Aus den Reihen der Young Lions Gesundheitsparlamentarier werden derzeit zwei Nachwuchsforscher mit zahlreichen Preisen versehen: Tobias Güra und Dr. Carsten Mahrenholz entwickeln zusammen mit den beiden Wissenschaftlern Dr. René Bussiahn und Stephan Krafczyk eine medizinische Weltneuheit für die Wundbehandlung. Coldplasmatech heißt das Unternehmen, das die vier im Umfeld des Leibniz-Instituts für Plasmaforschung und Technologie e.V. in Greifswald gründen werden.
Basierend auf den Bedürfnissen von Patienten, Ärzten und Pflegepersonal entwickelt das Team von Coldplasmatech mit den Experten dieser europaweit führenden Einrichtung für Plasmatechnologie ein Medizinprodukt, das die Wundbehandlung schwer heilbarer Wunden revolutionieren kann. Schätzungsweise 4,2 Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an chronisch offenen Wunden. Das Team arbeitet an einer Wundauflage, die mit kaltem physikalischem Plasma diese Hauterkrankungen erfolgreich therapieren soll. Mitte 2015 soll sie auf den Markt kommen – Lob gibt es aber schon jetzt zuhauf.
Zuerst einmal Herzlichen Glückwunsch zu eurem Erfolg! Worum handelt es sich bei eurer Erfindung eigentlich genau?
Tobias: Vielen Dank! Jeder hatte in seinem Leben ja schon einmal eine Verletzung, sei es im Kindesalter oder aber durch einen Unfall bzw. Unachtsamkeit im Haushalt. Wenn man jung und vital ist, heilen diese Hautverletzungen in der Regel schnell ab. Dieser natürliche Regenerationsprozess des Körpers wird jedoch mit zunehmendem Alter schwächer oder aufgrund einer Erkrankung gestört. Dieser Zustand zeigt sich bei unserer stetig alternden Gesellschaft in Pflegeheimen, Kliniken oder aber auch verstärkt bei den niedergelassenen Ärzten sowie Pflegediensten und Podologen. Du hast es ja bereits erwähnt – allein in Deutschland haben über 4 Millionen Menschen mit den Folgen einer chronischen Wundheilungsstörung zu kämpfen. Ich kenne das Problem selbst aus meinem familiären Umfeld.
Carsten: Oftmals sind diese Patienten in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt oder immobil und somit auf fremde Hilfe angewiesen. Die Behandlung eines Dekubitus am Rücken oder Unterschenkel kann sich über mehrere Monate bis Jahre hinziehen. In sehr vielen Fällen heilen die Wunden jedoch gar nicht mehr. Dies stellt nicht nur für die Patienten eine hohe physische aber auch seelische Belastung dar. Die Belastungen für unser Gesundheitssystem werden, wie sich jeder denken kann, auch hier zunehmen.
Tobias: Unser Ansatz beginnt abseits von Pflastern, Hydroauflagen und traditionellen Wundverbänden. Wir machen uns einen physikalischen Effekt der Materie zu Nutze, der als vierter Aggregatzustand bezeichnet wird. Kaltes physikalisches Plasma ist bereits seit Jahrhunderten der Wissenschaft bekannt, wird jedoch erst durch eine intensive Grundlagenforschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend für neue Behandlungsmethoden in der Medizin entdeckt.

Carsten: Unsere Technologie wird in Form einer Wundauflage ein homogenes Plasma im gesamten Wundbereich applizieren und dabei bis in tiefe zerklüftete Wundarchitekturen wirken können. Somit bringen wir die vielen positiven Wirkkomponenten der Niedertemperaturplasmen direkt an den Entzündungsort der Wunde.
Wie seid ihr darauf gekommen, dass es bei chronischen Wunden diese Marktlücke gibt?
Tobias: Wer einen pflegenden Beruf ausübt kennt die Fülle an diversen Therapieansätzen, Produktvarianten und Leitlinien die das Wundmanagement bietet. Allerdings existieren auch viele an sich solitär angewendeten Verfahren, die in vielen Fällen nur noch eine stabilisierende Wirkung haben und somit den Krankheitsverlauf zwar aufhalten, aber nicht zu einem kompletten Wundverschluss führen. Bei den Diabetikern sehen wir in den letzten Jahren eine steigende Amputationsrate beim Diabetischen Fußsyndrom, aber auch viele verzweifelte Leistungserbringer, die mit ihren Patienten nicht mehr weiter wissen.
