Es ist schon paradox: Arztpraxen hinken in Sachen Barrierefreiheit hinterher! Dabei liegt es in der Natur der ärztlichen Arbeit, mit Menschen zu arbeiten, die von chronischen und vorübergehenden Einschränkungen betroffen sind. Und gelangen mehr dieser Menschen selbstständig in eine Praxis, eröffnet ihr das einen breiteren Patientenstamm, gerade in der immer älter werdenden Gesellschaft. Darüber hinaus sorgt Barrierefreiheit vermutlich mindestens für zusätzliche positive Mundpropaganda. Dennoch ergab eine Erhebung der Stiftung Gesundheit: Nur rund ein Drittel der Arztpraxen in Deutschland hat überhaupt barrierefreie Vorkehrungen umgesetzt. Dabei kann es sich zum Beispiel um eine Rampe vor der Haustür handeln, die Rollstuhlfahrern, aber auch etwa Müttern mit Kinderwagen, den selbstständigen Zugang zu Gebäuden erst erlaubt.
Doch in der Praxis geht es dann weiter, aber nur in Aufzügen mit gut zugänglichen Schaltern, durch ausreichend breite Türen und Flure bis auf höhenverstellbare Behandlungsstühle. Zusätzlich gibt es Einschränkungen, bei denen es gar nicht um Mobilität geht. Auch Menschen mit einer Seh- oder Hörstörung wollen sich ungehindert und selbstständig in der Praxis bewegen und stoßen dabei auf ganz andere Barrieren – zum Beispiel machen kontrastarm ausgeleuchtete Räume Menschen mit Sehschwäche zu schaffen.
Den Überblick bewahren: ohne Hilfe schwierig
Die Anforderungen sind also vielfältig, die Planung kompliziert – und wir haben noch gar nicht über Normen und Landesbauordnungen gesprochen. „Wo fange ich an, wenn ich barrierefreie Maßnahmen in meiner Praxis umsetzen will? Und welche Vorkehrungen kommen meinen Patienten am meisten zu Gute?“, fragen sich dann viele Ärzte.
Um ihnen bei diesen Fragen zu helfen, hat die Stiftung Gesundheit Fördergemeinschaft mit finanzieller Unterstützung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine webbasierte Software entwickelt, eine Planungsunterstützung für barrierefreies Bauen. Das Praxis-Tool Barrierefreiheit ist ein Expertensystem, es funktioniert ähnliche wie eine Software zur Erstellung der Steuererklärung. Der Nutzer füttert das Programm mit Informationen über seine Situation und erhält daraufhin auf ihn zugeschnittene Handlungsempfehlungen. Aber nicht nur Ärzte, Zahnärzte und Psychologische Psychotherapeuten können es in der Planungsphase eines Neu- oder Umbaus verwenden – jeder vermag sich damit kostenlos über die Möglichkeiten des barrierefreien Bauens zu informieren.
Fragebogen und individueller Praxisleitfaden Barrierefreiheit
Und so funktioniert es: Interessierte geben zunächst in einem Online-Fragebogen auf der Website an, für welche Bereiche ihrer Praxis sie Informationen möchten. Dann werden sie durch die Fragen geleitet, je nach Antworten forscht das Tool weiter nach und ermittelt so, welche Maßnahmen bereits vorhanden sind, welche Voraussetzungen die Praxisräume mitbringen und welche Ziele der Nutzer sich setzt.
Auf dieser Basis generiert die Software dann einen „individuellen Praxisleitfaden Barrierefreiheit“, der Vorschläge für ganz konkrete Bau- und Gestaltungsmaßnahmen enthält: Bei einem ohnehin geplanten Umbau könnten Nutzer zum Beispiel Türen einkalkulieren, die mindestens 90 Zentimeter breit sind, Orientierungshilfen für Blinde anbringen oder eine Gegensprechanlage installieren, die sich mit Hörgeräten verbindet – je nachdem, welche Aspekte der Barrierefreiheit im Fragebogen gewünscht wurden. Für jede Maßnahme gibt der Leitfaden an, welche Priorität sie innehat, ob eher hohe oder niedrige Kosten anfallen und welche Gruppe von Menschen mit Einschränkungen davon profitiert. Darüber hinaus weist er auf Fördermittel hin, die für bestimmte Bauvorhaben gewährt werden können und listet dazu wichtige Informationen auf.
Zugang zum Praxis-Tool Barrierefreiheit erhalten Sie auf www.praxis-tool-barrierefreiheit.de, hier müssen Sie sich lediglich kurz registrieren, um das Expertensystem zu nutzen. Die Nutzung des Tools ist vollständig kostenlos. Auf der Webseite finden Sie zudem zahlreiche Informationen und ein Erklärvideo zur Software sowie Fakten, Vorschriften und Statistiken rund um das Thema Barrierefreiheit.