30 Jahre war Prof. Dr. Elisabeth Pott Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Bernd Aretz sprach mit ihr über gesellschaftliche Akzeptanz für Kondome, vom Mainstream abweichende Lebensentwürfe und erfolgreiche Prävention.
Anfang Februar wurde Elisabeth Pott mit einem Symposion in andere Aufgabenbereiche verabschiedet. Bei der Veranstaltung in Köln wurden viele Felder ihrer Tätigkeit angerissen: Da ging es darum, körperliche Aktivitäten von Kindern zu fördern, um Sexualkunde, Alkoholmissbrauch und Gebrauchskultur und um die Bedürfnisse der Alten. Ein Schwerpunkt war die HIV-Prävention, und so ist es ganz passend, dass sie jetzt neben vielen Arbeitskreisen, in denen sie nicht aufgrund ihrer Funktion, sondern des Sachverstandes ehrenamtlich eingebunden ist, und neben ihrer Lehrtätigkeit an der medizinischen Hochschule Hannover als Vorsitzende in den Vorstand der Deutschen AIDS-Stiftung berufen wurde. Die „Drohung“ der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) „Wussten Sie eigentlich? So leicht werden Sie uns nicht los!“ gilt also erfreulicherweise wechselseitig: Der jahrzehntelange Dialog mit ihr wird fortgesetzt.
Frau Professorin Pott, wenn in der Bahn oder dem Flieger nach einer Ärztin gesucht wird, melden Sie sich dann noch?
„Wir haben das Kondom gesellschaftsfähig gemacht“
Selbstverständlich. Ich habe ja breit in die Medizin geschaut. Gerichtsmedizin, Chirurgie, öffentlicher Gesundheitsdienst und Psychiatrie gehörten schwerpunktmäßig auch dazu. Natürlich bin ich noch Ärztin und werde es ein Leben lang bleiben. Das hat meinen Blick auf die Nöte der Menschen geschärft.
Sie haben – ich glaube nur bedingt scherzhaft – erklärt: „Prävention wirkt, wenn die BZgA sie macht, natürlich mit ihren Kooperationspartnern.“ Bei HIV hat das zusammen mit der DAH wunderbar funktioniert, was man den niedrigen Infektionsraten entnehmen kann.
Das ging aber nur, weil wir eine Arbeitsteilung hatten. Wir haben mit einer umfassenden Aufklärungskampagne – bekannt sind besonders die Fernsehspots – Schutzverhalten gefördert und Ausgrenzung im sozialen Alltag entgegengewirkt. Die BZgA hat in Zusammenarbeit unter anderem mit dem Fachverband Außenwerbung das Kondom gesellschaftsfähig gemacht. Das alles begann ja in einem Klima, in dem das keinesfalls selbstverständlich war. Wir waren weltweit die erste staatliche Einrichtung, die so etwas machte. Uns war klar, es ist ein ungeliebtes Thema mit vielen Vorbehalten. Wir müssen Politik und Gesellschaft mitnehmen. Das hieß, dass wir es schrittweise und verhältnismäßig brav angingen. Wir mussten verhindern, dass ein öffentlicher Entrüstungssturm unsere Möglichkeiten beschnitt. Erst war es das flache, eingepackte Kondom. Nachdem das gesellschaftlich akzeptiert war, kam die Kampagne mit den abgerollten Kondomen über Obst und Gemüse. Später haben wir dann auch sexuelle Orte zeigen können. Gleichzeitig hat die DAH hoch spezifisch für ihre Gruppen gearbeitet, die männerliebenden Männer, die Drogengebraucher_innen und zunehmend die Migrant_innen.
Ein Problem erfolgreicher Prävention ist ja, dass die Notwendigkeit, sie fortzuführen, scheinbar abnimmt.
„Prävention ist billiger als Behandlung“
Das ist eine verbreitete trügerische Vorstellung. Wir müssen die schon aufgeklärten Menschen dauerhaft in ihrem Schutzverhalten bestärken und jede nachrückende Generation befähigen, auf die Risiken des Liebeslebens eine für sie angemessene Antwort zu finden. Das bekommt den Menschen, weil sie weniger unter den Einschränkungen von Krankheit zu leiden haben, und das bekommt der Gesellschaft, weil Prävention billiger ist als die Behandlung. Da müssen wir neben HIV auch die anderen sexuell oder durch Blut übertragbaren Infektionen in den Blick nehmen. Das wird zurzeit besonders deutlich bei den Behandlungskosten für Hepatitis C. Bei der HIV-Prävention – wie auch bei allen Suchterkrankungen und psychischen Beeinträchtigungen – müssen wir uns auch weiterhin mit Fragen der Diskriminierung im Gesundheitswesen und im Arbeitsleben beschäftigen und natürlich auch mit der Stigmatisierung vom Mainstream abweichender Lebensentwürfe.
Ihre Vorgängerin im Amt, Dr. Ute Canaris, berichtete von der Irritation mancher Mitarbeiter_innen, dass schwule Männer auftauchten und erklärten, sie bräuchten Geld und könnten die Prävention in ihren Gruppen besser gestalten und organisieren als staatliche Stellen. Das war zwei Jahre vor der Verabschiedung der Ottawa-Charta, die ausdrücklich auf Partizipation setzt. Frau Canaris machte ihnen klar, dass sie einen bundesweiten Dachverband als Ansprechpartner brauche, aber selbstverständlich gerne bereit sei, mit ihnen zusammenzuarbeiten.