Carsten: Die Idee, mit einer Wundauflage ein kaltes physikalisches Plasma im großflächigen Wundbereich zu erzeugen, kam von Prof. Weltmann und Dr. Häckel. Sie waren für die Forschung bzw. Entwicklung von Plasmaquellen am INP resp. in der neoplas GmbH verantwortlich. Die vorhandenen Plasmageräte waren eher für kleinere Hautareale geeignet. Es fehlte also eine flexible und preisgünstige Lösung. Und natürlich fehlte auch ein Team, welches sich dieser Idee zur Umsetzung annahm. Hier kamen wir ins Spiel.
Tobias: Umso mehr sehen wir es auch als unseren persönlichen Auftrag diese Technologie in den Markt und dann zu den Patienten zu bringen. Es gibt ja bereits einige zugelassene Medizinprodukte, die mit kaltem Plasma arbeiten. Ein innovatives Produkt aus unserem Hause, der kINPen MED, ist bereits seit 2013 zugelassen und zeigt sehr gute Behandlungsergebnisse, insbesondere bei aussichtslosen Fällen. Es handelt sich jedoch um eine punktförmige Plasmaquelle, die wie ein Stift mit der Hand über die Wundoberfläche geführt werden muss und daher für großflächige Hautareale zeitaufwändig in der Anwendung ist. Wir bieten neben diesen topischen Lösungen einen großflächigen Ansatz, der auch von Ärzten und den angegliederten Heilberufen gefordert wird. Daneben legen wir großen Wert auf Design und Handling, also die klassischen Business Development Prämissen bei innovativen Produkten.
Was ist die Motivation dahinter? Wieso setzt ihr euch für dieses Thema ein?
Carsten: Tobias hat es ja schon angedeutet. Wir haben hier nicht nur ein nationales, sondern globales Problem. Wenn es uns gelingt die vielen Herausforderungen und Hürden zu meistern, können wir hier wirklich einen gesellschaftsrelevanten Beitrag leisten und der noch jungen Plasmamedizin ein weiteres revolutionäres Produkt zur Verfügung stellen. Wir sehen den Bedarf ja in unserem unmittelbaren Umfeld hier in Greifswald. Es gilt jedoch auch die Fachgesellschaften von der neuen Technologie zu überzeugen, dies ist aber bei jedem neuen Therapieansatz der Fall.
Tobias: Hier helfen uns auch das weltweit hervorragende Renommee des INPs und die steigende Wahrnehmung der Plasmamedizin. Deutlich wird dies durch die erste Professur für Plasmamedizin an der Universität Greifswald. Herr Professor von Woedtke, der aus unserem Hause kommt, leistet hier einen wichtigen Beitrag für Medizin und die angrenzenden Wissenschaften. Diese Vorreiterstellung des Standortes Greifswald möchten wir durch unsere Ausgründung untermauern.
Carsten: Bei unseren zahlreichen Ärzte- und Patientenbefragungen konnten wir hautnah miterleben, welches Leid eine chronische Wunde verursacht. Wir haben die Chance, vielen Menschen zu helfen – das motiviert das ganze Team zur Höchstleistung.
Ihr sagt: “Genauso wichtig ist aber auch das Team, denn trotz der vielen Arbeit und der hohen Herausforderungen haben wir eine gemeinsame Vision, viel Spaß und verstehen uns gut.” Wie habt ihr euch kennen gelernt? Wie seid ihr als Team zusammen gewachsen?
Tobias: René, unser „Oldie“ (grins) im Team, arbeitet glaube ich ja bereits seit seinem Physikstudium in Greifswald hier im Hause, hat dort promoviert und sich bezüglich Plasmaquellenbau einen Namen gemacht. Stephan ist auf ähnlichem Wege parallel zu seinem Maschinenbaustudium mit dem INP in Kontakt gekommen und hat seitdem viele Erfahrungen bei Plasma Applikatoren sammeln können.
