m großen Raum, inmitten des am Tag gesammelten Mülls, kein fliessendes Wasser, kein Zugang zu einer Toilette, eine gemeinsame Schlafstätte für alle 7 Personen. Es bleibt schliesslich nichts anderes übrig als zu akzeptieren, dass die erforderliche notwendige Betreuung von Melody auf einer Mal-Nutrition-Abteilung unmöglich ist. Wir entscheiden uns, zu versuchen mit all den uns zur Verfügung stehenden Mitteln, dem Nahrungszusatz Plumpy‘nut, Vitaminsubstitution und Behandlung allfälliger Infekte und Entwurmung sowie engmaschiger Kontrollen, Melody zu retten … mit ungewissem Ausgang !
Szenenwechsel: Mindoro: paradiesisch hügelig – bergige Landschaft, saubere Flüsse, weitgehend unberührte Natur ! In dieser Gegend leben meist sehr abgelegen die Mangyans, Stämme der philippinischen Urbevölkerung, die kaum Kontakt zur „Außenwelt“ haben und eigene Sprachen und Schrift pflegen. Nur durch die Rolling Clinics der German Doctors erhalten sie Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung.
Eine alte Mangyan – Frau, traditionell gekleidet mit dem einzig aus Baumrinde hergestellten Kleidungsstück kommt wegen eines zunehmend geschwollenen und geröteten Fusses zu uns. Nur mit Mühe kann sie noch drauf stehen. Es findet sich direkt hinter den Zehen ein Abszess und bereits eine kleine Inzision lässt einen über 2 cm langen Holzspriessen hervortreten. Die Mangyan-Frau ist darüber sehr erstaunt, da ihr keine Verletzung bewusst war. Vor allem aber ist sie äusserst dankbar, da sie es bereits in der eigenen Familie erlebt hat, dass man an den Folgen einer anfänglich banalen Fussverletzung sterben kann. Um ihrer Dankbarkeit für die Behandlung Ausdruck zu verleihen, anerbietet sie sich, dem begleitenden Zahnarzt und mir die Zukunft aus den Handlinien voraus zu sagen! Uns soll offensichtlich noch ein langes und glückliches Leben bevorstehen…
Solche Begegnungen, verbunden mit dem Gefühl etwas Sinnvolles zu leisten, machen diese Einsätze mit den German Doctors immer wieder zu einer grossartigen und berührenden Erfahrung. Ich freue mich bereits auf den nächsten Einsatz.
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