Ich hatte es dann schon einfacher und konnte den Vorstand der DAH einladen. Für mich war nie die sexuelle Orientierung von Bedeutung, sondern die Frage, ob der Mensch gegenüber ein ernsthafter und ernst zu nehmender Gesprächspartner ist. Aus den frühen Zeiten erinnere ich mich besonders gern an Ian Schäfer und Hans Peter Hauschild. Der eine im Anzug, der andere in Leder, hatten beide eine große Kompetenz in gesundheitspolitischen Fragen. Meine Erfahrungen mit den Vorständen der DAH sind so, dass alle ein hohes Maß an Engagement mitbrachten. Ich bin da sehr klugen Menschen begegnet, und heute sehe ich die DAH mit einer kompetenten Leitung aus Vorstand und Geschäftsführung auf einem guten, notwendigerweise professionellen Weg.
Aufklärung hat viele Ängste abgebaut
Gemeinsam sind wir und ist die Gesellschaft sehr weit gekommen. So gibt es inzwischen in allen Bundesländern Richtlinien für Sexualkundeunterricht. Es ist grundsätzlich akzeptiert, dass in der Schule über Sexualität gesprochen wird. Wir haben keine Kritik zur Kondomkampagne mehr, auch nicht mehr von der Kirche. Der Umgang mit gleichgeschlechtlichen Lebensweisen hat sich radikal verändert. Das ist ein Erfolg der Aufklärung. Da sind viele Ängste abgebaut worden.
Lässt sich das auf die Drogenpolitik übertragen? Wenn wir sehen, in welchem Maße Jugendliche Cannabis oder viel problematischere Stoffe wie „Badesalz“ konsumieren, wäre ein Paradigmenwechsel notwendig, um eine bewusste Gebrauchskultur fördern zu können.
Die Psychiatrien berichten von Jugendlichen mit exzessivem Cannabiskonsum und erheblichen psychiatrischen Problemen. Ein ursächlicher Zusammenhang wird bei entsprechender Intensität des Konsums und einer Prädisposition heute angenommen. Wenn man über eine Lockerung der Prohibition nachdenkt, dann muss man berücksichtigen, dass aktuell legale Drogen wie Alkohol und Tabak in Deutschland wesentlich weiter verbreitet sind. Hierzu werden zum Beispiel umgekehrt Einschränkungen des Zugangs diskutiert. Deshalb müssen alle Auswirkungen sorgfältig abgewogen werden. Auf keinen Fall dürfen Regelungen getroffen werden, die die Gesundheit junger Menschen zusätzlich gefährden. Im Zweifel müsste das von umfassenden Aufklärungskampagnen begleitet werden.
Auf der Ebene der Schmerztherapie scheint ja doch etwas in Bewegung zu kommen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Frau Mortler, und Gesundheitsminister Gröhe haben eine Gesetzesänderung angekündigt. In der Praxis wird Cannabis unter der Hand ja schon seit Jahren eingesetzt oder angeraten. Der Widerstand dagegen ist angesichts des Suchtpotenzials mancher pharmazeutischer Erzeugnisse nicht nachvollziehbar.
„An Drogen können Menschen Ängste festmachen“
Bei der Drogenpolitik haben wir schon immer eine unübersichtliche Gemengelage gehabt. Die Diskussion um Suchtmittel wird nur bedingt rational geführt. Das hat auch mit Ängsten zu tun. Wir unterschätzen, mit wie vielen diffusen Ängsten Menschen leben. An Drogen können sie ihre Ängste festmachen. Dem trägt naturgemäß auch die Politik Rechnung. Man muss darauf hinarbeiten, dass die Diskussion so sachlich wie möglich und nötig geführt wird. Jedenfalls: Mit Verboten setzt der Staat ein Signal, dass der Gebrauch gesundheitsschädlich ist. Das ist ja auch nicht falsch. Eine Aufhebung von Verboten darf kein falsches Signal setzen. Angesichts des tatsächlichen Drogengebrauchs gibt es jedoch keinen Zweifel, dass wir einen öffentlichen Diskurs über Drogen und Gebrauchskultur führen müssen, wenn wir Verbesserungen erreichen wollen. Dazu bedarf es eines politischen Willens und umfassender Aufklärung.
Zurzeit ist in Köln breit „Keine Kurzen für Kurze“ plakatiert. Alkopops sind, nachdem die Politik darauf reagiert hat, aus der Diskussion praktisch verschwunden.
Ich habe es immer als Aufgabe der BZgA angesehen, relevante Gesundheitsthemen in die Öffentlichkeit zu bringen. Beim Alkohol ist es uns bei jungen Leuten gelungen, den Dialog zu eröffnen. Dazu haben wir die Aufklärungs-Kampagne „Kenn Dein Limit“. Das hat gewirkt. Alkoholmissbrauch ist bei Jugendlichen deutlich zurückgegangen. Uns fehlt allerdings eine entsprechende Ansprache an Erwachsene, die wegen deren Vorbildfunktion wünschenswert wäre. Auch alte Menschen müssen angesprochen werden. Sie werden langsam als Zielgruppe wahrgenommen. Realistisch muss man allerdings sagen, dass dort Kampagnen nur wirken können, wenn man auch an die Ursachen wie Vereinsamung, Isolation, Armut und unzureichende soziale Unterstützung im Pflegefall herankommt. Es bleibt das unvermeidliche Problem der Finanzierung und der personellen Ressourcen, das uns immer wieder zwingt, Prioritäten zu setzen. Dieses Problem kennt wohl jeder, der in Sachen Prävention unterwegs ist.
Das heißt aber doch, dass man nicht umhinkommt, seine Arbeit auf ausgewählte Problemfelder zu konzentrieren.
Es ist eine Frage der Hartnäckigkeit der Akteure, des politischen Willens und der finanziellen Möglichkeiten.
Frau Pott, ich danke Ihnen für das Gespräch – und für die DAH für dreißig Jahre faire und erfolgreiche Zusammenarbeit.