Carsten war im Vorfeld als Berater für die Charité tätig und wurde dann gefragt, ob er die Leitung des Teams übernimmt. Und ich habe neben meinem Studium in Köln in Kliniken und wissenschaftlichen Instituten gearbeitet bis ich über Rostock dann durch einen Headhunter nach Greifswald, meiner Geburtsstadt, den Weg zurück zum heimischen Wasserloch gefunden habe.
Carsten: Stephan unser Entwicklungsingenieur und René als Plasmaphysiker sind ja unsere beiden Säulen für Produktentwicklung und wissenschaftliche Expertise. Darauf prallen natürlich mit Tobias als Medizinökonom/BWler und mir als Biologen, Chemiker und Wirtschaftswissenschaftler mehrere Welten, die auf den ersten Blick nicht immer kompatibel sind. Doch das ist, denke ich, auch ein Grund für unseren bisherigen Erfolg: eine wirklich breit gestreute fachliche Expertise die wir bei den vielen unterschiedlichen Aufgaben benötigen. Außerdem herrscht bei uns eine gute und lockere Stimmung. Wir haben viel Spaß bei der Arbeit und können uns immer wieder gegenseitig ergänzen weil unsere Aufgaben so vielseitig gestaltet sind, dass gemeinsame Brainstormings unerlässlich sind. Wir wachsen ständig: An unseren Aufgaben und aneinander.
Was hat am meisten Spaß gemacht? Gibt es eine lustige Anekdote?
Tobias: Neben der Arbeit ist natürlich auch der fachliche Input den man erhält wirklich beachtlich. Man erfährt viel über Elektronik, Physik, Chemie, Biologie aber auch Zulassung und klinische Praxis. Ich persönlich habe Physik nach der 10ten Klasse abgewählt und bin aber immer fasziniert wie spannend Naturwissenschaften in der Anwendung dann doch sein können. Für uns als Team ist es natürlich angenehm auf die vielen Preisverleihungen und die damit einhergehenden Veranstaltungen geladen zu werden. Aber auch unser Status im Haus ist nicht mit dem eines klassischen Wissenschaftlers vergleichbar. Ganz davon abgesehen halten wir viel von einer offenen Arbeitsatmosphäre. Carsten und ich arbeiten oft bis spät in die Nacht um Deadlines einzuhalten, da braucht man einen Ausgleich…ich sage nur Wii- zocken im Konferenzraum mit Panoramablick.
Carsten: Erstaunlich ist auch, dass sich unser Engagement wirklich auszahlt und wahrgenommen wird. Bei einem Meeting mit einem großen Konzern haben wir gesagt bekommen, dass unser Wissensstand über Markt und Business dem ebenbürtig ist, was sich eine ganze Abteilung dort über mehrere Jahre angeeignet hat. Das ist natürlich eine schöne Bestätigung für uns.
Wie verteilt ihr die Aufgaben?
Carsten: Wie bereits erwähnt, sind wir im Team mit einer breiten Expertise und Fähigkeiten aufgestellt. Die anfallenden Aufgaben kann man grob in Entwicklung, Forschung, Unternehmensentwicklung und Organisation unterteilen. Stephan und René sind bei uns für die konkrete Produktentwicklung und -ausgestaltung zuständig, während Tobias und ich uns um alle betriebswirtschaftlichen Aspekte kümmern. Mittlerweile haben wir allerdings gelernt, dass die Grenzen zwischen den Aufgabengebieten unscharf sind. Eine Entwicklung kann nicht ohne einen geschulten Marktblick und eine Bedarfsanalyse erfolgen, genauso wie eine Wettbewerbsanalyse nur mit dem notwendigen technologischen Know-How sinnvoll bewertet werden kann.
Tobias: Das ist das erstaunliche an unserem Team. Auch wenn wir klar definierte Aufgaben haben, arbeiten wir Hand in Hand zusammen und ergänzen uns. Sei es, dass wir uns regelmäßig treffen um die Entwicklung zu besprechen oder eine geeignete Markteintrittsstrategie zu entwickeln. Wir arbeiten im Team und jeder kann sich auf den anderen verlassen.
Montags und Freitags trefft ihr euch um „quer zu denken“. Was genau bedeutet das?
Tobias: Das schlimmste, was uns passieren kann, ist eine rosa-rote Gründerbrille auf der Nase zu haben, die uns von den eigenen Schwachstellen ablenkt. Wir hinterfragen uns gegenseitig und gleichen unseren Weg ständig mit der Realität ab, um auf alle Eventualitäten gefasst zu sein.
Carsten: „Quer denken“ bedeutet für uns auch für unkonventionelle Ansätze offen zu sein. Wenn wir uns gegenseitig reflektieren oder Lösungen vorschlagen, kommen für wissenschaftliche aber auch wirtschaftliche Probleme, denen wir uns tagtäglich stellen müssen, durchaus sehr kreative Ansätze zum Vorschein, an die man selbst nicht gedacht hätte. Anders sein als die Anderen muss kein Nachteil sein – Im Gegenteil.
Wird Coldplasmatech im Leibniz-Institut angesiedelt bleiben?
Carsten: Das Leibniz-Institut bietet uns viele Möglichkeiten und ein hervorragendes Entwicklungsumfeld. Wir haben die Pioniere der Plasmamedizin und international renommierte Wissenschaftler, wie Professor Weltmann im Haus, ohne die wir heute nicht da wären, wo wir sind. Ein solches Umfeld kann man sich als Unternehmensgründer nur wünschen. Von einer engen Kooperation profitieren wir kurz-, mittel- und langfristig.
Tobias: Auch räumlich planen wir nach der Ausgründung eine große Nähe zum Institut und zu Greifswald zu behalten. Als Entwicklungsstandort können wir uns keinen besseren Platz auf der Welt vorstellen. Eine enge Kooperation zur Weiterentwicklung unseres Produktes ist geplant. Weitere Vertriebsstandorte sind zusätzlich in strategisch wichtigen Regionen Deutschlands angedacht.
Was ist die größte Hürde auf dem Weg, Coldplasmatech auf den Markt zu bringen?
Carsten: Wie bei jedem Medizinprodukt sehe ich die Zulassung als eine große Hürde an. Es gibt viele technische Aspekte, die es zu berücksichtigen gibt. Wir haben jedoch tatkräftige Unterstützung und bereiten uns akribisch auf die Termine vor.
Tobias: Eine weitere Herausforderung wird es sein, die neue Technologie des kalten Plasmas in den Markt einzuführen. Bis dato ist diese Form der Wundheilung und Desinfizierung nur vereinzelt in den Köpfen der Ärzte und Patienten angekommen. Nach erfolgter Zulassung wird hier unser Hauptaugenmerk liegen.
Ihr habt mehrere Preise gewonnen. Wie werdet ihr das Preisgeld investieren (Forschung / Vermarktung…)?
Tobias: Das Preisgeld dient als Einlage für unser Unternehmen. Damit können wir es da verwenden, wo wir es brauchen. Viel wichtiger als das Geld ist jedoch der damit verbundene Zugang zu Netzwerken und Pressearbeit, die wir als junges Spin-Off dringend benötigen.
Wollt ihr Coldplasmatech nur auf den deutschen Markt bringen oder international? Gibt es dabei besondere Herausforderungen?
Tobias: Zunächst werden wir mit dem Plasma-Cube und den –Patches an den deutschen Markt gehen und von dort weitere Märkte erschließen. Jede Erschließung ist eine logistische und zulassungstechnische Herausforderung. Besondere Hindernisse sehe ich allerdings nicht, weil das Bedarf nach unserer Technologie über die Landesgrenzen hinaus gegeben ist.
Es gibt schon Ansätze, Blutgefäße, Organe und Haut zu drucken. Habt ihr euch schon mit solchen innovativen Produktionstechniken beschäftigt?
Carsten: Wir halten uns in Sachen Medizin ständig up to date und beobachten Innovationen am Markt. Wir leiten aus dem Verhalten von Wettbewerbern, anderen Marktspielern und Markteinführungen neuer Produkte Strategien für unseren eigenen Markteintritt ab. Dazu gehört es natürlich auch, ständig die neuesten Forschungsergebnisse und –trends im Auge zu behalten.